20.05.2021 Ausgabe: 3/21

Potenziale heben - Auf der Suche nach neuen Erlösquellen: Mit der neuen Mobilität entstehen neue Geschäftsmodelle für die Wohnungswirtschaft.

In Zeiten von Mietpreisbremsen und restriktiveren Vorgaben für Sanierungsumlagen stellt sich für die Wohnungswirtschaft zunehmend die Frage, wie sich mit wohnnahen Services Erlöse auch jenseits der Kaltmiete erzielen lassen. In Eigenregie erbrachte gebäudebezogene Dienstleistungen, etwa Reinigungs-, Wartungs- oder Instandsetzungsarbeiten, dienen schon länger dazu. Neu ist, dass der direkte Zugang zu den eigenen Mietern verstärkt bedient wird, um Endkundenprodukte zu vermarkten, die bislang von Dritten angeboten werden. Dazu gehören u. a. Stromverträge, Internet und Telefonie, Smart-Home- und Assisted-Living-Lösungen – ein Rundum-sorglos-Paket aus einer Hand für zeitgemäßes und attraktives Wohnen. Auch quartiersbezogene Services gewinnen an Bedeutung.

Mobilität im Umbruch
Die anhaltende Urbanisierung – im Jahr 2030 werden ca. 80 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung in Städten leben, 2050 bereits 85 Prozent – erhöht das städtische Verkehrsaufkommen massiv. Wo der Klimawandel zur raschen Umstellung auf klimaneu­trale Antriebe zwingt, bringt die Digitalisierung neue Technologien wie autonomes Fahren hervor und ermöglicht neuen Wettbewerbern mit innovativen Angeboten den Markteintritt. Mobilität ist ein Wachstumsmarkt.

Vier Trends prägen die Zukunft.
Elektromobilität: Nach Schätzungen der Wirtschafts­prüfungsgesellschaft Pricewaterhouse­Coopers (PwC) sind im Jahr 2030 über 90 Prozent der in Europa neu zugelassenen Fahrzeuge teil- oder vollelektrifiziert. Damit einher geht ein massiver Bedarf an Lade­infrastruktur, Netzservices und effizienter Zahlungs­abwicklung.

Sharing: Die gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen aller Art wird sich mittelfristig auch abseits der Metropolen etablieren und die Mobilitätsangebote in städtischen Randgebieten sowie im ländlichen Raum verbessern. 2030 werden schätzungsweise bereits 35 Prozent der gefahrenen Kilometer auf diese Weise zurückgelegt.

Digitale Reise bedeutet, dass unterschiedlichste Transportangebote zu einem Mobilitätsdienst zusammengefasst werden. Mobility-as-a-Service-Plattformen (MaaS) bieten aus einer Hand intermodale Tür-zu-Tür-Lösungen inklusive Routeninformation, Ticketing und Abrechnung. Die Unternehmensberatung ­Strategy& schätzt das Potenzial des ­MaaS-Marktes in der Europäischen Union im Jahr 2030 auf 375 Mrd. Euro.

Automatisierung: Die Revolutionierung der Mobilität bis hin zum fahrerlosen Fahren ist keine Fiktion mehr. Teilautonomie wird bereits serienmäßig angeboten, vollautonomes Fahren ist in Sichtweite. PwC schätzt, dass 2030 ca. 40 Prozent der Personenkilometer autonom gefahren werden.

Chancen für die Wohnungswirtschaft
Als Geschäftsfeld hat die Wohnungswirtschaft die Mobilität – über die Stellplatzvermietung hinaus – bisher kaum im Visier. Dabei legen die Elektromobilität und der im neuen Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) verankerte Ausbau von Lade­infrastruktur dies nahe. Neben dem Aufbau und Betrieb von Ladestationen – in Eigenregie oder in Kooperation, z. B. mit einem Energieversorger – sind weitere Geschäftsmodelle denkbar. Für Immobilienunternehmen, die bereits Strom an ihre Mieter vermarkten, sind der Verkauf und die Abrechnung von Ladestrom nur logische weitere Schritte. Bei einer jährlichen Fahrleistung von 15.000 Kilometern und Stromkosten von fünf Euro je 100 Kilometer liegt das Erlöspotenzial rechnerisch bei 750 Euro pro Fahrzeug und Jahr – vorausgesetzt, Nutzer laden überwiegend zu Hause.

