20.04.2020 Ausgabe: 2/20

Die Online-Eigentümer­versammlung Was steht dazu im Referentenentwurf zur WEG-Reform?

Pioniergeist und Durchhaltevermögen von Wohnungseigentümern und Verwaltern in Sachen Digitalisierung tragen Früchte. Die Online-Teilnahme an der Eigentümerversammlung wird aller Voraussicht nach Gesetz werden. Während der Gesetzgeber einer rein virtuellen Versammlung, deren Versammlungsort also der Cyberspace ist, ablehnend gegenübersteht, wird eine Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung künftig rechtlich zulässig sein. Allerdings müssen die Wohnungseigentümer dies beschließen.

Stand und Zielsetzung des Gesetzgebungsverfahrens
Im Januar 2020 legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den Referentenentwurf zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes (nachstehend WEG-E) vor. Der Entwurf will es Wohnungseigentümern ermöglichen, die Chancen der Digitalisierung stärker zu nutzen als bisher, insbesondere indem die Online-Teilnahme an Versammlungen (§ 23 Abs. 1 S. 2 WEG-E) und die elektronische Beschlussfassung im Umlaufverfahren gestattet werden (§ 23 Abs. 3 WEG-E). Der Referentenentwurf greift den Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur WEG-Reform aus dem August 2019 auf. Darin wurde vorgeschlagen, keine Beschlusskompetenz zur Einführung einer rein virtuellen Online-Versammlung zu schaffen, sondern es – wie bisher – bei der Präsenzversammlung als physisch-realem Ort der Willensbildung zu belassen, dafür aber die Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung zu ermöglichen (dazu Seite 61 und 62 des Abschlussberichts). So könnte etwa der Verwalter die Eigentümerversammlung in seinen Geschäftsräumen (in einem dafür geeigneten Versammlungsraum) einberufen. Eigentümer könnten persönlich erscheinen, Stimmrechtsvollmachten erteilen und/oder sich online zuschalten. Selbst wenn kein einziger Wohnungseigentümer körperlich oder online teilnähme, der Verwalter also die einzige physisch anwesende Person im Versammlungsraum wäre (sog. Geisterspiel), würde es sich im rechtlichen Sinne um eine Präsenzversammlung handeln.

Anstelle des Textvorschlages im Abschlussbericht, wo es heißt: „Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass die Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und ihre Rechte im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.“, hat nunmehr folgende Gesetzesformulierung Eingang in § 23 Abs. 1 S. 2 WEG-E gefunden: „Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.“ Die geringfügige Ergänzung des Wortlauts lehnt sich an § 118 Aktiengesetz (AktG) an. Auch dort ist klargestellt, dass Mitgliedschaftsrechte insgesamt oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausgeübt werden können, wenn dies entsprechend vorgesehen ist.

Legitimation durch Beschlussfassung erforderlich
Für das künftige Wohnungseigentumsgesetz bedeutet die Regelung, dass Eigentümer ihre Mitgliedschaftsrechte nicht ohne Weiteres online ausüben dürfen. Vielmehr bedarf es einer Beschlussfassung. § 23 Abs. 1 S. 2 WEG-E führt eine gesetzliche Beschlusskompetenz ein. Rechtsfolge wird sein, dass Beschlüsse, die in generell-abstrakter Weise die Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung gestatten und/oder in den Einzelheiten näher regeln, nicht mangels Beschlusskompetenz nichtig sein werden. Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage wird dies durchaus anders gesehen, wenn unter Hinweis auf die Formulierung von § 25 Abs. 3 WEG („[…] die erschienenen […] Wohnungseigentümer […]“) die Präsenzversammlung zum gesetzlichen Leitbild erhoben wird. Abgesehen davon, dass die im aktuell noch geltenden § 25 Abs. 3 WEG geforderte Beschlussfähigkeit gemäß § 25 WEG-E ohnehin wegfallen soll, kann angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Regelung kein Zweifel mehr an der Zulässigkeit der Online-Teilnahme bestehen.

Für die Praxis stellt sich die Frage, ob in deutschen Wohnungseigentümergemeinschaften ausreichende Mehrheiten zustande kommen werden, um die Online-Teilnahme zu legitimieren und näher auszugestalten. Ein besonderes Quorum ist nicht erforderlich. Es genügt die einfache Stimmenmehrheit. Sollte ein entsprechender Antrag von den Wohnungseigentümern mehrheitlich abgelehnt werden, würde sich im Rahmen einer Beschlussklage (auf Beschlussersetzung) die Frage stellen, ob und inwieweit der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung gemäß § 21 Abs. 4 WEG (entspricht § 18 Abs. 2 WEG-E) besteht, den Online-Zugang entweder allgemein – für jede Eigentümerversammlung – oder zumindest im konkreten Einzelfall gestatten zu müssen. Letzteres kann juristisch relevant werden, wenn eine generell-abstrakte Beschlussfassung bislang nicht erfolgt ist, in einer konkret einberufenen und eröffneten Eigentümerversammlung sodann aber ein ortsferner Wohnungseigentümer die Online-Zuschaltung verlangt, z. B. über Smartphone, Tablet oder Laptop des Verwalters, eines Miteigentümers oder eine im Versammlungsraum eingerichtete Video-Konferenzschaltung.

