09.12.2024 Ausgabe: 8/2024

Fristgerecht zugestellt?! Der Zugangsbeweis bei einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben

Immobilienverwalter bei Heizkostenabrechnung
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Im Arbeitsrecht spielen Fristen und ihre Einhaltung eine zentrale Rolle. Eine der wichtigsten Konstellationen, in der es auf den rechtzeitigen Zugang einer Erklärung ankommt, ist die Kün­digung eines Arbeitsverhältnisses. Dies aus zweierlei Gründen: Zum einen müssen vertraglich vereinbarte, tariflich festgelegte oder gesetzlich bestimmte Kündigungsfristen gemäß § 622 Bürgerliches Gesetz­buch (BGB) eingehalten werden. Beträgt die Frist für eine ordentliche Kündigung etwa zwei Monate zum Monatsende und will der Arbeitgeber sie zum 31. August erklären, so muss sie dem Arbeitnehmer bis spätestens 30. Juni zugegangen sein. Gleiches gilt natürlich, wenn der Arbeitnehmer selbst die Kündigung zu einem bestimmten Termin erklären will. Wird die Frist verpasst, wird die Kündigung regelmäßig dahingehend ausgelegt, dass sie erst zum nächstmöglichen Zeitpunkt wirksam wird – mit der Folge, dass der Arbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt zu vergüten ist.

Zum anderen ist der Zeitpunkt des Zugangs auch für den Arbeitnehmer von entscheidender Bedeutung. Denn will er geltend machen, dass eine Kündigung rechtsunwirksam ist, so muss er gemäß § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung eine Kündigungsschutzklage erheben. Tut er dies nicht, so gilt die Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an wirksam – selbst wenn sie dies eigentlich nicht ist.

Zugang der Kündigung auf dem Postweg

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst dann wirksam wird, wenn sie dem Arbeitnehmer zugeht. Wird sie dem Arbeitnehmer nicht persönlich übergeben, ist dies nach § 130 Abs. 1 BGB erst dann der Fall, wenn sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers – Juristen nennen dies den „Machtbereich“ – gelangt und er unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hatte.

Zum Machtbereich des Empfängers gehören die von ihm vorgehaltenen Empfangseinrichtungen, also vor allem ein Briefkasten. Bei der Möglichkeit zur Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Verhältnissen kommt es nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers an, sondern auf die gewöhnlichen Verhältnisse am Zustellungsort.

Eine in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfene Kündigung geht also zu, sobald mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Es ist dann unerheblich, ob der Empfänger daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände daran gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche allein in seiner Person liegenden Gründe nicht ausgeschlossen. Die Praxis stellt bei der Ermittlung dieses Zeitpunkts regelmäßig auf die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten, also die Arbeitszeiten der örtlichen Post-Bediensteten, ab. Wenn in der Wohngegend des Empfängers die Post von diesen tagtäglich bis 16:00 Uhr zu verteilen ist, so gilt eine um 15:00 Uhr eingeworfene Sendung als taggleich zugestellt, auch wenn der Empfänger etwa schon mittags den Briefkasten kontrolliert und die Sendung dann erst am nächsten Tag auffindet.

Modalitäten des Einwurf-Einschreibens

Für viele Arbeitgeber ist bei der sicheren Übermittlung von Kündigungen und anderen rechtserheblichen Erklärungen das Einwurf-Einschreiben das Mittel der Wahl. Der Versand per Einwurf-Einschreiben existiert in der heutigen Form seit dem Jahr 1997. Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Postzustellung, bei der der Zusteller das Schriftstück in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers einwirft und diesen Vorgang entsprechend (und damit im Unterschied zum gewöhnlichen Brief) dokumentiert.

Der Absender erhält bei Abgabe des Einwurf-Einschreibens einen Einlieferungsbeleg mit Einlieferungsdatum und Sendungsnummer, der dokumentiert, dass der Absender die Erklärung zur Post gegeben und sie in den Versandprozess eingespeist hat. Der Sendungsstatus, der online abrufbar ist, gibt Aufschluss über den Weg der Sendung bis zur Einwurfzustellung.

Auf dem Auslieferungsbeleg bestätigt schließlich der Zusteller mit seiner Unterschrift und Datumsangabe die Zustellung. Der Auslieferungsbeleg wird von der Deutschen Post eingescannt und bis zu drei Jahre gespeichert. Das Original wird vernichtet, der Absender kann bei Bedarf eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs anfordern.

Vollbeweis des Zugangs meist unmöglich

Wird eine Kündigung per Einwurf-Einschreiben verschickt, behauptet der Arbeitnehmer aber, dass ihm diese nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, steht der Arbeitgeber vor der Frage, wie er den (rechtzeitigen) Zugang beweisen soll.

Dabei ist ihm der Weg über den Urkundenbeweis durch Vorlage von Ein- und Auslieferungsbeleg verwehrt, da dieser nur für öffentliche Urkunden gilt. Solche begründen nach § 415 Zivilprozessordnung (ZPO) zwar den vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs. Allerdings ist die Deutsche Post seit ihrer Privatisierung keine Behörde mehr und kann damit auch keine öffentlichen Urkunden mehr ausstellen. Zudem handelt es sich nicht um eine Privaturkunde im Sinne von § 416 ZPO, da eine solche unterschrieben in Urschrift vorgelegt werden muss, der Einlieferungsbeleg aber keine Unterschrift enthält und der Auslieferungsbeleg lediglich als Reproduktion ausgestellt wird.

