14.10.2019 Ausgabe: 5/19

Das ist Rekordniveau. Eine historisch beispiellose Maßnahmenoffensive soll in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen schaffen.

In Zeiten von Wohnraummangel in Großstädten und Ballungsräumen, steigenden Mietpreisen und der wachsenden Relevanz von Wohneigentum kommt der Baustaatssekretärin für die Immobilienbranche wie auch für die Verbraucher große Bedeutung zu. Wie beurteilt Anne Katrin Bohle selbst die Herausforderungen für das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und die Fortschritte beim Lösen der Wohnraumkrise?

Frau Bohle, an dieser Stelle noch einmal unsere herzliche Gratulation zu Ihrer Berufung als Baustaatssekretärin. Der Baubereich begleitet Sie seit mittlerweile knapp 15 Jahren, davon waren Sie allein zehn Jahre als Abteilungsleiterin für Stadtentwicklung und Denkmalpflege im Bauministerium von Nordrhein-Westfalen tätig. Wo sehen Sie durch den Wechsel von der Landes- in die Bundespolitik Ihre persönlich größte He­rausforderung? Inwiefern profitieren Sie in Ihrer neuen Position von Ihrer langjährigen Tätigkeit als Vorsitzende des Ausschusses für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen der Bauministerkonferenz?
Zunächst vielen Dank für die Glückwünsche. Landes- und Bundespolitik sind sich aus meiner Sicht ähnlich und unterschiedlich zugleich, wobei natürlich die Bundespolitik wesentlich übergreifender in den Themen und im Tempo ist. Für mich war der fachliche Übergang gewiss etwas einfacher, da ich – wie Sie zutreffend sagen – bereits seit mehreren Jahren mit den Themen Stadtentwicklung und Bauen zu tun hatte. Gerade der Ausschuss für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen ist ja – wie der Name schon sagt – quasi der „Spiegel der Länder“ für meine aktuellen Themen. Die größten Unterschiede für mich sind ganz klar die höhere Termindichte und auch ein wesentlich höheres Medieninteresse – das war schon eine gewisse Umstellung.

Deutschland braucht dringend mehr bezahlbaren Wohnraum. Lassen sich die von der Koalition prognostizierten 1,5 Millionen Neubauwohnungen in dieser Legislaturperiode tatsächlich erreichen?
Ausreichend bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit. Mit dem Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen in dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung seit März 2018 eine Vielzahl von Maßnahmen eingeleitet, um den Wohnungsbau zu intensivieren und die Bezahlbarkeit des Wohnens zu sichern.

Beim Wohngipfel im September 2018 wurde eine historisch beispiellose Wohnraumoffensive auf den Weg gebracht. Bund, Länder und Kommunen haben sich auf ein Maßnahmenpaket von investiven Impulsen für den Wohnungsbau, zur Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens sowie zu Baukostensenkung und Fachkräftesicherung verständigt – mit sehr vorzeigbarem Umsetzungsstatus: Viele der vereinbarten Maßnahmen wurden bereits umgesetzt oder befinden sich unmittelbar in der Realisierung.

Mit welchen Instrumenten will das Ministerium weiter an einer Lösung der Wohnungskrise arbeiten? 

Die Bundesregierung stellt in dieser Legislaturperiode allein für den sozialen Wohnungsbau, das Baukindergeld, das Wohngeld und die Städtebauförderung mehr als 13 Mrd. Euro zur Verfügung. Das ist Rekordniveau. 
Eigens für die soziale Wohnraumförderung stellt der Bund von 2018 bis 2021 insgesamt fünf Mrd. Euro bereit. Zusammen mit den Mitteln von Ländern und Kommunen können damit über 100 000 Sozialwohnungen geschaffen werden. Die Grundgesetzänderung durch den neuen Artikel 104d mit der Möglichkeit der Gewährung von Bundesfinanzhilfen für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus ist am 4. April 2019 in Kraft getreten.

Für das Baukindergeld stellt der Bund in dieser Legislaturperiode 2,7 Mrd. Euro bereit – schon jetzt eine echte Erfolgsgeschichte: Von August 2018 bis Ende April 2019 sind rund 92 000 Anträge mit einem Volumen von über ca. 1,9 Mrd. Euro eingegangen. So wird es Familien und Alleinerziehenden erleichtert, Wohneigentum zu erwerben, und als Nebeneffekt der Mietwohnungsmarkt entlastet. 
Die am 26. September 2018 vom Haushaltsausschuss beschlossene überarbeitete Richtlinie der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zur verbilligten Abgabe von Grundstücken fördert und beschleunigt den sozialen Wohnungsbau auf Bundesliegenschaften. Außerdem wird der Bund für die Bundesbediensteten auf eigenen Grundstücken verstärkt Wohnraum errichten.

Seit 1. März 2019 gelten Erleichterungen für den Wohnungsbau durch die Weiterentwicklung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A). So sind für den Wohnungsbau befristet vergaberechtliche Wertgrenzen angehoben und flexiblere Möglichkeiten bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge eröffnet worden. Aktivitäten zur Fachkräftesicherung, zum Ausbau von Baukapazitäten und zur Baukostensenkung, z. B. Rahmenvereinbarung zum seriellen Bauen, Arbeiten zum durchgängig digitalisierten Bauantrag, Schaffung von Transparenz über Folgekosten in Normungsprozessen, verbessern die Rahmenbedingungen für den zügigen Wohnungsbau erheblich. Die Empfehlungen der beim BMI angesiedelten Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ werden im Juli 2019 erwartet.

