08.03.2023 Ausgabe: 2/23

Alles halb so wild

Das Problem der Nichtöffentlichkeit bei hybriden Eigentümerversammlungen und wie man juristisches Scheitern bei digital unterstützten Veranstaltungsformaten umgeht.

Die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) hat die Möglichkeit zur Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen und damit der virtuellen Teilnahme geschaffen. Die damit verbundene größere Flexibilität für Eigentümer stärkt die Teilhabemöglichkeiten an der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, bringt andererseits aber auch eine Reihe bislang noch ungeklärter rechtlicher Fragen mit sich, die auf derartigen Versammlungen gefasste Beschlüsse gefährden können.

Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Eigentümerversammlung

Neben technischen Problemen, die eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Eigentümer beeinträchtigen (siehe hierzu Letzner in VDIVAKTUELL 2/22,S. 16), ergeben sich durch eine rein virtuelle Teilnahme weitere Herausforderungen aufgrund der auch in diesen Fällen zu beachtenden wohnungseigentumsrechtlichen Grundsätze. Hierzu gehört insbesondere die Nichtöffentlichkeit der Eigentümerversammlung. An ihr sollen nur Eigentümer oder von diesen zulässig bevollmächtigte Vertreter teilnehmen dürfen. Die Versammlung soll ein geschützter Ort sein, an dem Eigentümer diskutieren und Entscheidungen treffen können, ohne hierbei äußeren, fremden Einflüssen ausgesetzt zu sein.

Während es bei reinen Präsenzveranstaltungen relativ leicht ist, diesen Grundsatz durch Einlasskontrollen und die Nutzung geschlossener Räume zu gewährleisten, erweist sich dies bei einer teilvirtuellen Versammlung als herausfordernd, wenn nicht gar fast unmöglich.

Schon der Umstand, dass die Versammlung hierfür im Regelfall in Bild und Ton über das Internet übertragen werden muss, macht sie für unberechtigte Zugänge anfälliger. Und aufseiten der virtuell teilnehmenden Eigentümer oder ihrer Vertreter ist noch weniger kontrollierbar, ob dort fremde Personen anwesend sind und auf sie Einfluss nehmen. All dies darf und soll jedoch nicht dazu führen, dass die zahlreichen Vorteile, die die Möglichkeit einer virtuellen Teilnahme an Eigentümerversammlungen bietet, ungenutzt bleiben und von hybriden Versammlungen deswegen Abstand genommen wird. Das Problem ist bei genauerer Betrachtung nicht so groß wie angenommen.

Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit beruht auf wandelbarem Richterrecht.

Hierzu hilft es, sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass das WEG die Nichtöffentlichkeit der Eigentümerversammlung gesetzlich gar nicht vorschreibt, sondern es sich hierbei lediglich um einen ungeschriebenen, auf Richterrecht beruhenden Grundsatz handelt. Es ist daher weder unwahrscheinlich noch unmöglich, dass sich die Rechtsprechung vor dem Hintergrund geänderter gesetzlicher Rahmenbedingungen - für hybride oder hoffentlich bald sogar rein virtuelle Versammlungen- anpassen wird.

Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Teilnahme

Dabei ist nicht zu fordern, dass die durchaus sinnvolle Vorgabe, die Eigentümerversammlung solle von fremden Einflüssen möglichst freigehalten werden, vollkommen aufgegeben wird. Es macht jedoch einen Unterschied, ob unberechtigte Teilnehmer aktiv auf die Versammlung und damit auf die Beschlussfassung einwirken, indem sie dort selbst mitdiskutieren, oder ob sie lediglich im Hintergrund zuhören und ggf. dem virtuell teilnehmenden Eigentümer Eingaben machen.

Eine aktive Teilnahme fremder Personen kann auch in der hybriden Versammlung relativ zuverlässig verhindert werden. Dies setzt eine sichere Identifizierung der virtuell teilnehmenden Person voraus. Es muss dabei sichergestellt werden - und zwar nicht nur zu Beginn der Versammlung, sondern über ihre gesamte Dauer - dass es sich hierbei um einen Eigentümer oder zumindest einen zulässig bevollmächtigten Vertreter handelt. Dies setzt im Regelfall eine Bild- und Tonverbindung zum Teilnehmer voraus. Auf diese Weise kann, wie in der Präsenzveranstaltung auch, mittels Lichtbildausweis und ggf. Vollmacht sichergestellt werden, dass die vor der Kamera sitzende Person tatsächlich teilnahmeberechtigt ist. Gleichzeitig erschwert eine dauerhafte Bildverbindung auch, dass sich unberechtigte Personen im unmittelbaren Kamerabereich aufhalten und sich auf diese Weise unzulässig an der Versammlung beteiligen. Unproblematisch ist es, wenn mehrere Eigentümer vom gleichen Raum aus  mit lediglich einer Verbindung und einer Kamera an der Versammlung teilnehmen, solange sichergestellt ist, dass ihre Diskussionsbeiträge und insbesondere ihre Stimmabgaben eindeutig zugeordnet werden können.

Reaktionsmöglichkeiten der Versammlungsleitung bei Verstößen

Kommt es dennoch zu Verstößen, kann die Versammlungsleitung hierauf bei einer virtuellen Teilnahme sogar abgestufter reagieren als bei vor Ort präsenten Teilnehmern. Dort bleibt zur Wiederherstellung und Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versammlung letztendlich nur der Ausschluss des Anwesenden von der Versammlung, falls das störende Verhalten trotz Abmahnung fortgesetzt wird. Bei virtueller Teilnahme bietet sich als milderes Mittel die Stummschaltung an, sodass das aktive Einwirken auf die Versammlung nicht mehr möglich ist, die passive Teilnahme aber weiterhin, was eine geringere Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte darstellt.

Der Einsatz geeigneter Software ist ratsam.

Damit die hier konstatierten Mindestanforderungen leichter eingehalten und unnötige Beschlussmängel vermieden werden können, ist einmal mehr darauf hinzuweisen, dass für die Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen der Einsatz speziell hierfür entwickelter Software, wie es sie bereits von mehreren Anbietern gibt, äußerst sinnvoll ist. Von der Verwendung handelsüblicher Videokonferenzprogramme ist schon wegen datenschutzrechtlicher Bedenken abzuraten.

Ausreichendes Niveau der Nichtöffentlichkeit

Werden die vorgenannten Vorgaben beachtet und insbesondere ein aktives Einwirken unberechtigter Personen auf die Beschlussfassung verhindert, kann ein hinreichendes Niveau der Nichtöffentlichkeit der Versammlung gewährleistet und damit die Anfechtbarkeit von Beschlüssen umgangen werden.

Kausalität für Beschlussanfechtung erforderlich

Verstöße gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit führen dabei lediglich zu formellen Beschlussmängeln, die nur dann zur Ungültigkeit eines Beschlusses nach Anfechtung führen, wenn sie hierfür ursächlich sind, d. h. wenn der Beschluss bei Einhaltung der Nichtöffentlichkeit anders gefasst worden wäre. Dies wird im Regelfall zwar vermutet, kann im Rahmen einer Anfechtungsklage von der Eigentümergemeinschaft jedoch widerlegt werden. Bei einer lediglich passiven Teilnahme einer nicht berechtigten Person wird ihr dies mangels des nachweisbaren Einflusses auf den gefassten Beschluss möglich sein.

Letzner, Oliver T.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht