WEG-Recht

Hinweisbeschluss des BGH zur Störungsabwehr: Verwalter zwischen Baum und Borke

Am 28. Januar 2022 verhandelt der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) den Störungsabwehrprozess einer Wohnungseigentümerin gegen eine Mieterin wegen deren störenden Verhaltens in der Wohnanlage. Es handelt sich um ein Altverfahren, das vor dem 1.12.2020 begann. Das erstinstanzliche Urteil (LG Wiesbaden) erging am 10.12.2020, das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main) entschied am 26.5.2021. Fraglich ist u.a., ob der klagenden Wohnungseigentümerin noch die Prozessführungsbefugnis zusteht. Der Verwalter hatte gegenüber dem Berufungsgericht am 17.5.2021 hierzu eine schriftliche Erklärung abgegeben. Mit Beschluss vom 4. November 2021 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 106/21 erteilt der BGH zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Hinweise zu Umständen, die die Parteien bei der Auslegung des Schreibens des Verwalters offensichtlich übersehen haben. 

Der Fall

In einer Wohnungseigentumsanlage klagt eine Wohnungseigentümerin gegen eine Mieterin von Sondereigentum auf Unterlassung. Einzelheiten lassen sich dem auf der Webseite des BGH veröffentlichten Sachverhalt nicht entnehmen. Vermutlich ist die Klage auf Unterlassung eines störenden Verhaltens oder einer zweckbestimmungswidrigen Nutzung gerichtet, die seit Jahren andauert. Im Jahr 2008 hatte die Gemeinschaft einen Beschluss über eine vorläufige Duldung des Verhaltens der Mieterin gefasst. Etwa 10 Jahre später kam es zu der Klage. Mit Schreiben vom 17.5.2021 hatte der WEG-Verwalter der Gemeinschaft das Berufungsgericht auf den Inhalt des 2008 gefassten Beschlusses noch einmal aufmerksam gemacht.

Die Entscheidung

Der BGH weist die Parteien darauf hin, dass sie seine grundlegenden Ausführungen zur Rechtslage in Übergangsfällen im Urteil vom 7.5.2021 (V ZR 299/19, Newsletter vom 12.05.2021) übersehen bzw. falsch interpretiert hätten. Dort hatte der V. Zivilsenat ausgeführt, dass die Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Wohnungseigentümers im Altverfahren in Fallkonstellationen wie der vorliegenden (also Störungsabwehransprüche) trotz des am 1.12.2020 in Kraft getretenen WEMoG fortbestehe, solange nicht dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft zur Kenntnis gebracht werde. Dabei habe der Senat ausdrücklich und unmissverständlich hervorgehoben, dass es insoweit auf die Entscheidungsbildung der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis, insbesondere die Wirksamkeit eines dazu gefassten Beschlusses, nicht ankomme, und zwar aufgrund der vom Innenverhältnis losgelösten Vertretungsmacht des Verwalters im Außenverhältnis. Fehle es an der wirksamen Willensbildung im Innenverhältnis, könne dies allerdings Regressansprüche des klagenden Wohnungseigentümers begründen.

Das Schreiben des Verwalters (als des nach § 9b WEG vertretungsberechtigen Organs) vom 17.5.21021 dürfte – so der BGH – keine schriftliche Äußerung über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft in diesem Sinne enthalten. Denn es beschränke sich darauf, den bereits bekannten (da zur Gerichtakte gereichten) Inhalt des 2008 gefassten Beschlusses über eine vorläufige Duldung des Verhaltens der Mieterin zu wiederholen, enthalte aber keine eindeutige Äußerung, mit der der Klägerin die weitere Prozessführung untersagt werde.

Da nach dem festgestellten Sachverhalt zweifelhaft sei, dass der Unterlassungsanspruch der Klägerin auch aus dem Sondereigentum abgeleitet werden könne, dürfte es – so der BGH weiter – für die „Ausübungsbefugnis (also Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation)“ maßgeblich auf den Verwalter ankommen.

Fazit für den Verwalter

In dem hier geschilderten Fall steht der bestellte Verwalter vor der Frage, ob er vor der mündlichen Verhandlung als Organ der seit 1.12.2020 nach § 9a Abs. 2 WEG bezüglich des gemeinschaftlichen Eigentums ausübungsbefugten Gemeinschaft die Individualklage der Wohnungseigentümerin gegen die Mieterin untersagt. Bei einem klar und eindeutig geäußerten entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft wäre die Klage unzulässig, sofern nicht die individuelle Prozessführungsbefugnis und/oder Aktivlegitimation aus dem Sondereigentum der Klägerin und den damit verbundenen Abwehransprüchen abgeleitet werden könnte. Vor dem Hintergrund des mitgeteilten Sachverhalts ist es unwahrscheinlich, dass der Verwalter eine derartige schriftliche Erklärung gegenüber dem BGH abgeben wird. Neutralitätsprobleme dürften sich zwar nicht ergeben, da Beklagte eine Mieterin ist, also keine Wohnungs- oder Teileigentümerin, wenngleich natürlich ihr Vermieter zur Gemeinschaft gehören dürfte (die Beklagte wird Mieterin eines anderen Miteigentümers sein, da die Klägerin sonst aus dem Mietvertrag vorgehen würde). Allerdings hat sich die Gemeinschaft im Jahr 2008 positioniert und das Verhalten der Mieterin vorläufig weiterhin geduldet. Darin liegt ein passiver Akt. Die Ergreifung oder aktive gerichtliche Durchsetzung eigener Abwehraktivitäten lässt sich der Beschlusslage demnach nicht entnehmen.