Auch die Einbindung der Fahrzeug-Akkus als temporäre Energiespeicher in die Energieversorgung des Gebäudes und – im nächsten Schritt – in das örtliche Stromnetz birgt mit steigender Zahl der Elektrofahrzeuge mittelfristig Potenzial – unterstützt vom Trend zur dezentralen Energieversorgung. Die hierfür erforderlichen bi-direktionalen Ladepunkte sind allerdings im Vergleich zu den uni-direktionalen aktuell noch recht teuer. Zu unterscheiden ist zwischen Vehicle-to-Home- (V2H) und Vehicle-to-Grid-Anwendungen (V2G).

V2H zielt auf die Optimierung der Stromkosten im Gebäude ab: Wenn Strom im Gebäude über dezen­trale Anlagen (z. B. photovoltaisch) produziert wird, kann sich die Einbindung von Fahrzeug-Akkus in die Netzstruktur lohnen. Zum einen wird überschüssiger Solarstrom zum Aufladen der Akkus genutzt. Zum anderen ist die in den Akkus gespeicherte Energie zur Energieversorgung des Gebäudes verfügbar, sofern die Fahrzeughalter entsprechende Kapazitäten freigeben. Kommerziell interessant ist die Bereitstellung der gespeicherten Energie zur Ausnutzung von Tarifschwankungen bei zeitvariablen Stromtarifen, dem sogenannten „Peak-Shaving“ zur Senkung der Stromkosten.

V2G steht für die Integration des Fahrzeug-Akkus in das öffentliche Stromnetz: Der gespeicherte Strom dient dem Netzbetreiber zur Steuerung der optimalen Netzauslastung, etwa bei Verbrauchsspitzen, bei Stromschwankungen, bei Überproduktion oder als Reserve. Auch hier liegen Arbitrage-Potenziale durch schwankende Strompreise. Es ist davon auszugehen, dass Netzbetreiber bereit sind, für diese netzdienlichen Services zu zahlen. Davon profitieren sowohl Fahrzeughalter als auch Betreiber von Ladeinfra­struktur.

Der Mehrwert aus Bereitstellung und Betrieb der Lade­infrastruktur, dem Ladestromverkauf sowie V2H- und V2G-Anwendungen bewegt sich im vierstelligen Euro-Bereich pro Jahr und Fahrzeug, und je nach Geschäftsmodell kann auch die Immobilienwirtschaft daran partizipieren.

Ein weiteres Feld, das Chancen für die Wohnungswirtschaft bietet, ist Park-Sharing: Per App lässt sich die Auslastung von Bewohner-Stellplätzen durch „Untervermietung“ an Dritte optimieren, was zusätzliche Erlöse je Stellplatz generiert. Ein Teil davon kann als die Parkplatzmiete mindernd weitergegeben werden, sodass Eigentümer und Mieter davon ­profitieren.

In größeren Quartieren sind Sharing-Angebote für Fahrräder, Cargo-Bikes oder auch stationsgebundene Kleinfahrzeuge vorstellbar. Wegweisend ist hier der Gebäudekomplex BRF Viva im schwedischen Göteborg: Innovative Mobilitätsangebote wurden in die Planung einbezogen, Parkplätze für private Pkw gibt es nicht. Über eine MaaS-App haben Bewohner Zugriff auf Leih-Fahrräder, den Carpool oder den öffentlichen Personennahverkehr, deren Kosten teils in der Miete enthalten sind. Insbesondere die zunehmende Automatisierung birgt weitere Potenziale für zusätzliche Services, etwa autonome Quartiers-Shuttles oder autonomes Valet-Parken.

Grafik: © PwC, Bildbeschreibung: Erfolgreiche Geschäftsmodelle bewegen sich von der Hardware weg, hin zum Eco-System.

Ausblick
Klassische Geschäftsmodelle, die auf Vertrieb und Installation von Hardware (z. B. Ladeinfrastruktur) abzielen, werden auf lange Sicht nicht bestehen. Geld wird schon heute mit Leistungen rund um die Hardware selbst verdient. Hersteller, Energieversorger, Telekommunikationsanbieter und Wohnungswirtschaft konkurrieren mit integrierten Service­angeboten um Kunden. Künftig werden sich vor allem Geschäftsmodelle durchsetzen, die einen übergreifenden Plattformansatz verfolgen und sich als Manager eines Ökosystems rund um das Wohnen positionieren – digital, sektorübergreifend und kundenzentriert.

Foto: © sumkinn / Shutterstock.com


Jahn, Michael

Senior Manager, Leiter Kompetenzteam Smart Cities, PricewaterhouseCoopers Deutschland