WEG-Recht

Tageweise Unterbringung von wohnungslosen Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist im Teileigentum grundsätzlich zulässig

In den letzten Jahren hat der Bundesgerichtshof (BGH) einige wichtige Grundsatzentscheidungen zu den Grenzen zulässiger Nutzung von Wohnungs- und Teileigentum getroffen. In bisherigen Entscheidungen ging es um die Überlassung von Wohnungen an ständig wechselnde Nutzer, Wohnen im Ärztehaus oder die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern im Teileigentum. In einer am 29.03.2019 veröffentlichten Entscheidung ging es um einen Fall aus Berlin, in dem Teileigentumseinheiten („Laden”) zumeist tageweise an bedürftige Personen überlassen wurden, um diese vor die Obdachlosigkeit zu schützen.

Mit Urteil vom 8. März 2019 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 330/17 entschied der für Wohnungseigentumssachen zuständige V. Zivilsenat des BGH, dass die tageweise Unterbringung von wohnungslosen Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft heimähnlichen Charakter habe, also keine Nutzung zu Wohnzwecken und daher in Teileigentumseinheiten grundsätzlich erlaubt sei.

Für die Praxis wichtig ist, dass der BGH die Bezeichnung „Laden“ im Text der Teilungserklärung, zumindest in dem hier entschiedenen Fall, nicht als eine rechtsverbindliche Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter ansieht, weil diese nicht klar und eindeutig (genug) formuliert war.  

Der Fall

Der Beklagte ist Mitglied (Teileigentümer) der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese hat durch Mehrheitsbeschluss die gerichtliche Geltendmachung an sich gezogen. Der Beklagte hat seine Teileigentumseinheiten Nr. 2 und Nr. 3, die in der Gemeinschaftsordnung als „Laden″ bezeichnet sind und jeweils aus 4 Ladenräumen, 2 Fluren und einem Bad bestehen, an eine gewerbliche Mieterin vermietet. Die Mieterin betreibt in den Räumen eine Einrichtung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Hierbei werden Obdachlose auf der Grundlage eines Vertrags mit dem Bezirksamt tageweise untergebracht und betreut, wobei sich in der Regel zwei Personen einen Raum teilen. Die Räume sind nicht abschließbar und können von Mitarbeitern der Einrichtung jederzeit betreten werden. Küche, Toilette und Bad sind als Gemeinschaftseinrichtung ausgerichtet.

Die Klägerin macht geltend, dass die betriebene Nutzung eine Wohnnutzung darstelle und daher gegen die vereinbarte Zweckbestimmung „Laden” verstoße. Gleiches gelte, falls man nicht von einer Wohnnutzung ausginge, weil ein Laden eine bloße Verkaufsstätte sei, die von Kunden jeweils kurzfristig zum Kauf von Waren betreten werde. Die tageweise Unterbringung von Personen mit Übernachtungsgelegenheit widerspreche dem und störe bei typisierender Betrachtungsweise mehr als die Ladennutzung.

Ferner beanstandet die Klägerin das störende Verhalten der untergebrachten Personen, z. B. Rauchen im Innenhof, Hinterlassen von Zigarettenkippen im Eingangs- und Hofbereich. Nichtverschließender Türen, Klingeln bei anderen Bewohnern, Blockieren der Zugänge durch Personen und Gepäck sowie die Verschmutzung der Anlage. Insoweit wird allerdings nicht auf Unterlassung konkreter Verstöße geklagt.

Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg hatte der auf Unterlassung der Wohnnutzung gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung wurde der Urteilstenor auf Unterlassung der Überlassung der Ladeneinheiten zu Unterkunftszwecken an Obdachlose geändert (Hilfsantrag), weil von einer Wohnnutzung nicht auszugehen sei. Das Landgericht ließ die Revision zum BGH zu.

