08.03.2023 Ausgabe: 2/23

Dramatische Lage im Wohnungsbau

Das ist jetzt zu tun! Gemeinsamer Appell von 17 Verbänden und Kammern an die Bundesregierung 

In Deutschland fehlt Wohnraum. 17 namenhafte Verbände haben daher Anfang Dezember 2022 einen Aufruf an die Bundesregierung formuliert, darunter auch eine Forderung nach der Einführung moderner Beschlussverfassungs-Tools wie der Online-Eigentümerversammlungen. Zusätzlich fordert der VDIV Deutschland ein Sonderkonjunkturprogramm, um endlich zu verhindern, dass die Neubauzahlen weiter einbrechen und energetische Sanierungen unterbleiben.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist alarmierend, so der Appell. Während der Wohnungsneubau weiterhin stark rückläufig ist, besteht in Deutschland nach wie vor enormer Bedarf an (kostengünstigem) Wohnraum – vor allem in den Ballungszentren. Hohe Bau-, Energie- und Materialkosten, gestiegene Zinsen, langwierige Bau- und Planverfahren sowie eine mehrfach zusammengebrochene Wohnungsbauförderung führen zu einer Abwärtsspirale im Wohnungsbau – mit gravierenden Folgen. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregie- rung gegenzusteuern sind bislang unzureichend, zumal der Bedarf allein angesichts der Millionen von Men- schen, die der Krieg in der Ukraine in die Flucht treibt, in den nächsten Monaten weiter anwachsen wird.

Es braucht einen neuen, entschiedenen Kraftakt. Und zwar jetzt.

Im Jahr 2021 wurden nur noch 293.393 Wohnungen neu gebaut. 2022 wird diese Zahl aller Voraussicht nach noch unterschritten. Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass es im Jahr 2023 einen dramatischen Einbruch ge- ben wird. Das Ziel der Koalition, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, droht Wunschdenken zu werden.

Der fortschreitende Abstieg muss gestoppt werden. Dringend.

Die Verbände und Kammern der Planungs-, Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft wollen bauen, sollen bauen, können es unter den aktuellen Bedingungen aber oft nicht. Wohnraum leistet einen entscheidenden Beitrag zum sozialen Zusammenhalt, weshalb die Bundesregierung alles unternehmen muss, den Menschen in Deutschland bezahlbaren und ausreichenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wir unterstützen sie dabei mit voller Kraft, brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen in Verbindung mit echter Deregulierung. Wir fordern die Bundesregierung gemeinsam auf, die folgenden Schritte schnellstmöglich gemeinsam anzu- gehen.

1. Wohnungsbau muss Chefsache werden

Der tatkräftige Einsatz von Bundesbauministerin Klara Geywitz braucht die Unterstützung aller beteiligten Ressorts der Bundesregierung. Es ist Zeit für eine mutige Steuerung auf oberster Ebene. Bundeskanzler Olaf Scholz muss den Wohnungsbau zur Chefsache machen und sein Kabinett zu einer gemeinsamen Offensive antreiben.

2. Gesicherte Förderkulisse und moderne Beschluss-Tools endlich vorlegen

Nach mehrfachen Förderstopps muss die Bundesregierung die bis Ende 2022 angekündigte Gesamtplanung der Förderung von Neubau und Sanierung endlich vorlegen. Ohne ein rundes Konzept werden bezahlbarer Wohnraum und die Sanierung des Gebäudebestands unmöglich. Dazu zählen auch moderne Beschluss-Tools wie die Online-Eigentümerversammlung.

3. Zielgenaue Neubauförderung – verlässliche Bedingungen bis Jahresbeginn schaffen

Beim Neubau müssen Förderung und Anreize die Wirtschaftlichkeitslücke schließen. Benötigt wird eine Neubauförderung zu Jahresbeginn in Höhe von zehn Mrd. Euro für bezahlbaren Wohnraum.

4. Zügig Grundstücke bereitstellen

Baureife Grundstücke, geeignete Konversionsflächen und Bestandsflächen sind entscheidend. Sie sind laut Bundesregierung vorhanden und müssen nur aktiviert werden. Mit einem digitalen Liegenschafts- und Gebäudekataster für potenziellen Wohnraum sowie einer Vereinfachung von Grundstücksvergabeverfahren könnte schnell Wohnraum geschaffen werden. Vergabe- und Genehmigungsverfahren dürfen nicht länger als drei Monate dauern, vom Erbbaurecht soll nur in Ausnah- men Gebrauch gemacht werden.

