02.12.2022 Ausgabe: 8/22

Das Problem der Babyboomer

Wie sich der Fachkräftemangel auf die Bewertung von Verwaltungsunternehmen auswirkt.

Unternehmenswerte von Immobilienverwaltungen korrelieren mit den verschiedensten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Lange meter, der in den letzten Jahren Kaufpreise und Transaktionen zunehmend beeinflusst: Personalqualität und -quantität rücken bei Erwerbern wie auch bei Verkäufern mehr und mehr in den Fokus. Waren vor fünf Jahren gut strukturierte Verwaltungsbestände und Unternehmen mit eher überaltertem Personalkörper noch problemlos zu vermitteln, wird heute häufig schon vor dem Beginn ernsthafter Verhandlungsgespräche nach dem Personalportfolio des Zielunternehmens gefragt – eine Folge des Fachkräftemangels, der auch Erwerber trifft, die, anders als früher, kaum personelle Ressourcen für eventuelle Unternehmenszukäufe mehr vorhalten. Es liegt auf der Hand, dass Immobilienverwaltungen oder auch reine Verwaltungsbestände ohne qualitativ und quantitativ adäquaten Personalkörper zunehmend schwerer verkäuflich sein werden.

Neue Herausforderungen
Viele der in den kommenden Jahren aus dem Erwerbsle- ben ausscheidenden Inhaber der Generation Babyboo- mer – das sind die Jahrgänge 1958 bis 1965 – stehen nun vor der Herausforderung, diese Situation zu meistern: Der Personalstamm ist über Jahrzehnte mitgewachsen und entspricht altersmäßig etwa dem Inhaber. Aus einer von Dr. Adams Consulting durchgeführten Umfrage geht deutlich hervor, dass die Generation der Babyboomer eher frustriert ist von den Möglichkeiten, motivierte und qualifizierte jüngere Mitarbeiter oder Führungskräfte zu gewinnen. In zahlreichen Gesprächen zeigte sich, mit welchen Aspekten sich die heute unternehmerische Verantwortung Tragenden auseinandersetzen müssen und wie schwer sie sich damit tun.

Einstellungen ändern sich
Die Grundeinstellung zur Arbeit hat sich geändert: Beruf, Verantwortung und Karriere sind jüngeren Generationen weniger wichtig. War das stabile Beschäftigungsverhältnis in einem etablierten Unternehmen früher Statussymbol, wird heute der Wunsch nach einer verkürzten Wochenarbeitszeit häufig schon im Bewerbungsgespräch geäußert. Sprach man vor wenigen Jahren noch von Work-Life- Balance, zeigt sich heute der Trend zur Life-Life-Balance. Das Anspruchsdenken bei Bewerbern nimmt zu, der Fachkräftemangel eröffnet ihnen neue Perspektiven.

Eine „Gesellschaft von Erben“ beeinflusst die Arbeitsmo- tivation und Lebenseinstellung: Nach 70 Jahren ohne Krieg haben die älteren Generationen Vermögen aufgebaut, die in absehbarer Zeit vererbt werden – für viele jüngere Arbeitskräfte Grund genug, beruflich eher kürzer treten zu wollen. Den meisten älteren Unternehmern und Führungskräften ist diese Einstellung fremd, aber ihre Statussymbole wie Auto, Haus und Urlaubsreisen sind potenziellen Nachwuchskräften nicht mehr so wichtig, denn schließlich werden sie ihre Vermögenswerte erben. 

Die Ausbildungsqualität hat nachgelassen: Schon die ersten Pisa-Studien ließen vor 20 Jahren erkennen, dass Deutschland mit Blick auf das Bildungsniveau in vielen Disziplinen nicht mehr zur Spitzengruppe gehört. Ein aktuelles Beispiel unterstreicht das: Die Studie „IQB-Bildungstrends 2022“ zeigt, dass das heutige Niveau der Viertklässler in Mathematik und Lesen dem von 2016 um drei Monate hinterher hinkt. Verglichen mit 2011 sind es sogar sechs Monate. Die Gründe sind vielfältig, aber eines ist gewiss: Solche Defizite „begleiten“ die Betroffenen und somit unsere Gesellschaft ein ganzes Leben lang. 