Ist in vielen Regionen der Mangel an Bauland das Haupthindernis für den Wohnungsneubau, besteht gleichzeitig ein Potenzial von mehr als 1,5 Millionen Wohnungen durch Dachaufstockungen. In Wohnungseigentümergemeinschaften bremst derzeit das Wohnungseigentumsgesetz die für solche Aufstockungen erforderlichen Abstimmungsprozesse aus. Hier besteht dringender Anpassungsbedarf. Die Gründung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu einer Reform des WEG ist daher ein erster wichtiger Schritt, um auch dieses Problem zu lösen. Wie wird sich das BMI bei der Novellierung einbringen?
Für diese Legislaturperiode haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, die Regelungen des Wohnungseigentumsrechts zu  novellieren und mit dem Mietrecht zu harmonisieren. Das BMI begrüßt die Einrichtung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im BMJV, in der schon im Vorfeld wichtige Fragen geklärt werden können. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe plant, im Spätsommer ihre Ergebnisse vorzulegen, die als Grundlage für einen Gesetzentwurf dienen sollen. Das BMI wird die Vorschläge sorgfältig prüfen.

Im Hinblick auf die geplanten Änderungen zur Erleichterung von Maßnahmen zu Einbruchschutz und barrierefreiem Umbau besteht seitens des BMI ein hohes Interesse, dass das Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperiode auch abgeschlossen werden kann. Daher ist es erforderlich, dass das Novellierungsvorhaben nicht überfrachtet wird. Wichtig ist, dass mit der Novellierung eine Verbesserung der Praxistauglichkeit und Verständlichkeit der Vorschriften im Wohnungseigentumsrecht erreicht wird.

Immobilienverwalter als treuhänderische Manager privater Altersvorsorge von Millionen Bürgern dürfen bislang ohne tatsächlichen Nachweis ihrer Qualifikation handeln. Aus Sicht der rechts- und verbraucherpolitischen Sprecherin der CSU/CSU-Bundestagsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker sowie von BMJV-Staatssekretär Gerd Billen spricht viel für einen Sachkundenachweis für Wohnimmobilienverwalter, der in der letzten Legislaturperiode unglücklich aus dem Gesetzentwurf abhandenkam. Wie stehen Sie persönlich zu dessen Einführung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Immobilienverwalter mehr als 60 Gesetze und Verordnungen in der Praxis umsetzen ­müssen?
Aus wohnungspolitischer Sicht halte auch ich die Schaffung von Qualitätsanforderungen für gewerbliche Wohnungseigentumsverwalter für wünschenswert. Daher ist es bedauerlich, dass der Sachkundenachweis als Voraussetzung für die Erlaubnis in der letzten Legislaturperiode im parlamentarischen Verfahren keine Mehrheiten gefunden hat. Ich sehe jedoch die nunmehr geltende Weiterbildungspflicht als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode ist ein Wiederaufgreifen des Themas Sachkundenachweis allerdings nicht vorgesehen.

Der Klimaschutzplan der Bundesregierung sieht vor, dass der Gebäudebestand bis 2050 nahezu klimaneutral sein soll. Dafür müssen die Potenziale von Wohnungseigentümergemeinschaften genutzt werden, die allein bald zehn Millionen Wohnungen auf sich vereinen, aber bislang deutlich zu wenige Energieeffizienzmaßnahmen durchführen. Wie beurteilen Sie die Funktion von Immobilienverwaltungen als Multiplikatoren, um entsprechende Maßnahmen anzustoßen und so zum Erreichen der Klimaschutzziele beizutragen, und wo sehen Sie Stellschrauben, um Wohnungseigentümer zur Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen zu motivieren?
Für die Erreichung der vereinbarten Klimaschutzziele spielen energetische Verbesserungen von Bestandsimmobilien eine große Rolle. Dies gilt auch für die Wohnungseigentümergemeinschaften, deren Gebäude oftmals aus den 60er oder 70er Jahren stammen und in der Regel ein hohes Energieeinsparpotenzial aufweisen, das es zu heben gilt.

Energetische Sanierungen sind anspruchsvoll und erfordern ausgewiesene Sach- und Fachkunde von Verwaltern. Gleichermaßen ist es unerlässlich, dass Verwalter in der Lage sind, den Prozess der Willensbildung von Wohnungseigentümergemeinschaften effizient zu organisieren. Die erforderliche Einigung zur Durchführung von entsprechenden energetischen Maßnahmen ist aufgrund der Heterogenität der Wohnungseigentümer oftmals schwierig. Nicht alle Wohnungseigentümer sind finanziell gleich gut aufgestellt und können die Kosten einer energetischen Modernisierung ohne Weiteres tragen. Wichtig ist daher, Wohnungseigentümer umfassend über die bestehenden Förderprogramme der Bundesregierung zur energetischen Sanierung und ggf. bestehende Landesprogramme zu beraten.

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Bohle, Anne Katrin

Die Vorsitzende des Ausschusses für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen der Bauministerkonferenz ist seit 25. März 2019 beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI).