03.12.2021 Ausgabe: 8/21

Mietrecht: Kündigungsbeschränkung und Familienprivileg

(BGH, Urteil vom 2.9.2020 – Az. VIII ZR 35/19)

DAS THEMA
Um das Bestandsmietverhältnis zu schützen und der Umwandlung von Miet- in Eigen­tumswohnungen vorzubeugen, gilt eine Kündigungsbeschränkung gemäß § 577a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): War die Mietwohnung bereits an den Mieter über­lassen und wird das Objekt anschließend nach Wohnungseigentumsgesetz aufge­teilt und die einzelne Eigentumswohnung verkauft, so kann der Erwerber eine Kün­digung wegen Eigenbedarfs erst drei Jahre nach der Veräußerung aussprechen. Diese Frist kann in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt durch Verordnung der Landesregierung sogar auf bis zu zehn Jahre verlängert werden, so geschehen insbesondere in den Großstädten München und Berlin. Diese Kündigungsbeschrän­kung wirkt ebenso, wenn eine Wohnung an eine Personengesellschaft oder an meh­rere Erwerber veräußert werden soll. Auch hier sollen Mieter vor dem erhöhten Risiko einer Eigenbedarfskündigung durch einen der Erwerber oder Gesellschafter geschützt werden. Hiervon wiederum ausgenom­men sind allerdings mehrere Erwerber oder Gesellschafter, die derselben Familie oder demselben Haushalt angehören. Sie wer­den quasi als „ein“ Erwerber angesehen und können daher Eigenbedarf geltend machen, sogenanntes Familienprivileg. Im vorliegen­den Fall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden, ob dieses Familienprivileg auch anwendbar ist, wenn nur einer von zwei Ehegatten Eigenbedarf geltend macht, und ob es auch dann gilt, wenn die (frü­heren) Ehegatten bereits geschieden sind.

DER FALL
Der Vater des Vermieters vermietete ein Einfamilienhaus an die beklagten Mieter. Im Jahr 2015 veräußerte er das Haus an seinen Sohn und dessen Frau, die damit beide in die Vermieterstellung eintraten. Zum Zeit­punkt der Veräußerung lebten die Vermie­ter bereits getrennt, die Scheidung erfolgte im Jahr 2016. Im Jahr 2017 kündigten die Vermieter wegen Eigenbedarfs und begrün­deten diesen damit, dass die geschiedene Ehefrau (und Miteigentümerin) mit ihrem neuen Lebensgefährten und den beiden Kindern aus erster Ehe in das Haus ziehen wollte. Sie lebte bislang in einer Mietwoh­nung, deren Vermieter ebenfalls ihr frühe­rer Schwiegervater war, und beide Kinder könnten durch den Umzug ihren Schulweg deutlich verkürzen, sodass er zu Fuß zurück­zulegen sei und der tägliche Fahrweg von bisher zwölf Kilometern entfiele.

Der Eigenbedarf, insbesondere wegen der deutlichen Verkürzung des Schulwegs für die Kinder, wurde von allen drei Instanzen bejaht. Zu prüfen war, ob die dreijährige Sperrfrist des § 577a BGB gilt, da zwischen dem Erwerb durch die Kläger und dem Ausspruch der Kündigung nur zwei Jahre lagen. Die Vermieter beriefen sich auf das Familienprivileg, die Beklagten machten geltend, dass die Vermieter bereits beim Erwerb getrennt gelebt hatten. Das Beru­fungsgericht hatte argumentiert, dass es auf die Trennung nicht ankomme, son­dern ausschlaggebend der Zeitpunkt der Scheidung der Ehe sei. Da die Ehe bei der Veräußerung noch nicht geschieden war, gelte das Familienprivileg.

Der BGH zieht das Familienprivileg sogar noch weiter. Auch die Zustellung des Scheidungsantrags ist nicht maßgeblich. Als Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen zu zie­hen ist, auf die sowohl der Eigenbedarf in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB Bezug nimmt als auch das Familienprivileg in § 577a BGB, sieht der BGH die strafrechtlichen Rege­lungen zum Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. Dieses stellt auf eine typisierte persönliche Nähebezie-hung ab, unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung besteht. Ehe­gatten fallen hierunter auch dann, wenn sie getrennt leben, wenn ein Scheidungs­antrag bereits eingereicht ist, und sogar wenn die Scheidung bereits vollzogen ist. Die Vermieter fallen daher unter das Familienprivileg und konnten Eigenbe­darf auch vor Ablauf der Dreijahresfrist geltend machen.

Schließlich hatten die Mieter noch argu­mentiert, dass bei Anwendung des Famili­enprivilegs auch Eigenbedarf aller Erwerber vorliegen müsse, die alle zur gemeinsamen Nutzung in das Objekt einziehen müss­ten. Dies weist der BGH zurück. Anknüp­fungspunkt des Gesetzes ist allein der gemeinsame Erwerb. Die gemeinschaftli­che Selbstnutzung ist nicht Voraussetzung für den Wegfall des Kündigungsprivilegs.

VERWALTERSTRATEGIE
Häufig haben Erwerber die Sperrfristen des § 577a BGB (bis zu zehn Jahre!) nicht im Blick. Das Familienprivileg hilft allerdings nur bei Erwerb eines Hauses oder einer Eigentumswohnung, das bzw. die bereits vor der Vermietung umgewandelt war. Wird eine Wohnung erst während eines bestehenden Mietverhältnisses in Eigentum umgewandelt und dann verkauft, greift § 577a Abs. 1 Nr. 1 BGB, der kein Familienprivileg kennt. Die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist durch das im Juni 2021 in Kraft getretene Baulandmodernisierungsgesetz nochmals erschwert worden. Auch hier gilt allerdings eine Ausnahme, nämlich dann, wenn die Umwandlung erfolgt, weil das Wohnungseigentum an Familienangehörige des Eigentümers zu deren eigener Nutzung veräußert werden soll. Damit wurde zum einen das Familienprivileg auch auf die Umwandlung in Eigen­tumswohnungen ausgedehnt, zum anderen ist hier aber genau die Nut­zungsabsicht aller Miteigentümer gesetzliche Voraussetzung geworden.

Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com