21.01.2022 Ausgabe: 1/22

Mietrecht: Mietzinszahlung in der Pandemie

(OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.2.2021 – Az. 7 U 109/20 und OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 17.9.2021 – Az. 2 U 18/21 gegen OLG Dresden, Urteil vom 24.2.2021 – Az. 5 U 1782/20 und KG, Urteil vom 1.4.2021 – Az. 8 U 1099/20)

DAS THEMA
Die COVID-19-Pandemie beschäftigt jeden von uns persönlich, die Politik, die Wirtschaft, insbesondere den Einzelhandel, Hotels und Gaststätten, inzwischen auch die Rechtsprechung. Viele gewerbliche Mieter, vor allem der genannten Branchen, haben bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ihre Mietzahlungen reduziert. Zwar haben sich in der Praxis viele Vertragsparteien gütlich geeinigt, einige Streitigkeiten wurden jedoch inzwischen in zweiter Instanz von verschiedenen Oberlandesgerichten (OLG) entschieden. Über die beim Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen XII ZR 8/21 anhängige  Revision wurde dort zwar Anfang Dezember 2021 verhandelt, eine Entscheidung ist jedoch nicht vor Januar 2022 zu erwarten. Da viele Mietzahlungen aus dem ersten und zweiten Lockdown weiter ausstehen und die Lage sich über die Wintermonate erneut verschärfen könnte, lohnt sich ein Blick auf die bisherigen Entscheidungen zu Mietzinszahlungen während der Pandemie, in denen sich relativ klare Argumentationslinien abzeichnen.

 

Kündigungsstopp
Bevor die zum Thema oben genannten Urteile zum Einzelhandel und zum dort viel diskutierten Problem des Wegfalls der Geschäftsgrundlage betrachtet werden, soll noch kurz die sehr klare Rechtslage zu den Mietzinszahlungen für April bis Juni 2020 dargestellt werden: Hier hat der Gesetzgeber noch im März 2020 gehandelt und mit der Einführung von Art. 240 § 2 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) den sogenannten „Kündigungsstopp“ erlassen. Hiernach kann der Mieter nicht wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden, wenn er mit den Mieten für die Monate April, Mai und Juni 2020 im Rückstand ist. Es gilt eine Nachzahlungsfrist bis zum 30. Juni 2022. Erst wenn diese Mieten bis dahin nicht nachgezahlt worden sind, kann nach diesem Datum eine Zahlungsverzugskündigung darauf gestützt werden. Die Rechtsprechung (Kammergericht (KG), Urteil vom 1.4.2021, Az. 8 U 1099/20 und OLG Schleswig, Urteil vom 16.6.2021, Az. 12 U 148/20) hat inzwischen klar herausgearbeitet, dass diese drei Monatsmieten weiterhin fällig bleiben und hierfür bei einer Nachzahlung die gesetzlichen Verzugszinsen zu entrichten sind. Es handelt sich gerade nicht um eine Stundung. Diese Mieten können also jederzeit gerichtlich geltend gemacht und auch vollstreckt werden. Ebenso kann bei Ausbleiben dieser drei Mieten eine Kaution verwertet werden, wobei der Vermieter dann auch einen Anspruch auf das Wiederauffüllen der Kaution hat, den er gerichtlich durchsetzen kann. Sowohl für den Zahlungsanspruch als auch für den Wiederauffüllungsanspruch der Kaution ist das Urkundenklage-Verfahren eröffnet. Nicht entschieden ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob der Vermieter sein gesetzlich verankertes Kündigungsrecht ausüben kann, wenn die Kaution, die für die „Coronamieten“ gezogen wurde, nicht wieder aufgefüllt wird, oder ob dies einer Umgehung des Kündigungsstopps gleichkäme.

