07.09.2020 Ausgabe: 5/20

Wie geht’s uns denn heute? - Worauf ist zu achten, wenn Arbeitnehmer krank sind?

Manchmal schwer zu glauben, aber in Arbeitsverhältnissen gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Vielfältige Ausnahmen bestätigen die Regel: In Durchbrechung dieses Grundsatzes erhalten Arbeitnehmer bei Urlaub, an Feiertagen, bei verhältnismäßig kurzer bestehender Arbeitsverhinderung, wenn sie unverschuldet ist und die Gründe dafür in der Person des Arbeitnehmers liegen, ihre Vergütung, ohne die Arbeitsleistung erbracht zu haben. Nicht zu vergessen sei hier der nicht nur in Zeiten von Corona und Covid-19 enorm wichtige Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, um die es nachfolgend gehen soll.

Die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im Krankheitsfall ist im Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (EFZG) geregelt und von einigen Voraussetzungen abhängig, die in der Praxis durchaus zu Streitigkeiten führen. Nach § 3 EFZG haben Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn

  • ein Arbeitsverhältnis besteht,
  • seit Beginn des Arbeitsverhältnisses bereits eine vierwöchige Wartezeit ununterbrochen erfüllt wurde,
  • die Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit besteht,
  • die krankheitsbedingte Arbeits­unfähigkeit unverschuldet ist,
  • diese Voraussetzungen maximal sechs Wochen vorliegen.

Die Frage des Verschuldens
Selten umstritten ist die Regelung, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sein muss. Könnte man auf den ersten Blick meinen, dass ein beim rasanten Skifahren erlittener Knochenbruch natürlich selbst verschuldet ist – eine so gefährliche Sportart! Noch dazu in Zeiten des Klimawandels! –, ist die Rechtsprechung in dieser Frage jedoch zugunsten der Arbeitnehmer sehr großzügig: Nicht jedes leichtsinnige Verhalten führt zur Annahme eines Verschuldens im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG; vielmehr wird man von einem Verschulden in diesem Sinne regelmäßig erst dann ausgehen können, wenn ein besonders leichtfertiges, etwa grob fahrlässiges oder aber vorsätzliches Verhalten vorliegt. Dies muss unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden. Beispielsweise wird bei Freizeit-/Sportunfällen ein Verschulden erst dann bejaht, wenn grob und leichtsinnig gegen anerkannte Regeln einer Sportart verstoßen wird oder man sich in einer Weise betätigt, die die eigenen Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigt. Greift ein Arbeitnehmer z. B. als Hundehalter in eine Rauferei der Tiere ein, um seinen Hund aus einer Notlage zu befreien, und erleidet er dabei Bissverletzungen, soll auch das (so jedenfalls das Arbeitsgericht Freiburg) kein Verschulden begründen. Anders (nämlich als verschuldet) zu bewerten ist aber ein Sturz bei Volltrunkenheit, wie ein Verkehrsunfall eines Alkoholisierten – solange der Arbeitnehmer nicht alkoholkrank ist.

Die Fortsetzungserkrankung
Krankheiten, die auf demselben Grundleiden beruhen wie die Krankheit, für die bereits Entgeltfortzahlung geleistet wurde, nennt man Fortsetzungserkrankungen. Ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von maximal weiteren sechs Wochen entsteht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund derselben Krankheit arbeitsunfähig wird und zuvor mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war, oder wenn seit Beginn der ersten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mindestens zwölf Monate vergangen sind und der Arbeitnehmer danach erneut aufgrund derselben Krankheit arbeitsunfähig wird.

Wechselt der Arbeitnehmer hingegen in ein anderes Unternehmen und wird er – nach Ablauf der Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG – infolge derselben Krankheit beim neuen Arbeitgeber arbeitsunfähig, so erwirbt er einen vollen Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn er noch zum Ende des alten Arbeitsverhältnisses wegen Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert war und seither weniger als sechs Monate vergangen sind.

