20.10.2022 Ausgabe: 7/22

Mietrecht: Schonfristzahlung und ordentliche Kündigung

(BGH, Urteil vom 13.10.2021 – Az. VIII ZR 91/20)

Das Thema 
Das Thema hat den Bundesgerichtshof (BGH) in letzter Zeit mehrfach beschäftigt, und es dürfte nun mit dieser Entscheidung zum Abschluss gekommen sein, soweit der Gesetzgeber nicht tätig wird. Insbesondere die Berliner Berufungsgerichte wollten es nicht wahrhaben, dass eine ordentliche Kündigung trotz erfolgter Schonfristzahlung wirksam bleibt und dazu führt, dass Mieter ihre Wohnung zwar nicht sofort, aber dennoch innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist verlieren. Ebenso häufig wurde das Thema daher hier besprochen, zuletzt die BGH-Entscheidung vom 1. Juli 2020, nach der ein Mieter gegen die ordentliche Kündigung auch nicht den Härte fall-Einwand geltend machen kann.

Der Fall
Der vorliegende Fall weicht allerdings in einem Punkt von den bisher entschiedenen „Klassikern“ ab: Der Mieter hatte die Miete wegen eines Mangels gemindert und im Mai 2019 gar nicht bezahlt. Damit überschritt der Mietrückstand zwei Monatsmieten, und der Vermieter erklärte die außerordentliche und ordentliche Kündigung. Nach Zustellung der Räumungsklage zahlte der Mieter die Rückstände innerhalb von zwei Wochen nach. Damit war die außerordentliche Kündigung wegen der Schonfristzahlung unstreitig unwirksam geworden. Das Berufungsgericht hat jedoch versucht, die Regelung des § 569 Abs. 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unmittelbar auch auf die ordentliche Kündigung anzuwenden, was sich insbesondere aus der systematischen Auslegung dieser Vorschrift ergebe. Die weiteren üblichen Auslegungskriterien (Wortlaut, Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm) würden nicht zu einer Abweichung von der systemgerechten Anwendung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung zwingen.

Dem widerspricht der BGH in aller Deutlichkeit. Bereits das methodische Vorgehen des Berufungsgerichts missachtet die anerkannten Grundsätze der Gesetzesauslegung. Deren Ausgangspunkt bildet der Wortlaut der Norm, die anderen Gesichtspunkte sind gleichrangig heranzuziehen, und dienen nicht nur dazu, ein mit einem Kriterium gefundenes Auslegungs ergebnis zu widerlegen. Der BGH exerziert sodann die Auslegung der S chonfristregelung nochmals im Einzelnen durch. Der Wortlaut der Norm erfasst ausschließlich die fristlose Kündigung. In den §§ 569 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 BGB ist die fristlose Kündigung ausdrücklich bezeichnet. Aus dem sprachlichen Zusammenhang ergibt sich, dass auch in Nr. 2 nur die fristlose Kündigung erfasst wird. Weiter ergänzt § 569 BGB die Vorschrift des § 543 BGB für das Wohnraummietrecht, auch diese regelt nur die fristlose Kündigung.

Die systematische Stellung der Norm ergibt ebenfalls, dass sich diese nur auf die fristlose und eben nicht auf die ordentliche Kündigung bezieht. Sie wurde zwar bei der großen Mietrechtsreform im Jahr 2001 von den allgemeinen Vorschriften weg und ins Wohnraum-Mietrecht hinein gezogen, hier steht sie jedoch vor den Spezialregelungen zur ordentlichen Kündigung. Sie ist außerdem als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Auch hat der Reformgesetzgeber von 2001 dem Mietrecht zwar eine neue Systematik gegeben und die Frist der Schonfristzahlung von einem auf zwei Monate verlängert, eine darüber hinausgehende inhaltliche Änderung jedoch ausdrücklich nicht gewünscht.