Neue Herausforderungen für die Versammlungsleitung
Für Wohnungseigentumsverwalter, die frühzeitig einen Marktvorteil anstreben, bietet es sich an, die notwendige technische Ausstattung anzuschaffen und vorzuhalten, insbesondere eine funktionsfähige und sichere digitale Übertragungstechnik. Die Wahrscheinlichkeit, einen Mehrheitsbeschluss für die Optierung zur Online-Teilnahme zustande zu bringen, der den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht, wird größer sein, wenn der Verwalter das Equipment mitbringt. In eigenen Büroräumen kann dies bedeuten, Bildschirm(e) sowie digitale Kommunikations- und Abstimmungstechnik bereitzustellen, die es Online-Teilnehmern ermöglicht, sich in Bild und Ton in die Präsenzversammlung zuzuschalten und im Wege elektronischer Kommunikation abzustimmen. Werden externe Räume angemietet, kann ebenfalls auf eine entsprechende technische Ausrüstung geachtet werden. Nehmen Wohnungseigentümer künftig online an einer Präsenzversammlung teil, muss der Verwalter in seiner Funktion als Versammlungsleiter seine Moderationstechnik neu entwickeln (Grundsatz der Gleichbehandlung von Präsenz- und Online-Teilnehmern).
Es liegt nahe, dass auf die Möglichkeit, online an der Präsenzversammlung teilzunehmen, in der Einladung hingewiesen werden muss. Um die Nichtöffentlichkeit der Präsenzversammlung und die Sicherheit personenbezogener Daten zu gewährleisten, wird es technischer Legitimationsnachweise bedürfen. Die Eingabe von PIN, Fingerabdrücken oder ein Face-Screening sind schon jetzt in vielen Bereichen üblich und möglich. Des Weiteren kann darüber nachgedacht werden, ob jeder Eigentümer, der online an einer Abstimmung teilnimmt, von der Gemeinschaft bzw. dem Versammlungsleiter eine elektronische Bestätigung über den Zugang der elektronisch abgegebenen Stimme beanspruchen kann, wie es seit dem 1.1.2020 in § 118 Abs. 1 S. 3 AktG angeordnet ist.

Möglichkeiten und Grenzen der gesetzlichen Beschlusskompetenz zur Online-Teilnahme
Es ist anzunehmen, dass Wohnungseigentümern im Rahmen ihrer Entscheidung, ob und inwieweit sie die Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung ganz oder teilweise erlauben, ein weiter Beurteilungs-, Gestaltungs- und Ermessensspielraum eröffnet ist. Sie müssen sich an den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung orientieren, dabei aber insbesondere auch den Kernbereich der Mitgliedschaft im Blick behalten. Nach gegenwärtiger höchstrichterlicher Rechtsprechung führen Eingriffe in den Kernbereich der Mitgliedschaft ohne Zustimmung des Rechtsinhabers (Eigentümers) zur (ggf. schwebenden) Unwirksamkeit gefasster Beschlüsse. Der Vergleich der Gesetzesformulierungen im Abschlussbericht einerseits und im Referentenentwurf andererseits macht deutlich, dass angestrebt wird, der Mehrheit unterschiedliche Gestaltungen zu ermöglichen. Wenn gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 WEG-E „sämtliche oder einzelne der Rechte ganz oder teilweise“ im Wege elektronischer Kommunikation ausgeübt werden können, heißt das auf den ersten Blick, dass nicht zwingend sämtliche versammlungsbezogenen Mitgliedschaftsrechte in gleicher Weise online ausgeübt werden können müssen, wie dies bei einer persönlichen Teilnahme in der Präsenzversammlung der Fall ist. Denkbar wären beispielsweise Beschränkungen des Rede- und Fragerechts (zeitliche Beschränkung, nur Recht auf Frage ohne Recht auf Antwort, Fragen nur in Textform über eine Chat-Funktion). Allerdings muss in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung des Mitgliedschaftsrechts genügend berücksichtigt werden. Die Ausschaltung aktiver Mitgestaltungsrechte könnte daher wohnungseigentumsrechtlich unzulässig sein und nicht nur zur Anfechtbarkeit, sondern Nichtigkeit eines Beschlusses führen. Dies muss diskutiert werden. Die passive Teilnahme an einer Präsenzversammlung durch uneingeschränkte Bild- und Tonübertragung wird online zugeschalteten Wohnungseigentümern nicht zu nehmen sein. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Online-Stimmrechts könnte ebenfalls unzulässig sein. Bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses dürften online zugeschaltete Wohnungseigentümer, die nicht elektronisch abstimmen können bzw. dürfen, nicht zu berücksichtigen sein. Wird im Subtraktionsverfahren abgestimmt, wären die Stimmenanteile folglich von der Präsenz abzuziehen. Technische Störungen während der Online-Teilnahme dürften entsprechend der Rechtslage im Aktienrecht (§ 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG) dagegen grundsätzlich keinen Anfechtungsgrund für eine Beschlussklage darstellen.

Anders als im Aktienrecht, wo die Satzung vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen kann vorzusehen, dass Aktionäre an der Hauptversammlung online teilnehmen, ist eine entsprechende Verwalterermächtigung in § 23 WEG-E nicht vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, ob Wohnungseigentümer gleichwohl über ihre gesetzliche Beschlusskompetenz eine allgemeine Verwalterermächtigung beschließen können und dürfen. Vorteil einer solchen Beschlussfassung wäre, dass die konkrete Ausgestaltung der Online-Teilnahme stets dem pflichtgemäßen Ermessen des Verwalters unterstellt wäre.

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Schmidt, Dr. Jan-Hendrik

Der Partner der Hamburger Sozietät W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt ist Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der ARGE Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein (DAV)