Folgekrankheiten und die Einheit des Verhinderungsfalls
Ein nicht selten anzutreffendes Phänomen sind Arbeitnehmer, die vom Pech verfolgt zu sein scheinen, vor allem dann, wenn es Spannungen am Arbeitsplatz gibt. Dann folgt auf eine Migräne gerne mal ein Magen-Darm-Virus, plötzlich auch noch Rückenschmerzen, dann ein grippaler Infekt und schließlich die Blasenentzündung. Für jedes dieser Leiden wird  – kurz bevor oder wenn die jeweils ärztlich und per „gelbem Zettel“ attestierte Arbeitsunfähigkeit abgelaufen ist – womöglich noch ein anderer Arzt aufgesucht, der seinerseits eine Erstbescheinigung ausstellt. So können Wochen und Monate der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ins Land ziehen; und der unbefangene Betrachter könnte meinen, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen fortlaufend stets wieder bis zur Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung leisten muss.

So leicht machen es die Arbeitsgerichte den Arbeitnehmern aber nicht. In einem in dritter Instanz vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall (Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18) ging es um eine Altenpflegerin aus Niedersachsen: Sie war im Jahr 2017 zunächst gut drei Monate wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Noch am Schlusstag der Arbeitsunfähigkeit bescheinigte ihr eine andere Ärztin wegen einer für den nächsten Tag geplanten Operation per „Erstbescheinigung“ eine weitere Arbeitsunfähigkeit. Diese dauerte rund sechs Wochen, in denen die Altenpflegerin weder Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber noch Krankengeld einer Krankenkasse erhielt.

Mit ihrer Klage verlangte sie rund 3.400 Euro brutto nebst Zinsen von ihrem Arbeitgeber. Sie sei, so ihr Vortrag, wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung sei bereits beendet gewesen. Ihr Arbeitgeber sah das anders und vertrat die Auffassung, dass von einem einheitlichen Verhinderungsfall auszugehen sei.

Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts gab dem zahlungsunwilligen Arbeitgeber recht: „Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichem Zusammenhang eine im Wege der ‚Erstbescheinigung‘ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.“ Dies war der klagenden Altenpflegerin aber nicht gelungen.
Was steckt dahinter? Bei Folgekrankheiten besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann erneut für maximal sechs Wochen, wenn der Arbeitnehmer zwischen der ersten Krankheit und einer neuen Krankheit arbeitsfähig ist. Eine Arbeitsfähigkeit liegt jedenfalls vor, wenn der Arbeitnehmer dazwischen tatsächlich gearbeitet hat. Ein untauglicher Arbeitsversuch reicht hingegen nicht aus. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch beginnt aber auch dann, wenn der Arbeitnehmer – selbst nur für ein paar Stunden – arbeitsfähig ist, ohne gearbeitet zu haben (z. B. Sonntag, Feiertag).

Tritt hingegen die neue Krankheit (wie im obigen Beispiel der Magen-Darm-Virus) ein, während der Arbeitnehmer noch aufgrund der ersten Krankheit (Migräne) arbeitsunfähig ist, beginnt kein neuer Sechs-Wochen-Zeitraum. Es besteht dann nur einmal ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen.

Die Darlegungs- und Beweislast
Der Arbeitnehmer trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Bei mehrfacher Arbeitsunfähigkeit gilt eine sogenannte abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sowohl bei der Ersterkrankung als auch bei der Folgeerkrankung zu beweisen. Bei der Folgeerkrankung muss der Arbeitnehmer darlegen und nachweisen, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt und er zwischendurch arbeitsfähig war. Als Indiz hierfür ist anzusehen, wenn eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für eine zweite Krankheit zeitlich nicht lückenlos an die gerade abgelaufene für eine erste Krankheit anschließt. Entscheidend sind auch die Bezeichnungen Erstbescheinigung und Folgebescheinigung.

Fazit
Arbeitgebern ist zu raten, derartige Konstellationen kritisch zu würdigen und im Zweifelsfall lieber einmal die Entgeltfortzahlung zu verweigern.

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Warken, Victoria E.

Dr. Susanne Schießer
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

Victoria E. Warken
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com