20.01.2023 Ausgabe: 1/23

Mehr Fortschritt wagen

Offener Brief zur Einführung von elektronischen Eigentümerversammlungen

Um der Notwendigkeit der gesetzlichen Verankerung reiner Online-Eigentümerversammlungen als Durchführungsmöglichkeit Nachdruck zu verleihen, haben sich Präsidium und Geschäftsführung der VDIV Deutschland an Bundesminister Dr. Marco Buschmann gewandt und erneut dafür ausgesprochen, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Referentenentwurf vorlegt. Ausgangspunkt war ein in der Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (ZMR), Ausgabe 10/2022, veröffentlichter Brief, in dem sich neun Juristen, darunter u. a. Wolfgang Dötsch, Dr. Oliver Elzer und Prof. Dr. Florian Jacoby, offen gegen die Einführung reiner Online-Versammlungen ausgesprochen haben. Die Praxis hat hier eine andere Auffassung, wie auch ein offener Brief mehrerer renommierter Unternehmen an den Justizminister zeigte. 

Eine Anfrage an die ZMR, ebenfalls zu Wort zu kommen, blieb unbeantwortet. Insgesamt sind in Deutschland 3.888 Fachanwälte für Miet- und Wohnungseigentums- recht  bei der Bundesrechtsanwaltskammer zugelassen. 

Sehr geehrter Herr Bundesminister, 

erst kürzlich wandten sich namhafte Immobilienverwaltungen an Sie und warben für die gesetzliche Einführung von reinen Online-Eigentümerversammlungen.

Nunmehr haben auch 17 weitere Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft in einem Appell die Bundesregierung aufgefordert, die Online-Eigentümerversammlung zeitnah einzuführen. Darunter auch der mit Abstand größte Verbraucherschutzverband für Wohnungseigentümer, Haus & Grund Deutschland. Wie Ihrem Haus bekannt ist, treten auch wir bereits seit Längerem für diese virtuelle Versammlungsform ein und sind ebenfalls Unterzeichner dieses Aufrufs. 

Der Wunsch nach reinen Online-Versammlungen und das damit verbundene Vorgehen deckt sich mit den Erfahrungen eines sehr großen Teils unserer über 3.600 Mitgliedsunternehmen, die bundesweit über acht Millionen Eigentumswohnungen treuhänderisch verwalten. Vielfach wünschen sich Eigentümer ausschließlich digitale Versammlungen, scheitern in der Praxis jedoch am Veto Einzelner. 

Ganz wenige Stimmen behaupten nun, reine Online-Versammlungen beschneiden die Rechte von Wohnungs- eigentümern. Das ist unzutreffend und praxisfern!

Wir möchten daher hier noch einmal zusammenfassend Argumente aufführen, die für die gesetzliche Einfüh- rung reiner Online-Wohnungseigentümerversammlungen sprechen:

1. Die Hybrid-Eigentümerversammlung  ist die falsche Plattform

Derzeit gibt es nur die Präsenz-Versammlung, denn auch die mögliche Hybrid-Versammlung ist eine Präsenz-Ver- sammlung, bei der sich einzelne Eigentümer mit elektronischen Kommunikationsmitteln zuschalten können, sofern ein vorheriger Beschluss getroffen wurde.

Der mit der hybriden Versammlung verbundene Auf- wand schreckt viele Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) und Verwalter ab. Es beginnt mit der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten, da zumindest für die Online- Teilnahme mit Bildübertragung eine stabile Internetverbindung notwendig ist. Die WEG-Versammlung wird dann häufig nicht mehr in der Gaststätte „um die Ecke“ für eine geringe Raummiete durchgeführt werden können. Darüber hinaus wird für die elektronische Kommunikation Technik benötigt, die entweder im Versammlungsraum angemietet oder vom Verwalter beschafft werden muss. Wenn der Verwalter dies übernimmt, wird er es gegenüber der WEG nur gegen eine Aufwandsentschädigung anbieten können. Gleiches gilt für den zusätzlichen Personalaufwand: Die Leitung einer Versammlung in Präsenz und die parallele Betreuung der Technik für die Online-Teilnahme kann eine Person i. d. R. nicht allein bewerkstelligen. Die dabei entstehenden zusätzlichen Kosten sind Eigentümer bereits heute vielfach nicht bereit zu tragen.

