Mietrecht

Annahme eines Mietmangels bei Schließung einer Verkaufsfläche

Entgegen der Ansichten anderer Gerichte (siehe Entscheidung des LG Frankfurt a. M. – der » VDIV berichtete und Entscheidung des LG Heidelbergs vom 30.07.2020) stellt nach Ansicht des Landgerichts München die staatlich verordnete Schließung einer Verkaufsfläche wegen Covid-19 einen Mangel der Mietsache dar. Nach dem Urteil des Landgerichts München darf die monatliche Miete je nach der geltenden Beschränkung abgestuft gemindert werden.

Der Fall

Die Vermieterin von Geschäftsräumen in der Münchner Innenstadt verlangte Mietzahlungen für die Monate April, Mai und Juni 2020. Die Mieterin hielt es hingegen für gerechtfertigt, im Zeitraum von Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie die Mietzahlungspflicht um bis zu 100 Prozent zu mindern. Gemäß Mietvertrag vom 10.10.2017 über eine Gesamtfläche von 2.929 m² sind Schadensersatzansprüche bzw. Mietminderungsansprüche wegen vom Vermieter nicht zu vertretender Emissionen oder Störungen der Zugänge des Gebäudes bzw. wegen Mängeln des Mietgegenstandes beschränkt.

Auf die Covid-19-Pandemie wurde im Rahmen mehrerer öffentlicher rechtlicher Maßnahmen, so durch Allgemeinverfügungen und Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen durch den Freistaat Bayern, reagiert. Durch die vorgenommenen behördlichen Einschränkungen wurde der Mieterin die Öffnung ihrer Ladenfläche in der Zeit vom 18.3.2020 bis zum 26.4.2020 vollständig untersagt. Vom 27.4.2020 bis zum 10.5.2020 war der Mieterin der Betrieb nur eingeschränkt auf einer Fläche von 800 m² im Erdgeschoß und teilweise im Untergeschoß möglich. Ferner musste die Gewerbemieterin ein umfangreiches Abstands- und Hygienekonzept einhalten, wobei in dem Ladengeschäft nur maximal der Aufenthalt eines Kunden je 20 m² Verkaufsfläche zulässig war. Diese Beschränkung der Kundenanwesenheit galt seit dem 11.5.2020 fort, während die Verkaufsflächenbeschränkung weggefallen war.

Nach Ansicht der Vermieterin bestand eine Zahlungspflicht der Miete in voller Höhe, da trotz der behördlichen Schließungsanordnungen weder ein Minderungsrecht noch eine Störung der Geschäftsgrundlage vorgelegen habe. Behördliche Schließungsanordnungen richteten sich als Allgemeinverfügung gegen den Betreiber und gerade nicht gegen den Eigentümer der Mietsache. Die Mietsache selbst sei während der gesamten Zeit zum vertraglich vereinbarten Nutzungszweck vom Vermieter überlassen gewesen. Es sei lediglich die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art untersagt worden. So hätten auch während der behördlichen Schließzeiten die Räumlichkeiten genutzt werden können, z. B. zur Durchführung von Instandhaltungsarbeiten oder zur Produktlagerung. Ein Mietmangel habe daher nicht bestanden. Die Gewerbemieterin war gegenteiliger Auffassung.

Die Entscheidung

Das zuständige Landgericht München bejaht hier das Vorliegen eines Mangels. Grundsätzlich sei bereits seit Jahren anerkannt, dass das Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen einen Mangel darstellen könne, soweit hierdurch die Tauglichkeit der Mieträume für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert sei. Das Gericht bezieht sich hierzu auf vier Urteile des Reichsgerichts, unter anderem auf das Verbot eines Fabrikbetriebes durch die örtliche Polizeibehörde, wonach nach Ansicht des Reichsgerichts bei Aufhebung bzw. Minderung des vertragsgemäßen Gebrauchs ein Mangel vorgelegen habe, auch wenn dies auf einer Bestimmung des öffentlichen Rechts beruhte. Ferner bezog sich das Landgericht München auf einen Tanzlokal-Fall aus dem Jahr 1915, bei dem der Tanzbetrieb die „eigentliche Quelle des Erwerbs aus der Gastwirtschaft“ bildete. Das behördliche Tanzverbot hatte die Möglichkeit des Pächters zur vertragsgemäßen Nutzung beeinträchtigt.

Das Gericht würdigte mit seiner Entscheidung auch die jetzt aufkommenden Literaturmeinungen, die einen Mietmangel unter Bezugnahme auf den vereinbarten Mietzweck bejahen. Es sei anerkannt, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen einen Mangel darstellen können, wenn sie sich auf die Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache beziehen, wobei es auf den vereinbarten Geschäfszweck ankomme und die Beschränkung grundsätzlich bestehen muss. Im vorliegenden Fall habe der Mietzweck (Betrieb zur Nutzung als Möbelgeschäft mit Wohnaccessoires zum Zwecke des Einzelhandels) infolge der Beschränkungen nicht mehr eingehalten werden können bzw. sei erheblich gestört gewesen. Bei gewerblichen Räumen sei primär auf die Störung der Betriebsausübung abzustellen, wobei bei einer periodischen Störung die Minderung nur mit dem Zeitraum der Störung eintrete. Im April 2020 habe die Störung bei 80 Prozent gelegen, da die Mietsache nur für Mitarbeiter sowie der Aufrechterhaltung der Verwaltung oder Inventararbeiten und gegebenenfalls Versandhandel zur Verfügung gestanden haben. Im Mai 2020 waren nur 800 m² als Verkaufsfläche geöffnet, so dass 50 Prozent der Betriebsausübung gestört gewesen sei. Danach sei der Zugang zur Ladenfläche auf eine Person pro 20 m² begrenzt gewesen. Laut Landgericht München habe eine Störung der Geschäftsgrundlage vorgelegen, deren Rechtsfolge die Anpassung der Miete sei. Die Höhe der jeweiligen Störung würde der gesetzlichen Minderung der Miete entsprechen.

LG München I, Urteil vom 22.09.2020 – 3 O 4495/20