02.08.2021 Ausgabe: 4/21

Aktuelle Urteile - Mit dem sich aus Beteiligungen an Sondereigentum ableitenden Stimmrecht und der Auslegung der Gemeinschaftsordnung hatte sich der BGH zu befassen – und urteilte so:

DAS THEMA
Das Kopfstimmprinzip gemäß § 25 Abs. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG), das auch in der neuen Fassung des WEG Anwendung findet, ist Thema des vorliegenden Urteils. Der Bundesgerichtshof (BGH) fokussiert sich dabei insbesondere auf zwei Fragestellungen: Welche Auswirkung hat eine fehlerhafte Ladung zur Eigentümerversammlung auf die Gültigkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse? Und wie findet das Kopfstimmprinzip Anwendung bei drei Sondereigentumseinheiten, wenn ein Eigentümer sowohl eine Sondereigentumseinheit im Alleineigentum und an einer weiteren Sondereigentumseinheit das Eigentum zur Hälfte hält?

DER FALL
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Gebäude auf dem gemeinschaftlichen Grundstück besteht aus drei Eigentumswohnungen, von denen die Sondereigentumseinheit Nr. 2 den Klägern gemeinschaftlich, die Sondereigentumseinheit Nr. 1 beiden Beklagten je zur Hälfte und die Sondereigentumseinheit Nr. 3 der Beklagten zu 1 allein gehören. Nach der Teilungserklärung richtet sich das Stimmrecht der Sondereigentümer nach dem WEG.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2018 luden die Beklagten die Kläger zu einer Wohnungseigentümerversammlung ein. Gegenstand der Versammlung sollte die Wahl eines Verwalters sein; mit der Einladung wurden drei Angebote übersandt. An der Versammlung nahmen nur die Beklagten teil. Sie bestellten unter TOP 1a einen der drei Bewerber für den Zeitraum vom 1. Fe­bruar 2019 bis 31. Januar 2021 zum Verwalter der Anlage und beschlossen unter TOP 1b, mit dem bestellten Verwalter für die Dauer seiner Bestellung einen Verwaltervertrag mit einer monatlichen Vergütung von 30 Euro pro Wohnung und Monat zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu schließen.

Mit der Klage streben die Kläger die Ungültigerklärung beider Beschlüsse an. Sie meinen, die Beklagten hätten nicht eigenmächtig zu der Eigentümerversammlung einladen dürfen, und sie hätten zusammen auch nur eine Stimme, sodass die erforderliche Mehrheit nicht erreicht sei.

Vor dem Amtsgericht und dem Berufungsgericht blieb die Klage ohne Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, möchten die Kläger schließlich erreichen, dass die genannten Beschlüsse für ungültig erklärt werden – ohne Erfolg. Der BGH weist die Revision auf Kosten der Kläger vollumfänglich zurück und begründet diese Entscheidung wie folgt: Der angefochtene Beschluss hat die nach § 26 Abs. 1 S. 1 WEG erforderliche Mehrheit unabhängig davon gefunden, ob den beiden Beklagten eine oder zwei Stimmen zustehen. Denn für die Bestellung des Verwalters und den Abschluss des Vertrags mit ihm ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausschlaggebend. Da die Kläger an der Eigentümerversammlung nicht teilgenommen hatten, war somit selbst eine Stimme ausreichend.

Die angefochtenen Beschlüsse waren auch nicht deshalb für ungültig zu erklären, weil die Beklagten ohne Abstimmung mit den Klägern zu der Wohnungseigentümerversammlung eingeladen hatten, auf der diese gefasst worden sind. Grundsätzlich kann die Ladung zur Eigentümerversammlung bei Wohnungseigentümergemeinschaften ohne Verwalter nur durch alle Wohnungseigentümer gemeinsam oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, die den interessierten Wohnungseigentümer zur Einladung ermächtigt oder die übrigen Wohnungseigentümer dazu verpflichtet, erfolgen, oder seit 1. Dezember 2020 auch durch einen per Beschluss hierzu ermächtigten Wohnungseigentümer (vgl. § 24. Abs. 3 WEG n. F.). Keiner dieser Sonderfälle liegt hier vor. Dieser Fehler führt aber nicht dazu, dass der angefochtene Beschluss für ungültig zu erklären ist, da sich der Beschlussmangel nicht auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat. Das Ergebnis der Abstimmung wäre aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht anders ausgefallen, wenn die Ladung rechtmäßig erfolgt wäre, denn die Beklagten haben, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, zwei Stimmen: Die Teilungserklärung verweist auf das WEG. § 25 Abs. 2 S. 1 WEG konstatiert, dass jeder Wohnungseigentümer eine Stimme hat. Das gilt auch dann, wenn ihm nicht eine, sondern mehrere Wohnungen gehören. Wohnungseigentümer und damit Träger des Stimmrechts ist nach allgemeinem Verständnis derjenige, der im Einklang mit der materiellen Rechtslage im Wohnungsgrundbuch als Eigentümer eingetragen ist. Infolgedessen kann unter der Geltung des Kopfstimmrechts eine nachträgliche Vermehrung von Stimmrechten eintreten, wenn ein Eigentümer – wie hier – mehrere Einheiten hält und diese sukzessive veräußert. Ebenso bestehen mehrere Stimmrechte, wenn mehrere Wohnungen nur teilweise identischen Miteigentümern gehören oder wenn – wie hier – der Miteigentümer einer Wohnung zugleich Alleineigentümer einer anderen Wohnung ist. So sieht es auch der hier entscheidende Senat und bekräftigt unter Ausschluss anderer Meinungen: Wenn mehrere Wohnungen nur teilweise identischen Miteigentümern gehören, oder wenn der Miteigentümer einer Wohnung zugleich Alleineigentümer einer anderen Wohnung ist, haben die Eigentümer jeder Wohnung bei Geltung des Kopfstimmrechts je eine Stimme. Das Kopfstimmrecht eines Wohnungseigentümers entfällt nicht, wenn er Miteigentümer einer anderen Wohnung wird oder bleibt. Das gilt auch, wenn er Mehrheitseigentümer anderer Wohnungen ist oder wird. Sind mehrere Personen gemeinschaftlich als Eigentümer eingetragen, sind sie zwar beide Wohnungseigentümer, können aber ihr Stimmrecht nach § 25 Abs. 2 S. 2 WEG nur gemeinschaftlich ausüben.

VERWALTERSTRATEGIE
Wohnungseigentümergemeinschaften setzen sich oft aus Sondereigentumseinheiten zusammen, die im Eigentum unterschiedlicher Parteien stehen. Sofern diese Parteien jeweils nur an einer Sondereigentumseinheit Eigentum halten, ist die Handhabung des Stimmrechts über § 25 Abs. 2 S. 2 WEG (gemeinschaftliche Ausübung eines Stimmrechts) klar verständlich geregelt. Nicht so offensichtlich gestaltet es sich, wenn eine Partei nicht nur Eigentum an einer Sondereigentumseinheit alleine hält, sondern zusätzlich Eigentumsbeteiligungen an anderen Einheiten. Hier bestätigt der BGH, dass dieser Eigentümer nicht nur über ein Stimmrecht an seinem Alleineigentum verfügt, sondern § 25 Abs. 2 S. 2 WEG bezüglich der Sondereigentumseinheiten zusätzlich Anwendung findet, an denen Beteiligungen gehalten werden – eine Klarstellung, die in der täglichen Praxis für Beschlussfassungen entscheidend sein kann.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.