5. Durch eine Experimentierklausel

Verfahren erleichtern Über eine Experimentierklausel, wie beispielsweise den Gebäudetyp E, oder Reallabore sollte für den Wohnungsbau ein Abweichen von Gesetzen, Normen und Standards ermöglicht werden. Damit wird signalisiert, dass trotzdem gefahrlos und zügig Wohnungen gebaut werden können – auch umwelt- und klimaschonend. Die Bundesregierung hat in Krisensituationen schon mehrfach gezeigt, schnelle regulatorische Entscheidungen treffen zu können, und sollte dies auch für den Wohnungsbau tun.

6. Umwidmung und Umbau erleichtern

Gebäude, deren Nutzung entfallen ist (zum Beispiel Büro- oder Handelsimmobilien), zu sanieren und zu qualifizieren, statt sie abzureißen, ermöglicht, dass eingesetzte Rohstoffe und Materialien weiter genutzt werden und bezahlbarer Wohnraum entstehen kann. Hierzu ist bei Veränderung und Umnutzung von Bestandsgebäuden von der Aufsichtsbehörde zu begründen, warum die Erfüllung der aktuellen Bauordnungsvorschriften gefordert wird; anderenfalls soll Bestandsschutz gelten, um so die Kosten der Umnutzung zu reduzieren.

7. Flächendeckend serielles, modulares und typisiertes Bauen ermöglichen

Modulare, serielle und typisierte Bauweise kann in Kombination mit digitalen Tools einen Beitrag zur Schaffung vieler bezahlbarer qualitätvoller und klimaschonender Wohnungen leisten. Darauf muss das Bundes- und Landesrecht zügig ausgerichtet werden. Typisierte Wohngebäude, die in den Landesbauordnungen verankert sind, beschleunigen darüber hinaus die Errichtung neuer Wohngebäude, weil der Planungszeitraum dadurch we- sentlich verkürzt wird.

8. Baukosten durch Steuerpolitik senken

Es gilt, steuerliche Belastungen, etwa die Grunderwerbsteuer, aktuell auszusetzen, da sie die Eigentumsbildung gerade für Familien unnötig erschwert. Zusätzliche Anreizwirkung schafft eine degressive Sonder-AfA, welche die zugesagte Erhöhung der linearen Abschreibung ergänzt. Zudem sollte der Mehrwertsteuersatz für den sozialen Wohnungsbau auf sieben Prozent gesenkt werden.

9. Mit gezielter Rohstoffstrategie Kostensteigerungen entgegenwirken

Um Versorgungssicherheit mit Baumaterialien zu gewährleisten und extremen Preisschwankungen vorzubeugen, bedarf es einer gezielten Rohstoffstrategie, die auf die Ausschöpfung nationaler Rohstoffabkommen ebenso setzt wie auf eine effektive Kreislaufwirtschaft mit schlanken Zulassungsverfahren für Recycling-Baustoffe. Eine Vorfestlegung auf einzelne Baustoffe wäre kontraproduktiv, es muss Technologieoffenheit gewähr- leistet werden. 10. Schnelle Umsetzung der Wohngeldreform Um soziale Härte zu vermeiden, sollte die Wohngeldreform schnell und umfassend umgesetzt werden.

11. Mehr Klimaschutz, aber mit intelligenten Maßnahmen

Weitere Belastungen privater Bauherren und Unternehmen zur Verbesserung des Klimaschutzes bedürfen eines Kosten-TÜV unter der Kontrolle des Bundeskanzleramts. Kostengünstigere Maßnahmen zum Erreichen von mehr Nachhaltigkeit erhalten den Vorzug, reine Energieeffizienzmaßnahmen wie EH 40 werden nicht eingeführt.

12. Praxis-Check einführen

Zahlreiche Maßnahmen aus dem Bundeswirtschaftsministerium werden mit der Branche gar nicht oder nur mit kurzen Reaktionszeiten abgestimmt. Es bedarf eines Dialoges, der sich am positiven Beispiel des Bundesbauministeriums orientiert.

Die Unterzeichner des am 2. Dezember 2022 im Original veröffentlichten Appells

Bund Deutscher Architekten
Bundesarchitektenkammer
Bundesingenieurkammer
Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden Bundesverband deutscher Baumeister Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel
Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen
Dachverband Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft (BID) GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB)
Haus & Grund
Immobilienverband Deutschland (IVD) Verband Beratender Ingenieure
Verband der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV)
Verband deutscher Pfandbriefbanken Zentraler Immobilien Ausschuss Zentralverband des Deutschen Handwerks Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB)

Albrecht-Metzger, Babette

Rechtsanwältin, Referentin Recht des VDIV Deutschland