15.10.2019 Ausgabe: 5/19

Wohnflächenabweichung bei Vergleichsmiete und Kappungsgrenze

(BGH, Urteil vom 17.4.2019, Az. VIII ZR 33/18)

DAS THEMA
In mehreren Beiträgen wurde bereits dargestellt, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Zehn-Prozent-Grenze bei Mietflächenabweichung zurzeit näher ausdifferenziert. Dieser Fall gab ihm Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung zu präzisieren, rechtsdogmatisch zu unterlegen und auf die Berechnung der Kappungsgrenze auszudehnen. Ausgangspunkt bleibt, dass eine Wohnflächenabweichung von mehr als zehn Prozent nach unten Grund zur Mietminderung bietet. Die Flächenberechnung bei einer Mieterhöhung nach § 558 Abs. 1 BGB sowie die Berechnung der Flächenverhältnisse für die Umlage der Nebenkosten richten sich jedoch nach der tatsächlichen Mietfläche und werden nicht erst dann nach unten (oder auch nach oben) korrigiert, wenn sie die Grenze von zehn Prozent überschreiten. Der BGH begründet dies mit der Notwendigkeit eines objektiven Maßstabs sowohl für die Nebenkostenabrechnung, für die die Flächenverhältnisse nicht von den unterschiedlichen Abmachungen zwischen Vermieter und einzelnen Mietern abhängig sein dürfen, als auch für die Berechnung der Mieterhöhung, die sich nach der objektiven ortsüblichen Vergleichsmiete richten muss. Offen blieb noch die Frage nach der Berechnung der Kappungsgrenze. Für sie gilt, dass die Wohnungsmiete durch Erhöhungen nach § 558 ff. BGB innerhalb von drei Jahren um maximal 20 Prozent, in Ballungsräumen mit entsprechender Verordnung nur um 15 Prozent steigen darf. Außerdem hatte der BGH in diesem Fall Gelegenheit, nochmals die Berechnungsgrundsätze der Mietfläche – in aller Regel nach Wohnflächenverordnung – zu präzisieren und Voraussetzungen für mögliche Abweichungen hiervon zu umreißen.

DER FALL
Der Vermieter begehrte eine Mieterhöhung und legte dieser eine Kappungsgrenze von 20 Prozent zugrunde, berechnet nach der zwischen den Parteien vereinbarten Ausgangsmiete. Der Mieter behauptete, dass die im Mietvertrag mit 94,84 qm angegebene Wohnfläche deutlich geringer sei und verlangte mit einer Widerklage die Rückzahlung der überzahlten Miete. Nun entschied jede Instanz ein bisschen anders: Ein vom Amtsgericht in erster Instanz eingeholtes Sachverständigengutachten setzte den straßenseitigen Balkon der Wohnung entsprechend der Wohnflächenverordnung mit 25 Prozent seiner Fläche an und ermittelte so eine Wohnfläche von 84,01 qm, damit eine Abweichung um mehr als zehn Prozent. Dem folgte das Amtsgericht jedoch nicht, weil es davon ausging, dass es in Berlin gängige Praxis sei, Balkonflächen auch bei Ermittlung nach Wohnflächenverordnung immer zur Hälfte anzurechnen. Demnach ergab sich eine Flächenabweichung um weniger als zehn Prozent, womit die Widerklage abgewiesen wurde.

Das Landgericht widersprach der Annahme des Amtsgerichts, dass es in Berlin üblich sei, Balkone mit der Hälfte ihrer Fläche einzurechnen. Eine hiervon abweichende örtliche Verkehrssitte konnte es nicht feststellen, da die vom Sachverständigen durchgeführte Umfrage kein klares Bild ergab. Offensichtlich wollten die Marktteilnehmer die Wohnflächenverordnung anwenden, allerdings abweichend davon Balkone trotzdem zur Hälfte anrechnen. Das Landgericht ermittelte damit eine Abweichung von der angegebenen Wohnfläche um minus 11,08 Prozent, womit die Grenze zur Mietminderung überschritten war. Nun wandte das Landgericht diese Erkenntnis auch auf die Kappungsgrenze an und argumentierte wie folgt: Bei einer Mietminderung wegen eines nicht behebbaren Mangels sei die Miete dauerhaft herabgesetzt. Dann müsse auch bei der Berechnung der Kappungsgrenze eine herabgesetzte Ausgangsmiete zugrunde gelegt werden. Die Kappungsgrenze berechnet sich daher nicht ausgehend von der ursprünglich vereinbarten Miete, sondern von der bereits geminderten Miete. Damit kam das Landgericht rechnerisch auf eine deutlich geringere Mieterhöhung, auch der Widerklage des Mieters auf Rückzahlung von Mieten wegen Minderung gab es konsequenterweise statt.