Auch Sinn und Zweck der Norm, nämlich die Vermeidung der Obdachlosigkeit von Mietern, rechtfertigt keine Über- tragung auf die ordentliche Kündigung. Richtig ist zwar, dass angesichts der üblichen Verfahrensdauer die ordentliche Kündigungsfrist in der Regel spätestens zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits abgelaufen ist, sodass – gemäß dem Argument des Berufungsgerichts – kein Unterschied mehr zwischen einer fristlosen und einer ordentlichen Kündigung besteht. Dennoch erachtet der BGH das Risiko der Obdachlosigkeit als deutlich geringer, da Mieter die mindestens dreimonatige Kündigungsfrist für die Wohnungssuche nutzen können.

Auch der Rückgriff des Berufungsgerichts auf die Gesetzgebungshistorie und die Behauptung, der Gesetz- geber wünsche ungeachtet einer zu der fristlosen Kündigung hinzutretenden ordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach einer Schonfristzahlung einen dauerhaften Verbleib in der Wohnung, ist nach Ansicht des BGH nicht zu rechtfertigen. Im Gegenteil, der Gesetzgeber hat in den letzten Legislaturperioden mehrfach entsprechende Regelungsvorschläge nicht umgesetzt, zuletzt in einem Referentenentwurf aus dem Jahr 2016. Dies hat das Berufungsgericht bei seiner Betrachtung völlig außer Acht gelassen.

Schließlich spricht auch die in den Sozialgesetzen geregelte Zusammenarbeit zwischen den Gerichten und den Sozialbehörden nicht für eine Ausdehnung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung. Zwar werden die Sozialbehörden nach der Neuregelung des § 22 Sozialgesetzbuch (SGB) II von den Gerichten über den Eingang einer Räumungsklage informiert, allerdings nicht, wenn die Nichtzahlung der Miete offensichtlich nicht auf der Zahlungsunfähigkeit des Mieters beruht (so im vorliegenden Fall). Die Nichtanwendung der Schonfristzahlung
auf die ordentliche Kündigung macht diese Information auch nicht überflüssig, wie das Berufungsgericht argumentierte, weil Mieter dann ohnehin aufgrund der ordentlichen Kündigung die Wohnung verlieren. Der BGH widerspricht vielmehr einem derartigen Automatismus. Er weist am Ende seiner Entscheidung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen der ordentlichen Kündigung eine unverschuldete wirtschaftliche Notlage des Mieters zu berücksichtigen ist und er sich auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufen könne. Schließlich ist zu prüfen, ob die Berufung auf die or- dentliche Kündigung treuwidrig erscheint, was hier im Hinblick auf die vorgebrachten Mietmängel jedenfalls geprüft werden muss. Ebenso muss die rasche Nachzah- lung der offenen Beträge gewürdigt werden.

VERWALTERSTRATEGIE
Bei Ausspruch einer Zahlungsverzugskündigung ist es nach wie vor oberstes Gebot, nicht nur die außerordentliche fristlose Kündigung auszusprechen, sondern zudem auch die ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin. Gegen diese können sich Mieter nicht auf eine Schonfristzahlung berufen. Darüber hinaus sind Härtefalleinwendungen gegen die ordentliche Kündigung trotz einer Schonfristzahlung ausgeschlossen. Mieter können sich daher gegen die ordentliche Kündigung nur noch auf Treuwidrigkeit berufen. Hier- für müssen sie gute Gründe vorbringen. Die außerordentliche und ordentliche Zahlungs- verzugskündigung ist daher das Schwert zur Beendigung eines unliebsamen Mietverhält- nisses, das der BGH mit dieser Entscheidung nochmals geschärft hat. Er weist an mehreren Stellen der Entscheidung ausdrücklich dar- auf hin, dass der Rechtsprechung insoweit die Hände gebunden sind und ein Tätigwerden des Gesetzgebers notwendig wird, wenn die Schonfristzahlung auch die ordentliche Kün- digung wegen Zahlungsverzugs außer Kraft setzen soll.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com