02.05.2019 Ausgabe: 3/19

Neues von der Neuwertspitze: Es geht um die Wiederherstellungsklausel in Gebäudeversicherungsverträgen – und darum, wie sie im Falle eines Falles zur Anwendung und Auslegung kommt.

Mal kleinlich, mal großzügig – die Rechtsprechung bleibt für Überraschungen gut. Wie bereits in DDIVaktuell 6/16, S. 48, berichtet, „schadet“ es, und zwar beträchtlich, wenn die Flächenangabe im Gebäudeversicherungsvertrag den wahren Verhältnissen nicht genau genug entspricht. Diesmal ging es um die Frage, wie sehr der Neubau nach einem Schadensfall seinem Vorgänger ähneln muss, um nicht nur den Sachwert (Zeitwert) des versicherten Gebäudes, sondern auch den darüber hinausgehenden Teil der Versicherungssumme – in Fachkreisen „Neuwertspitze“ genannt – erstattungsfähig zu machen. Die (übliche) Klausel: Es muss sichergestellt sein, dass die versicherte Sache (das Haus) „in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen“ ist. Nun ja: Dass der Neubau „moderner“ ausfallen darf, umso mehr, je älter der Altbau war, das wusste man schon und liegt, wie man so schön sagt, in der Natur der Sache: Per definitionem kann man einen Altbau nun einmal nicht neu errichten. Diesmal aber wurde statt des abgebrannten zweigeschossigen Hauses mit 106 qm Wohnfläche (Keller und Dachboden nicht mitgerechnet) nach dem Schadensfall ein großer Bungalow mit 153 qm ebenerdiger Wohnfläche geplant. Dass man zu dessen Errichtung die Versicherungssumme verwenden kann, dürfte nicht nur den Versicherer, sondern auch den Rest der Fachwelt erstaunt haben (OLG Dresden, Urteil vom 29. Mai 2018, 4 U 1779/17, rkr.). Ist der Flachbau die „moderne Form“ des mehrgeschossigen Einfamilienhauses? Man kann zweifeln; für das Gericht ausschlaggebend war vor allem die Übereinstimmung des umbauten Raums. Es erklärte, dass die Wohnflächenverordnung zwar durchaus ihren spezifischen Anwendungsbereich habe, für die Frage der „versicherungsrechtlichen“ Vergleichbarkeit von Häusern sei sie aber nicht maßgeblich.


Eine juristische Gratwanderung, denn einerseits ist es zwar richtig, dass Einschränkungen im Versicherungsschutz dem versicherungsrechtlichen Laien klipp und klar vor Augen geführt werden müssen, andererseits aber findet die Wohnflächenverordnung längst über ihre Herkunft, nämlich aus dem Wohnungsbauförderungsrecht, hinaus Anwendung für Kostenverteilungen jeglicher Art im Miet- und WEG-Recht. Insofern hätte sich gewiss auch vertreten lassen, sie in zweifelhafte Abgrenzungsfragen miteinzubeziehen. So mag es vielleicht sogar eine Rolle gespielt haben, dass im konkreten Fall an Angehörige „vermietet“ wurde und eine professionelle Verwaltung nicht im Spiel war. Denn deren Wissen wäre dem Versicherungsnehmer womöglich ­zugerechnet worden.


Ein Grund, auf professionelle Verwaltung zu verzichten, ist das sicherlich nicht. Allerdings muss man in Versicherungssachen stets auf Überraschungen gefasst sein: Mehr noch als in anderen Rechtsgebieten können hier kleine Details in sorgfältiger Sachverhaltsaufbereitung entscheidende Unterschiede zur Folge haben. Hier waren es fast 100.000 Euro Versicherungsleistung, für die ja immerhin acht Jahre lang Prämien gezahlt wurden. Freilich mögen die Berufungsrichter auch in Erwägung gezogen haben, dass ohnehin nur 70 Prozent der Gebäudeversicherungsprämien den Weg zurück zu Geschädigten finden (GdV, Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 2017, Tafel 75).

Foto: © Andrey_Popov / Shutterstock.com


Naundorf, Dr. Christian

Der Berliner Rechtsanwalt ist Spezialist für Versicherungsrecht. www.racn.de