Die Entscheidung

Der BGH änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen ab. Die Klage wurde insgesamt abgewiesen, da entgegen der Auffassung des Landgerichts keine rechtsverbindliche Zweckbestimmung „Laden″ vereinbart worden sei. Solle ein verbindlicher Nutzungszweck vereinbart werden, müsse dies klar und eindeutig der Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) zu entnehmen sein. Daran habe es im vorliegenden Fall gefehlt. Als „Laden” seien die Einheiten des Beklagten lediglich im Zusammenhang mit der Aufteilung und der räumlichen Lage und ohne weitere Erläuterung bezeichnet worden. Zudem sei ersichtlich, dass ein bereits bestehendes und in Betrieb genommenes Gebäude nachträglich in Wohnungs- und Teileigentum aufgeteilt worden sei, so dass die Bezeichnung „Laden” nur die damals ausgeübte Nutzung wiedergegeben habe. Infolgedessen dürften die Teileigentumseinheiten des Beklagten zwar nicht zum Wohnen, im Grundsatz aber zu jedem anderen Zweck genutzt werden.

Die vorliegende Art der Nutzung sei keine Wohnnutzung, sondern eine Nutzung zu anderen Zwecken. Sie weise eine heimtypische Organisationsstruktur auf, die eine freiwillige Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises ausschließe. Anders lägen die Dinge, wenn abgeschlossene Wohnappartements mit eigenen Sanitäranlagen und eigenen Kochgelegenheiten eingerichtet worden wären, die Räume im Rahmen befristeter oder unbefristeter Mietverträge oder von Nutzungsverhältnissen überlassen würden und die Betreuung der Bewohner auf eine niederschwellige Begleitung angelegt wären (Rn 15 der Urteilsgründe).

Sodann klärt der BGH eine von ihm bislang offengelassene Rechtsfrage, indem er einer in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt vertretenen Auffassung eine Absage erteilt, wonach auch bei einer – wie hier – zweckbestimmungsgemäßen (erlaubten) Nutzung – dennoch ein Unterlassungsanspruch begründet sein könne, wenn sich dies aus dem Charakter der Anlage und den diesen prägenden örtlichen Verhältnissen ergäbe. Der BGH stützt seine ablehnende Haltung darauf, dass derartige Kriterien dem Gesetz nicht zu entnehmen und mit einem nicht hinnehmbaren Maß an Rechtsunsicherheit verbunden seien (Rn 23 f.).

Was das von der Klägerin vorgetragene störende Verhalten der untergebrachten Personen angehe, kämen Unterlassungsansprüche zwar in Betracht. Diese seien aber vorliegend nicht geltend gemacht worden, sondern die Unterlassung der Nutzung an sich, also auch in störungsfreier Ausgestaltung (Rn 27).

Fazit für den Verwalter

Die Entscheidung erleichtert den Umgang mit Zweckbestimmungen. Grundsätzlich bedarf es der Auslegung der jeweils geltenden Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung), ob und inwieweit eine Nutzungsvorgabe rechtsverbindlich ist oder nur als unverbindlicher Nutzungsvorschlag gewertet werden darf. Gesetzlicher Ausgangspunkt ist, dass in Teileigentum jede Nutzung gestattet ist, die keine Wohnnutzung darstellt. Soll eine zulässige Nutzung weiter eingeschränkt werden, bedarf es einer klaren und eindeutigen Regelung. Diese kann beispielsweise in einer Beschränkung auf eine Ladennutzung liegen. Voraussetzung ist aber, dass sich mit der erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit eine solche Einschränkung der Nutzung des Teileigentums ergäbe.

Für Zweckbestimmungen gilt insoweit nichts anderes als für andere Vereinbarungen in der TE/GO, die im Streitfall ausgelegt werden müssen. Auch hier hat der BGH in den letzten Jahren wiederholt entschieden, dass die gesetzlichen Grundregeln nur durch eine klar und eindeutig formulierte Vereinbarung abbedungen werden können. Fehlt es daran, gilt die gesetzliche Ausgangslage. Bei Teileigentum führt dies dazu, dass jede Nutzung, die keine Wohnnutzung ist, erlaubt ist.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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