18.05.2020 Ausgabe: vdivDIGITAL 2020

Die Grenzen verschwimmen - New Work, agile Transformation und die arbeitsrechtlichen Konsequenzen

Die Digitalisierung verändert die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in den Betrieben zusehends. Geschwindigkeit, Transparenz und Flexibilität nehmen zu. Neue, agile Arbeitsmethoden werden gelebt. Diese Veränderungen werden allgemein mit den Oberbegriffen New Work oder Arbeiten 4.0 bezeichnet. Was verbirgt sich konkret hinter diesen Begriffen? Müssen Arbeitnehmer geschützt werden, weil die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit zunehmend verschwimmen? Dieser Beitrag gibt einen Überblick.

Die Unternehmenskultur verändert sich
Viele Unternehmen befinden sich im Wandel. Tradierte Formen der Zusammenarbeit hemmen die Kreativität und sind für Bewerber in Zeiten des Fachkräftemangels unattraktiv. Unternehmen schaffen daher neue Arbeitswelten, die Kommunikation und Geschäftsentwicklung erleichtern sollen und die nichts mehr mit dem Kickertisch im Büro zu tun haben. Einzelbüros werden aufgelöst und Arbeitnehmer können ihren Arbeitsplatz im Großraumbüro täglich neu wählen (desk sharing). Für vertrauliche Kommunikation gibt es Rückzugsräume. Zugleich wird eine modernere Arbeitsorganisation geschaffen. Arbeitszeiten werden flexibler gestaltet und Möglichkeiten geschaffen, „mobil“ zu arbeiten oder im Homeoffice. In größeren Unternehmen werden im Zuge dessen oftmals auch ganze Organisationsstrukturen verändert. Flache Hierarchien, interdisziplinäres Arbeiten und damit einhergehend mehr Eigenverantwortung des Einzelnen sollen die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Hierbei werden häufig agile Arbeitsmethoden wie Scrum angewendet. Arbeitsergebnisse werden im Rahmen des agilen Arbeitens nicht mehr „starr“ vorgegeben, sondern durch das agile Team in sogenannten „Sprints“ erarbeitet und immer wieder hinterfragt. Regelmäßige Feedback-Runden – auch „Retros“ genannt – sollen dabei die künftige Zusammenarbeit verbessern.

Arbeitsrechtliche Aspekte
Derartige Veränderungen haben eine große arbeitsrechtliche Komponente. Es kommt maßgeblich auf die Gestaltung des Arbeitsvertrags an, ob zum Beispiel einem Arbeitnehmer ein Einzelbüro oder Personalverantwortung einseitig entzogen werden kann. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit ist wiederum nur in den strengen Grenzen des deutschen Arbeitszeitrechts möglich. Die maximale Höchstarbeitszeit von acht bzw. zehn Stunden und die ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden nach Beendigung der Arbeitszeit sind einzuhalten, will man als Unternehmer keine Ordnungswidrigkeit begehen. Diesbezüglich gibt es seit Jahren Rufe aus dem Arbeitgeberlager, das Arbeitszeitrecht zu flexibilisieren, etwa indem eine Wochenarbeitszeit geschaffen wird, die es problemlos erlaubt, an einem Wochentag länger zu arbeiten und dafür an einem anderen kürzer. Schließlich werden infolge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bald neue Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung auf die Unternehmen zukommen, welche mit Blick auf die vielfach gelebte „Vertrauensarbeitszeit“ erhebliche Probleme mit sich bringen werden.

In Bezug auf das mobile Arbeiten bzw. die Arbeit im Homeoffice ist wiederum besondere Sorgfalt in die vertragliche Ausgestaltung zu legen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer die Arbeit im Homeoffice wieder zu entziehen. Hier kann eine unwirksame Klausel schnell dazu führen, dass der Arbeitnehmer dauerhaft berechtigt ist, mobil bzw. aus dem Homeoffice zu arbeiten. Hierzu bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung tatsächlich einen „Anspruch auf Arbeit im Homeoffice“ gesetzlich regeln wird. Ein solcher würde sicher die betriebliche Realität verkennen. Nicht jede Tätigkeit ist nämlich dazu geeignet, von zu Hause oder mobil ausgeübt zu werden. Zudem würde durch einen solchen Anspruch zu stark in das dem Arbeitgeber zustehende Weisungsrecht eingegriffen.

Ein Fall für den Betriebsrat?
Die vorstehend skizzierten Veränderungen sind auch mit einer Vielzahl von Beteiligungsrechten des Betriebsrats verbunden, sofern ein solcher gebildet ist. Ändert sich der Inhalt oder der Ort der Arbeit, handelt es sich im Zweifel um eine Versetzung, die eine Beteiligung des Betriebsrats verlangt. Änderungen der Arbeitszeitgestaltung unterliegen einem zwingenden Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Die Einführung agiler Arbeitsmethoden kann wiederum den Tatbestand der „Gruppenarbeit“ erfüllen oder aber eine Betriebsänderung auslösen, welche Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen sogenannten Interessenausgleich und Sozialplan verlangt. Im Vorfeld muss daher umfassend geprüft werden, welche Maßnahmen geeignet sind, Beteiligungsrechte des Betriebsrats auszulösen. Dies gilt umso mehr, als viele Betriebsräte erkannt haben, dass die Vorteile von New Work auch Nachteile für die Arbeitnehmer mit sich bringen können.

Mobiles Arbeiten führt zur Entgrenzung von Arbeit, da Arbeits- und Freizeit verschwimmen. Damit kann nicht jeder umgehen. Mehr Eigenverantwortung in agilen Organisationsstrukturen ist wiederum nicht jedermanns Sache. Es gibt durchaus Arbeitnehmer, die klare Anweisungen erhalten möchten und nicht selbst entscheiden wollen, was der nächste sinnvolle Arbeitsschritt ist. In vielen Unternehmen sind deshalb Transformationsprozesse auch mit dem Verlust von Arbeitskräften verbunden, die nicht gewillt sind, diese Veränderungen mitzumachen. Dies müssen sich Arbeitgeber vor Augen führen, wenn sie ihr Unternehmen erfolgreich transformieren ­wollen.

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Ludwig, Dr. Daniel

Der Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland berät u. a. bei der Konfliktlösung mit Gewerkschaften und Betriebsräten, beispielsweise im Zusammenhang mit der Nutzung von IT-Systemen und der Einführung agiler Organisationsformen.www.cms-hs.com