Höhe der geschuldeten Mieten
Durch den Kündigungsstopp nach Art. 240 § 2 EGBGB wurde gerade nicht geregelt, in welcher Höhe Mietzahlungen während des Lockdowns weiter geschuldet sind. Für die vom Lockdown besonders betroffenen Branchen wird diskutiert, ob die Miete während der pandemiebedingten behördlichen Schließungen wegen eines Mangels gemindert, wegen Unmöglichkeit einbehalten oder wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angepasst werden muss. Zu der viel diskutierten Frage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat der Gesetzgeber mit Art. 240 § 7 EGBGB noch im Dezember 2020 eine gesetzliche Grundlage geschaffen, nach der für Geschäftsräume vermutet wird, dass die staatlichen Schließungen oder Beschränkungen zu einer schwerwiegenden Veränderung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags geführt haben. Hiermit hat der Gesetzgeber allerdings nach ganz einhelliger Ansicht nur eine tatsächliche Vermutung konkretisiert, jedoch keineswegs über den Umfang einer Mietzinsanpassung im Einzelfall entschieden. Bevor der Wegfall der Geschäftsgrundlage als Ultima Ratio angenommen wird, müssen
die spezifischen Regelungen des Mietrechts (Mietminderung?) und die Regelungen des allgemeinen Schuldrechts (Unmöglichkeit?) daraufhin geprüft werden:

Eine Mietminderung aufgrund der behördlich angeordneten Geschäftsschließungen während eines Lockdowns lehnen die Oberlandesgerichte einhellig ab. Ein Mangel muss sich immer auf das konkrete Mietobjekt beziehen. Die gesetzgeberische Gebrauchsbeschränkung muss unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stehen; andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fallen in den Risikobereich des Mieters (OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.2.2021, Az. 7 U 109/20).

Jedenfalls liegen solche staatlichen Maßnahmen nicht im Einflussbereich, auch nicht im unmittelbaren Einflussbereich des Vermieters, sodass diese keinen Mangel darstellen (OLG Dresden, Urteil vom 24.2.2021, Az. 5 U 1782/20).

Der Vermieter schuldet nur die Überlassung des Gebrauchs und einen dem Verwendungszweck entsprechenden Zustand des Mietobjekts, der auch während der pandemiebedingten Schließungsanordnungen weiterhin gegeben ist (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 19.3.2021, Az. 2 U 143/20).

Auch ein (teilweiser) Wegfall der Mietzinszahlungspflicht wegen Unmöglichkeit wird von den Gerichten einhellig verneint. Viele halten das Unmöglichkeitsrecht schon deshalb nicht für anwendbar, da diese Regelungen nach Überlassung der Mietsache von den speziellen mietrechtlichen Regelungen zur Minderung verdrängt werden (OLG Dresden, Urteil vom 24.2.2021, Az. 5
U 1782/20 und OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 19.3.2021, Az. 2 U 143/20).

Damit steht der Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage offen. Dieser ist nicht durch den Kündigungsstopp nach Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen, der hierzu keine Regelungen enthält. Er ist auch bereits für den ersten Lockdown von März bis Mai 2020 zu prüfen. Der erst Ende des Jahres 2020 erlassene Art. 240 § 7 EGBGB hat zwar keine Rückwirkung, stellt allerdings eine gesetzliche Vermutung auf, die von den Gerichten auch für diesen Zeitraum jedenfalls bejaht wurde (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 19.3.2021, Az. 2 U 143/20).

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wird von der Rechtsprechung in drei Schritten geprüft: Zunächst muss sich ein Umstand, der zur Geschäftsgrundlage des Vertrags geworden ist, schwerwiegend geändert haben. Als Geschäftsgrundlage sieht der BGH solche Umstände an, die zwar nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt geworden sind, die aber in der gemeinsamen Vorstellung beider Vertragspartner Grundlage des Geschäftswillens waren (oder vom einen Teil insoweit erkennbar geäußert und vom anderen Teil nicht beanstandet wurden). Dass die pandemiebedingten Schließungsanordnungen diese Geschäftsgrundlage schwerwiegend verändert haben, wird von allen Oberlandesgerichten bejaht, ohne dass hierzu die gesetzliche Vermutung des Art. 240 § 7 EGBGB bemüht werden müsste.