Die Sorge, dass technische Probleme in „fremder Um- gebung“ den Versammlungsablauf stören können, sind auch ein häufig gehörtes Argument gegen Hybrid-Versammlungen. Dies alles führt dazu, dass sich Präsenz- Eigentümerversammlungen mit Online-Elementen auch in Zukunft nicht durchsetzen werden. Die Theorie deckt
sich eben nicht immer mit der Praxis.

Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, die Präsenz-Versammlung durch die Online-Variante zu ersetzen. Vielmehr wird eine Ergänzung der derzeitigen Möglichkeiten angestrebt – nämlich die Schaffung einer Beschlusskompetenz, mit der die Eigen- tümer eine für ihre Eigentümergemeinschaft passende Lösung festlegen können.

2. Attraktivität der Verwaltertätigkeit und Abwahl von Eigentümergemeinschaften

Online-Versammlungen können grundsätzlich die Attraktivität des Verwalterberufs steigern. Ein wich- tiges Argument aus der Praxis ist, dass es WEG-Ver- waltern immer schwerer gelingt, Personal zu finden. Unter anderem spielt hier die Mehrbelastung durch Präsenz-Eigentümerversammlungen in den Abendstunden eine Rolle. Durchschnittlich verlassen rund 60 Prozent aller Neueinstellungen innerhalb der ersten beiden Jahre wieder die Verwalterbranche auch mit dem Hinweis, dass moderne Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Kunden fehlen. Ein bestürzender Trend, der den Fachkräftemangel weiter verschärfen wird. Online-Versammlungen wären somit ein Baustein, den Beruf des Immobilienverwalters, auch durch die damit
einhergehende bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, grundlegend attraktiver zu machen.

Der Fachkräftemangel führt dazu, dass viele Immobilien- verwaltungen ihre Bestände minimieren und aussieben sowie neue Eigentümergemeinschaften nicht mehr annehmen. Kleinere Eigentümergemeinschaften haben damit aktuell fast keine Möglichkeit, einen professionellen Verwalter zu finden. Reine Online-Versammlungen als Bestandteil des Verwaltervertrages würden auch hier die Abwanderung von Fachkräften aus dem Berufsfeld des Immobilienverwalters stoppen. Dazu bedarf es aber einer gesetzgeberischen Regelung.

3. Die Online-Versammlung erhöht die Teilnahme von Eigentümern

Im Gegensatz zu der Befürchtung, ältere oder bildungsbenachteiligte Eigentümer würden mit der Online-Versammlung ausgegrenzt, steht die (bislang nicht rechtssichere, aber) praxisnahe Beobachtung, dass eine prozentual höhere Teilnahme bei Online-Versammlungen zu registrieren ist und damit Beschlüsse auf Basis einer größeren Mehrheit getroffen werden – im Übrigen nahezu klimaneutral. Mobilitätseingeschränkte oder gesundheitlich beeinträchtigte Eigentümer hätten damit die Möglichkeit, an den Versammlungen teilzunehmen. Lange Anfahrtswege würden wegfallen. Eine Teilnahme ist auch bei Krankheit oder Urlaub möglich. Alleinerziehende benötigten keine zusätzliche Kinderbetreuung. Sollten Eigentümer tatsächlich nicht an einer Online-Versammlung teilnehmen können, steht es ihnen frei, Vollmachten zur Stimmabgabe zu er- teilen. Eine seit Jahrzehnten gelebte Praxis, wenn man die Präsenz-Versammlung nicht besuchen konnte. Letztlich hätte aber eine viel größere Gruppe von Eigentümern die Möglichkeit, an ihrer Eigentümerversammlung teil- zunehmen und die zu fassenden Beschlüsse mitzutragen. Online-Versammlungen sollen ein zusätzliches Instrument sein und die Möglichkeit der Präsenz- Versammlung ergänzen. So könnten z. B. außerordentliche Eigentümerversammlungen zu aktuellen Themen ohne großen Aufwand einberufen werden. Die Eigentümer könnten festlegen, über bestimmte Punkte online endgültig zu entscheiden – vergleichbar dem Umlaufbeschluss mit Mehrheit nach entsprechendem Absenkungsbeschluss. Wohnungseigentumsrechtlich könnten die Rahmenbedingungen für Online-Versammlungen relativ einfach präzisiert werden. Zudem kann der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle entsprechender Beschlüsse und Verwalterentscheidungen vorgenommen wird.