Ebenso wenig wird der Zusteller als Zeuge dienen können. Die Zustellung eines Einwurf-Einschreibens ist ein jährlich hundertfach praktizierter Vorgang, an den er sich im Einzelnen kaum erinnern wird.

Beweis des ersten Anscheins

Die Rechtsprechung hilft hier mit den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins weiter. Die im Rahmen der Versendung eines Einwurf-Einschreibens erhaltenen Belege können im Prozess vorgelegt werden und unterliegen dann auch der richterlichen Beweiswürdigung.

Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Dabei bedeutet „typisch,“ dass ein bestimmter Sachverhalt so häufig vorkommt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist. Da Sendungen von der Deutschen Post zu 97 Prozent innerhalb von zwei Werktagen beim Empfänger eingehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine aufgegebene Sendung tatsächlich ankommt, sehr hoch und damit „typisch,“ sofern Belege für den Zugang vorgelegt werden.

Ist der Zugang einer schriftlichen Erklärung streitig und beruft sich der Absender auf einen Zugang beim Empfänger per Einwurf-Einschreiben, begründet die bloße Vorlage des Einlieferungsbeleges allerdings noch keinen Beweis des ersten Anscheins für die Zustellung, ebenso wenig die Kombination von Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus (LAG Baden-Württemberg, 12.12.2023, Az. 15 Sa 20/23).

Das Bundesarbeitsgericht hat aber in einer vor Kurzem ergangenen Entscheidung klargestellt, dass der Anscheinsbeweis regelmäßig als geführt anzusehen ist, wenn neben dem Einlieferungsbeleg auch die Reproduktion des Auslieferungsbeleges vorgelegt wird. Denn mit einem ausgefüllten Auslieferungsbeleg bestätigt der Zusteller mit seiner Unterschrift unter Angabe des Datums die ordnungsgemäße Zustellung der Sendung beim Empfänger. Der Anscheinsbeweis erstreckt sich dann auch auf den Zugang der Sendung zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten (BAG, 20.6.2024, Az. 2 AZR 213/23). Es sollte mithin in jedem Fall die Reproduktion des Auslieferungsbelegs angefordert werden.

Erschütterung des Beweiswertes

Die Grundsätze des Anscheinsbeweises begründen aber weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung und auch keine Beweislastumkehr zulasten einer Partei. Ein Anscheinsbeweis kann also erschüttert werden, indem der Prozessgegner atypische Umstände des Einzelfalls darlegt und Tatsachen nachweist, die einen abweichenden Geschehensablauf nahelegen.

So konstituieren etwa der Ein- und Auslieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens keinen Anscheinsbeweis für den im Auslieferungsbeleg genannten Tag der Zustellung, wenn dieser eine falsche Postleitzahl ausweist (LAG Berlin-Brandenburg, 16.5.2024, Az. 5 Sa 893/23). Ebenso, wenn es in der Vergangenheit am Zustellungsort gehäuft zu Fehlzustellungen gekommen ist.

Uneinheitlich beurteilt die Rechtsprechung solche Fälle, in denen sich der Briefkasten in einer großen Briefkastenanlage befindet. Nach einer Auffassung scheidet ein Anscheinsbeweis in solchen Fällen aus, da bei großen Anlagen ein Einwurf in den falschen Briefkasten ein typischer Fall sei (ArbG Düsseldorf, 22.2.2019, Az. 14 Ca 465/19). Nach einer anderen Ansicht ist die theoretische Möglichkeit eines Fehleinwurfs bei einer Briefkastenanlage aber so unwahrscheinlich, dass zunächst der Beweis des ersten Anscheins für die richtige Zustellung begründet wird (LAG Schleswig-Holstein, 18.1.2022, Az. 1 Sa 159/21). Eine höchstrichterliche Entscheidung steht hierzu noch aus.

Der allgemeine Verweis auf die Möglichkeit von Fehlzustellungen führt in keinem Fall zur Erschütterung des Anscheinsbeweises. Ebenso wenig der pauschale Einwand, es bestehe die Möglichkeit, dass das Kündigungsschreiben durch einen Dritten aus dem Briefkasten entwendet worden sei.

Fazit

Die Zustellung einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben stellt eine praktikable und in der Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit dar, um einen rechtssicheren Zugang zu bewirken. Gleichwohl ist diese Zustellungsart nicht frei von Risiken. Insbesondere können fehlerhafte Zustellungen oder ein begründetes Bestreiten des Zugangs durch den Empfänger zu rechtlichen Unsicherheiten führen. Zudem bleibt die Frage des tatsächlichen Zeitpunkts des Zugangs – also ob die Zustellung inner- oder außerhalb der gewöhnlichen Zustellungszeiten erfolgte – oftmals umstritten. Es empfiehlt sich daher, in besonders streitanfälligen Fällen – z. B. wenn der Arbeitnehmer sich schon in der Vergangenheit auf fehlenden Zugang rechtserheblicher Erklärungen berufen hat, allgemein als Querulant bekannt ist oder bekannt ist, dass er in einem größeren Wohnblock lebt – auf noch sicherere Zustellungsarten zurückzugreifen, etwa die persönliche Übergabe gegen Empfangsbestätigung oder die Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher.

“Fristgerecht zugestellt?! Der Zugangsbeweis bei einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben” erschien in der Ausgabe 8/2024

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de