Der BGH hält im Prinzip das landgerichtliche Urteil aufrecht und korrigiert dieses nur hinsichtlich der Anwendung der Kappungsgrenze. Korrekt ist es, der Berechnung einzelner Flächen die Wohnflächenverordnung in vollem Umfang und ohne örtliche Besonderheiten zugrunde zu legen. Zwar kann davon abgewichen werden, wenn die Parteien etwas anderes vereinbaren oder ein anderer Modus ortsüblich bzw. nach Art der Wohnung näher liegend ist. Eine andere ortsübliche Berechnung muss jedenfalls sowohl die Zustimmung der Mieter als auch der Vermieter gefunden haben. Eine Verkehrssitte oder regional gängige Praxis muss ebenfalls an ein einheitliches Regelwerk gebunden sein, um Wertungswidersprüche auszuschließen. Ortsübliche Wohnflächenberechnungen dürfen also nicht auf der fehlerhaften Anwendung eines Regelwerkes basieren oder auf der Vermischung verschiedener Berechnungsmethoden. Ausschlaggebend für die Flächenberechnung ist daher allgemein nur die Wohnflächenverordnung. Im vorliegenden Fall ergibt sich hieraus eine Abweichung von mehr als zehn Prozent nach unten und damit das Recht zur Mietminderung.

Die tatsächlich abweichende Wohnfläche und die sich daraus ergebende dauerhafte Mietminderung schlägt allerdings nicht auf die Kappungsgrenze durch. Minderungen der Ausgangsmiete bleiben bei Mieterhöhungsverfahren und gerade auch in Bezug auf die Kappungsgrenze nach herrschender Meinung unberücksichtigt. Dies muss auch für Mietminderungen wegen nicht zu behebender Mängel wie einer Wohnflächenabweichung um mehr als zehn Prozent gelten. Nachvollziehbar wird dies, wenn man mit dem BGH den ganz unterschiedlichen Schutzzweck und die dogmatische Ableitung von Kappungsgrenze einerseits und Mietminderung andererseits betrachtet: Die Kappungsgrenze ist neben der ortsüblichen Vergleichsmiete eine zweite eigenständige Obergrenze für Mieterhöhungen. Sie soll Mieter vor einem zu raschen Anstieg ihrer Zahlungsverpflichtungen schützen. Dieser Schutz kann sich jedoch wirtschaftlich nur an der Miete orientieren, zu deren Zahlung sich ein Mieter vertraglich verpflichtet hat, weil er diese für sich als wirtschaftlich tragbar angesehen hat. Das Mieterhöhungsverfahren nach
§ 558 ff. BGB ändert die vertragliche Leistungspflicht des Mieters. Die tatsächliche Wohnfläche wirkt sich innerhalb dieses Verfahrens bereits bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete aus, der die objektive Wohnfläche, unabhängig von der Zehn-Prozent-Grenze, zugrunde liegt.

Das Recht zur Minderung betrifft dagegen nicht die Hauptleistungspflicht, sondern sogenannte Sekundärrechte. Hier wird das Äquivalent zwischen Vermieterleistung (Wohnraum) und Mieterleistung (Mietzahlung) wiederhergestellt, indem die Wohnflächenabweichung mietmindernd berücksichtigt wird. Die Mietminderung wirkt sich jedoch nicht auf den Vertragsinhalt aus, auch wenn es sich um einen nicht behebbaren Mangel der Mietsache handelt. Das Gewährleistungsrecht spielt für die Ausgangsmiete keine Rolle. Ein Schutzbedürfnis des Mieters zur Anpassung der Ausgangsmiete und damit der Kappungsgrenze nach unten liegt ebenfalls nicht vor. Der BGH gesteht daher dem Vermieter eine etwas höhere Mieterhöhung zu als das Landgericht.


Verwalter­strategie
Die für eine Mieterhöhung anzustellenden Berechnungen werden immer differenzierter. Voranzustellen ist die korrekte Flächenermittlung nach Wohnflächenverordnung; bei Mietverträgen, die vor dem Jahr 2003 geschlossen wurden, gilt die II. Berechnungsverordnung. Die objektiv ermittelte Fläche ist maßgeblich für die ortsübliche Vergleichsmiete. Zur Berechnung der Kappungsgrenze darf dagegen die im Vertrag vereinbarte Ausgangsmiete bzw. die nach einer vorausgegangenen Erhöhung vereinbarte Miete unabhängig von der ermittelten Fläche herangezogen werden. In einem dritten Schritt ist zu überlegen, ob ggf. eine um mehr als zehn Prozent nach unten abweichende Wohnfläche mietmindernd geltend gemacht werden kann. Dieses Sekundärrecht hat aber keine Auswirkung auf Mieterhöhungsverfahren.

Gleiches gilt übrigens, wenn die Wohnfläche um mehr als zehn Prozent größer ist als die im Vertrag ausgewiesene. In diesem Fall wird zwar die ortsübliche Vergleichsmiete an der tatsächlichen Wohnfläche bemessen, für die Kappungsgrenze ist jedoch die vertraglich vereinbarte Wohnfläche und die dafür berechnete Ausgangsmiete maßgeblich.

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Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com