Folgen der gesellschaftlichen Entwicklung
Mittelständische und größere Verwaltungsunternehmen versuchen dem Fachkräftemangel mit Digitalisierungsstrategien zu begegnen. Das ist zwar alternativlos, aber heute primär kapitalstarken größeren Verwaltungen vorbehalten, wobei sich darüber hinaus positive Effekte meist erst mittelfristig zeigen. Für Unternehmer, die bereits an die Veräußerung ihres Lebenswerks denken, sind diese nicht unerheblichen Investitionen nahe am Verkaufszeitpunkt meist kein Wunschszenario. Ohne sie aber steigt – bedingt u. a. durch die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes und das sukzessive erhöhte Anforderungsprofil an Verwaltungen – das Arbeitsvolumen der gesamten Belegschaft inklusive des Geschäftsführers und Inhabers weiter an. Die zugleich nur unwesentlich über der Inflationsrate liegende Anpassung der Vergütung – laut Branchenbarometer 2022 waren es seit 2010 nur ca. 1,35 Prozent p. a. in der WEG-Verwaltung und 0,95 Prozent p. a. in der Mietverwaltung – führt in der Branche selbstredend nicht zu einer optimistischen Zukunftserwartung. Dies auch, weil wegen der steigenden Inflation, Energiekosten und Zinsen eine angemessene Anpassung der Vergütung an die Dienstleistung kurzfristig meist nicht durchsetzbar ist. 

Der Effekt abnehmender Personalqualität und -quantität auf die Unternehmenswerte wird mit der Zeit stärker: Ist das Personal überfordert, leidet da- runter die erbrachte Dienstleistung, was geringere Umsätze und in der Folge einen Gewinnabrieb nach sich zieht. Die Unternehmenswerte der betroffenen Verwaltungen unterliegen dann gleichfalls einem Abrieb, womit die Eingangsfrage nach der Korrelation zwischen Personalmangel und Unternehmens- werten beantwortet wäre.

Besserung ist zumindest unter der hier dargestellten Entwicklung und ihren wirtschaftlichen Folgen kurz- fristig für einen großen Teil der Verwaltungen nicht in Sicht. In Bezug auf das Personal wird diese Gemenge- lage bei den Babyboomern verstärkt dazu führen, ihre Unternehmen eher früher zu veräußern – nach der Devise: „Bevor ich gar nichts mehr dafür bekomme …“

Fazit
Die zunehmende Bereitschaft älterer Marktteilnehmer, ihr Lebenswerk zu veräußern, nimmt insbesondere durch die kritische, sich negativ auf Ertragschancen und Unternehmenswerte auswirkende Personal- und Mitarbeitersituation zu.

Hohe Investitionen in die Digitalisierung des eigenen Unternehmens können nur zum Teil fehlende qualifizierte Kräfte kompensieren.

Immobilienverwaltung ist nach wie vor ein „People Business“, das auf intelligenter Kommunikation, beispielsweise bei Eigentümerversammlungen, beruht. Viele Kunden sind aber noch nicht bereit, die bei Direktbanken schon üblichen vollkommen digitalisierten Abläufe zu akzeptieren. Ein zu hoher Digitalisierungs- grad kann somit sogar zu Kundenverlusten führen. In diesem Spannungsfeld bewegen sich insbesondere Inhaber kleinerer und mittlerer Verwaltungen. Sie müssten einerseits fehlendes Personal kompensieren, stoßen andererseits aber auf zu geringe Akzeptanz ihrer Kunden für den notwendigen Digitalisierungsgrad. Die manchmal sinnvolle „Wait and See“-Strategie wird sich auf die Unternehmenswerte der Babyboomer kaum positiv auswirken.

Adams, Dr. Stefan G.

geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Adams GmbH & Co. KG, akkreditierter Trainer der DMA, Wiesbaden, Coach und Berater für Verkäufer und/oder Käufer