In einem zweiten Schritt ist hypothetisch zu prüfen, ob die Vertragsparteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage vorhergesehen hätten. Auch dieses hypothetische Element wird von den Gerichten zumindest in den entschiedenen Fällen bejaht, wobei sie verständige, wirtschaftlich denkende Vertragspartner zugrunde legen (OLG Dresden, Urteil vom 24.2.2021, Az. 5 U 1782/20). Hier bleibt jedoch Argumentationsspielraum, zum Beispiel unter Verweis auf die Marktlage zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Schließlich ist als normatives Merkmal des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu prüfen, ob einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, sondern dieser angepasst werden muss. Erst bei Würdigung dieses letzten und entscheidenden Merkmals des Wegfalls der Geschäftsgrundlage weichen die hier vorgestellten oberlandesgerichtlichen Urteile diametral voneinander ab. Die Oberlandesgerichte Karlsruhe und Frankfurt steigen in die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein: Der Schuldner hat darzutun, dass eine unveränderte Fortführung des Vertrags zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz oder einer schweren Beeinträchtigung seines wirtschaftlichen Fortkommens führen würde. Hierzu sind die Auswirkungen sowohl auf den Konzern als auch auf die Filiale der Mietergesellschaft zu prüfen, ebenso die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, der Wert von erhaltenen Warenvorräten sowie mögliche Nachholeffekte im Handel (OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.2.2021, Az. 7 U 109/20). Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Vermieters, insbesondere seine Kreditbelastung, sind zu würdigen (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 17.9.2021, Az. 2 U 18/21). In diesen beiden Urteilen wurde eine Anpassung der Miete aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage daher nicht gewährt.

Das OLG Dresden und das KG Berlin haben in diesem Punkt diametral anders entschieden: In einem Mietvertrag kann die Anpassung nicht erst bei Existenzgefährdung einer Partei erfolgen, vielmehr ist im Rahmen dieses Dauerschuldverhältnisses auf die einzelnen Zeitabschnitte abzustellen und das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im einzelnen Zahlungsmonat zu betrachten. Soweit keine Teilnutzung (wie AußerHaus-Verkauf bei einem Restaurant) möglich ist, bejaht das OLG Dresden (Urteil vom 24.2.2021, Az. 5 U 1782/20) eine Anpassung der Miete um pauschal 50 Prozent. Das Kammergericht weist darauf hin, dass die übliche Risikoverteilung im Mietrecht, die dem Mieter das Verwendungsrisiko auferlegt, hier nicht greifen kann. Das mit der (gesetzlich vermuteten) Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann nicht mehr einer Vertragspartei alleine auferlegt werden. Zwar können staatliche Hilfen bei der Erwägung zur Unzumutbarkeit berücksichtigt werden, die Zahlung von Kurzarbeitergeld ändert hieran jedoch nichts. Auch das Kammergericht kam daher in seinem Urteil vom 1. April 2021, Az. 8 U 1099/20, zu einer pauschalen Mietreduzierung um 50 Prozent.
 

VERWALTER STRATEGIE
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass es inzwischen eine Vielzahl weiterer OLG-Urteile gibt, die sich der Linie der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Frankfurt anschließen und eine Einzelfallabwägung fordern, die in aller Regel zulasten des Mieters entschieden wurde. Im Urkundsprozess kann diese Einzelfallabwägung jedenfalls nicht angestellt werden, sodass mit diesem Ver- fahren eine schnelle Mietzinszahlung erreicht werden kann, wobei dem Mieter seine Rechte im Nachverfahren vorbehalten bleiben. Bei der Gesamtbetrachtung aller Urteile wird auch klar, dass im Extremfall die Miete um maximal 50 Prozent gemindert werden kann, eine Reduzierung der Miete auf null oder gar ein außerordentliches Kündigungsrecht des Mieters wird in der Rechtsprechung nicht debattiert. Jedenfalls sind die weiteren konkreten Verwendungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Außer-Haus-Verkauf, Onlineshop und Ähnliches, auch im Lockdown in die Erwägungen einzubeziehen, die gegebenenfalls zu einer geringeren Mietreduzierung führen. Bisher kaum thematisiert wurde die Frage, wie Mieter einen (vermeintlichen) Anspruch auf Mietreduzierung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Rahmen eines Kündigungsprozesses gegen eine vom Vermieter ausgesprochene Zahlungsverzugskündigung einwenden können, insbesondere wann dieser Einwand vorgebracht werden muss, um eine solche Kündigung unwirksam werden zu lassen. Die für Januar 2022 angekündigte Entscheidung des BGH bleibt daher mit Spannung zu erwarten.
 

Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com