03.12.2021 Ausgabe: 8/21

WEG-Recht: Zur Zerstörerabwehrkompetenz einzelner Wohnungseigentümer an der Grenze zwischen altem und neuem Recht

(BGH, Urteil vom 11.6.2021 – Az. V ZR 41/19)

DAS THEMA
Die Teilungserklärung sieht die Errichtung zweier Gebäude vor. Das erste Gebäude wird gebaut – das zweite auch, nur Jahre später. Durch die Errichtung des zweiten Gebäudes wird die Sicht einer Wohnungseigentümerin auf die Elbe verbaut. Diesen Zustand möchte der Kläger nicht einfach hinnehmen, sondern strebt den Ausgleich der Wertminderung des Sondereigentums seiner Tochter an, für die er einen Schadensersatzanspruch gel­tend macht. Wie wird der Bundesgerichtshof (BGH) an der Schnittstelle zwischen altem und neuem Recht entscheiden? 

DER FALL
Die Tochter des Klägers und der Beklagte sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft; dem Kläger selbst ist der Nießbrauch am Wohnungseigentum seiner Tochter eingeräumt. Nach der Teilungserklä­rung aus dem Jahr 1973 soll das Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus sowie einem Einzelhaus (Einheit Nr. 10) bebaut werden. Ausweislich der dem Aufteilungsplan bei­gefügten Bauzeichnung darf das Einzelhaus eine Höhe von 56,40 Meter über N. N. nicht überschreiten. Gebaut wurde zunächst nur das Mehrfamilienhaus. Nachdem der Beklagte die Einheit Nr. 10 erworben hatte, errichtete er im Jahr 2012 das Einzelhaus auf der Grundlage einer Baugenehmigung.

Gestützt auf den Vortrag, das nunmehr errichtete Einzelhaus widerspreche in Geschosszahl und Gebäudehöhe den Vor­gaben der Teilungserklärung und des Auf­teilungsplans, infolgedessen sei der Ausblick aus der Wohnung seiner Tochter auf die Elbe verbaut worden, hat der Kläger in Prozess-standschaft für seine Tochter Schadensersatz in Höhe der behaupteten Verkehrswertmin­derung von 55.000 Euro verlangt.

Das Amtsgericht Hamburg-Blankenese hat die Klage abgewiesen, und das Landgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers zurück. Auch die vom Senat zugelassene Revision hatte keinen Erfolg.

Diese Entscheidung wird wie folgt begrün­det: Die Klage ist bereits unzulässig, denn die Prozessführungsbefugnis der Tochter des Klägers, deren Rechte der Kläger wahr­nimmt, ist im Hinblick auf die hier geltend gemachten Zahlungsansprüche, die aus einer planwidrigen Errichtung des Einzel­hauses hergeleitet werden, nicht gegeben. Eine solche Geltendmachung steht nur der Gemeinschaft der Wohnungseigen­tümer zu.

Dies gilt zum einen in Hinblick auf die Beeinträchtigung des Gemeinschaftsei­gentums, die der Kläger hier geltend macht. Gemäß des nun geltenden § 9a Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) übt die Gemeinschaft der Wohnungseigen­tümer die sich aus dem Gemeinschafts­eigentum ergebenden Rechte aus. Dazu gehören auch Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung einer Störung des Eigen­tums aus § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sowie etwaige daran anknüpfende Sekundärrechte – wie hier z. B. Zahlungsan­sprüche. Selbst wenn altes Recht (WEG vor der am 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Gesetzesreform) zur Anwendung käme, läge keine Prozessbefugnis der Toch­ter vor. Zahlungsansprüche wegen Beein­trächtigungen des Gemeinschaftseigentums liegen stets ausschließlich im Verantwor­tungsbereich der Gemeinschaft der Woh­nungseigentümer.

Doch auch aus einer Beeinträchtigung des Sondereigentums kann die Pro-zessführungsbefugnis der Wohnungsei­gentümerin, auf die sich der Kläger als gewillkürter Prozessstandschafter stüt­zen könnte, nicht hergeleitet werden. Grundsätzlich ist ein Wohnungseigentü­mer dann prozessführungsbefugt, wenn seine Klage auf eine Störung im räumlichen Bereich des Sondereigentums gestützt wird. Nach neuem Recht gilt dies selbst dann, wenn zugleich das Gemeinschafts­eigentum von Störungen betroffen ist und der Wohnungseigentümer Unterlassungs-bzw. Beseitigungsansprüche gem. § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG geltend macht. Sogar ein Ausgleich in Geld kann von einem Wohnungseigentümer gemäß § 14 Abs. 3 WEG verlangt werden. Vor­aussetzung ist aber, dass eine unzumut­bare Einwirkung nicht abgewehrt werden kann, sondern geduldet werden muss. Dies macht der Kläger vorliegend jedoch gerade nicht geltend; vielmehr nimmt er die Störung bewusst hin und verlangt daher Schadensersatz statt der Beseitigung gem. §§ 280, 281 BGB.

Letztlich führt der BGH aus, dass auch hinsichtlich des allein geltend gemach­ten Zahlungsanspruchs gem. §§ 280, 281 BGB keine Prozessführungsbefugnis der Sondereigentümerin besteht, wenn das Einzelhaus zu hoch gebaut worden sein sollte und infolgedessen der Elbblick ihrer Wohnung versperrt würde. Grund hierfür ist der, dass ein bloßer Sichtentzug nicht unter die Normen der §§ 1004 BGB und 14 Abs. 2 WEG fällt. Die Einwirkung stellt keine gravierende Beeinträchtigung des Sondereigentums dar. Letztlich kommt der BGH auch hier wieder zu dem Schluss, dass der Kläger einzig einen Zahlungsan­spruch geltend gemacht hat, und Gegen­stand der Klage gerade nicht ein aus einer Beeinträchtigung des Sondereigentums hergeleiteter Unterlassungs- oder Beseiti­gungsanspruch ist, für den eine Prozessfüh-rungsbefugnis einzelner Sondereigentümer in Betracht kommen könnte. Da sich das Recht des Sondereigentümers, Störungen abzuwehren, die sowohl den räumlichen Bereich seines Sondereigentums als auch das Gemeinschaftseigentum beeinträchti­gen, auf Unterlassungs- und Beseitigungs­ansprüche beschränkt, und der Kläger einen Anspruch aus § 14 Abs. 3 WEG, wonach ein einzelner Wohnungseigentümer befugt sein kann, Ausgleich in Geld zu verlangen, nicht geltend gemacht hat, ist hier eine Prozessführungsbefugnis der Sondereigentü­merin abzulehnen; die Klage scheitert an der Zulässigkeit.

VERWALTERSTRATEGIE
Die Rechtspraxis zeigt, dass Teilungserklärungen, die den Bau mehrerer Gebäude beinhalten, von denen zum Zeitpunkt der Erstellung nicht alle Gebäude errichtet worden sind, oft mit Problemen behaftet sind – insbesondere aus Unzufriedenheit der Eigentümer bereits bestehender Gebäude. Grund hierfür ist häufig, dass diese Eigentümer nicht ausreichend über die konkreten Aussagen bzw. Regelungen der Teilungserklärung informiert sind, vor allem nicht über die Auswirkungen des Baus der übrigen Gebäude. Hier bedarf es ausführlicher Beratung, vor allem im Rahmen der Beschlussfassung über den Bau der weiteren Gebäude.

Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com