Gerade im Hinblick auf neue gesetzgeberische Vorgaben mit immer kürzer werdenden Umsetzungsfristen werden die Vorteile der Online-Eigentümerversammlung deutlich. Zwei Beispiele sollen dies zeigen.

4. Die Online-Versammlung als Instrument zeitnah umzusetzender Gesetze und Verordnungen

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 b EnSimiMaV sind Gaszentralhei- zungssysteme in Wohngebäuden mit mindestens zehn Wohneinheiten bis zum 30. September 2023 hydraulisch abzugleichen. Eine Einhaltung dieser Frist ist für WEG und Immobilienverwaltungen unmöglich. Zum einen muss für diese kostenaufwendige Maßnahme vor allem in größeren Wohnungseigentümergemeinschaften oft ein rechtswirksamer Beschluss auf Basis von vorliegenden Angeboten gefasst werden. Zum anderen finden in der Regel Eigentümerversammlungen frühestens im zweiten Quartal eines jeden Jahres statt. Vor dem Hintergrund der Anzahl an hydraulischen Abgleichen und dem Personalmangel in Verwaltungen wie auch bei den zu beauftragenden Unternehmen ist dies nicht umsetzbar.

Das beschlossene CO2KostAufG sieht vor, künftig die CO2-Kosten zwischen Vermieter und Mieter aufzuteilen. Vermieter können dabei ihre CO2-Bilanz verbessern, indem sie entsprechende energieeffiziente Maßnahmen am Gebäude umsetzen. Die dafür von der Verwaltung eingeholten Angebote sind jedoch aufgrund von Materialpreisen etc. nur für eine kurze Dauer gültig. Zu kurz, um eine zeitnahe Präsenz-Versammlung einzuberufen.

Mit dem Instrument der Online-Versammlung und der schnelleren Einberufungsmöglichkeit erhöhen sich zumindest die Chancen der Umsetzung. Beide Beispiele belegen die Dringlichkeit, das Instrument der reinen Online-Eigentümerversammlung gesetzlich zu verankern. Alle Mitglieder behalten dabei ihr Stimmrecht, da auch die Möglichkeit der Teilnahme per Telefon besteht. Das Stimmrecht kann wie bisher per Vollmacht übertragen und im Gesetz durch die Möglichkeit eines telefonischen Votums ergänzt werden.

5. Beschlusskompetenz zur Online-Versammlung wie bei baulichen Maßnahmen absenken

Über viele Jahre hinweg wurden umfängliche Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen in WEG blockiert, da die Zustimmung aller Eigentümer notwendig war. Mittlerweile
ist nicht mehr die Zustimmung aller Eigentümer erforder- lich, auch wenn dies durchaus mit hohen Kosten für vieleEigentümer verbunden ist. Mit dieser Regelung hat der
Gesetzgeber gezeigt, dass neue Regelungen umgesetzt werden können, auch wenn einzelne Eigentümer subjek- tiv eine Verringerung ihrer Rechte sehen, wenn dies im Gesamtinteresse sinnvoll ist. Hieran gilt es anzuknüpfen.

6. Gesetze können novelliert werden, da sie kein Haltbarkeitsdatum haben.

Wenn es die Praxis erfordert, sollte ein Gesetz novelliert und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Die deutsche Gesetzgebung kennt dafür viele vernünftige Beispiele.

Junge und ältere Menschen, die die Online-Möglichkeiten während der Corona-Pandemie kennengelernt haben, werden die Online-Versammlung als völlig normal wahrnehmen. Allein schon die Demografie wird uns zwingen, neue Wege einzuschlagen. Wir sind überzeugt, dass unsere praktischen Argumente für die Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung auch im Bundesjustizministerium in die Überlegungen eines bereits angekündigten Referentenentwurfs einfließen (Drs. 20/2506, S. 35).

Gern sehen wir Ihrer Antwort entgegen und stehen für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichem Gruß
Präsidium und Geschäftsführung des Verbandes der Immobilienverwalter Deutschland e. V.


Wolfgang D. Heckeler, Präsident; Sylvia Pruß, Vizepräsidentin;  Andre Jahns, Schatzmeister;  Ralf Michels, Präsidiumsmitglied; Marco J. Schwarz, Präsidiumsmitglied; Martin Kaßler, Geschäftsführer