In der Regel wird der Verwalter einen laufenden Individualprozess nicht auf den letzten Metern „zurückpfeifen“. Unterliegt der klagende Wohnungseigentümer infolge der Einmischung der Gemeinschaft mit seinem bis dahin aussichtsreichen Prozess, da die Klage unzulässig wird, entsteht ihm ein Prozesskostenschaden, den er bei der Gemeinschaft liquidieren wird, die letztlich Regress vom Verwalter fordern wird, sofern dieser pflichtwidrig und schuldhaft die auf die gesetzliche Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft (§ 9a Abs. 2 WEG) gepocht haben sollte. Ein weiterer Prozesskostenschaden kann dadurch entstehen, dass die Gemeinschaft einen neuen Rechtsanwalt ins Rennen schicken muss, sei es zur Übernahme des laufenden Verfahrens, sei es – wahrscheinlicher – zur Durchführung eines neuen Rechtsstreits.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Der Beklagte im Störungsabwehrprozess kann ein Interesse daran haben, den Verwalter dazu zu bringen, für die Gemeinschaft den entgegenstehenden Willen gegenüber dem Gericht zu erklären. Dadurch wäre die gegen ihn gerichtete Klage vorerst unzulässig. In der vorliegenden Fallkonstellation, in der es sich nicht um eine Binnenstreitigkeit handelt, sondern die Klage gegen einen Nichteigentümer (Mieter) dürfte der Verwalter freilich weniger in Zugzwang geraten, einem solchen Ansinnen nachzugeben.

Will ein Wohnungseigentümer erreichen, dass die Gemeinschaft die gerichtliche Anspruchsverfolgung an sich zieht, muss er die Einberufung der Eigentümerversammlung beantragen. Weigert sich der Verwalter pflichtwidrig, darf der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats, dessen Vertreter oder ein durch Beschluss ermächtigter Eigentümer die Versammlung einberufen (§ 24 Abs. 3 WEG).

Fazit für die Gemeinschaft

Im Hinblick auf die Störung des gemeinschaftlichen Eigentums ist seit dem 1.12.2020 die Gemeinschaft allein ausübungsbefugt (§ 9a Abs. 2 WEG). Der BGH spricht in Rn 2 der Gründe von Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation. Beides ist zu trennen. Die Prozessführungsbefugnis betrifft die Zulässigkeit einer Klage und bezieht sich auf Fälle, in denen die Gemeinschaft die für sie fremden Rechte der Wohnungseigentümer im eigenen Namen (Prozessstandschaft) geltend macht. Die Aktivlegitimation umschreibt Fälle, in denen die Gemeinschaft selbst Anspruchsinhaberin ist, also z.B. beim Anspruch gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG. Ein Anspruch auf Unterlassung einer zweckbestimmungswidrigen Nutzung von Sondereigentum etwa ist ein eigenes Recht der Gemeinschaft und kein Fall der Ausübungsbefugnis nach § 9a Abs. 2 WEG.

Vorliegend geht es um Unterlassungsansprüche. Anders als Ansprüche auf Rückbau (Beseitigung) und Wiederherstellung des vorherigen Zustandes, deren Verjährung den allgemeinen Vorschriften unterliegt, droht keine Verjährung. Unterlassungsansprüche entstehen mit jedem störenden Verhalten täglich aufs Neue.

Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?

Kompetenzgerangel zwischen der Gemeinschaft und einzelnen Sondereigentümern, die Abwehransprüche außergerichtlich oder gerichtlich geltend machen, betreffen nicht nur Altverfahren, sondern auch die neue Gesetzeslage. Trotz § 9a Abs. 2 WEG ist es denkbar, dass die Gemeinschaft ihre gesetzliche Ausübungsbefugnis nicht durch eigene Abwehraktivitäten umsetzt, sondern einen oder einzelne Wohnungseigentümer zur Geltendmachung von Abwehrrechten in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum ermächtigt. Fraglich ist, ob eine derartige Ermächtigung zwingend auf einen Beschluss zurückzuführen ist oder ob stattdessen der Verwalter kraft Amtes im Stande und berechtigt ist, eine solche individuelle Ermächtigung für die Gemeinschaft zu erteilen. Selbst wenn der Verwalter auch insoweit die gesetzliche Vertretungs- bzw. Ermächtigungsmacht haben sollte, kann er sich im Innenverhältnis regresspflichtig machen, wenn er die Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft voreilig, fehlerhaft oder sonst pflichtwidrig aus der Hand gibt und dadurch einen Schaden zum Nachteil der Gemeinschaft verursacht.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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