Mit Urteil vom 15.01.2025 zum gerichtlichen Aktenzeichen 1 S 6774/24 WEG äußerte sich das Landgericht München I zu Fragen der Zulässigkeit einer Teilversammlung in einer aus 13 Häusern bestehenden, in der Gemeinschaftsordnung geregelten Mehrhausanlage sowie der Wirksamkeit einer nachträglichen restlosen Abbedingung der gesetzlichen Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG.
Der Fall
Die Klägerin ist teilende Eigentümerin und nach wie vor Mitglied der GdWE (Beklagten), da ihr noch Sondereigentumseinheiten gehören. In der Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung (TE/GO) vom 28.10.2015 behielt sie sich das Recht vor, die TE und GO „beliebig“ zu ändern und zu ergänzen, u.a. und insbesondere bezüglich Sondernutzungsrechten, Befugnissen der gebildeten Untergemeinschaften, Zweckbestimmungen und der Kostenverteilungsschlüssel der GO. Der Änderungsvorbehalt greift, solange sie als Eigentümerin in einer Sondereigentumseinheit im Grundbuch eingetragen ist, längstens jedoch bis zum 31.12.2025.
Nachdem die Klägerin Einheiten verkauft hatte, ergänzte sie mit Nachtrag vom 20.07.2021 die TE/GO um folgende Bestimmung: „Die vorstehenden in den Abschnitten (2) bis (8) festgelegten Kostenverteilungsschlüssel sind nur durch einstimmige Vereinbarung aller Wohnungs- und Teileigentümer abänderbar. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG wird abbedungen und findet keine Anwendung.“ Dieser Nachtrag wurde notariell beurkundet und im Grundbuch vollzogen. In allen Bauträgerverträgen befinden sich im Außenverhältnis entsprechend unbeschränkte Vollmachten aller Erwerber zugunsten der Klägerin.
In der GO ist die Bildung von Untergemeinschaften vereinbart. Es gibt 13 Häuser, die in allen ihr jeweiliges Haus betreffenden Angelegenheiten allein zuständig, kostentragungspflichtig und stimmberechtigt sind. In der Teilversammlung der Untergemeinschaft eines Hauses, in der der Klägerin eine Einheit gehört, wurde am 25.10.2023 unter TOP 3a beschlossen: „Die Eigentümergemeinschaft beschließt, den Verteilerschlüssel der Verwaltergebühr von bisher Umlage nach Miteigentumsanteilen auf dann nach Anzahl der Einheiten zu ändern.“
Das Amtsgericht Rosenheim wies die Anfechtungsklage ab, das Landgericht München I gab ihr statt und entschied: „Der Beschluss unter TOP 3a der Eigentümerversammlung am 25.10.2023 (…) wird für nichtig erklärt.“
Die Entscheidung
Das Landgericht München I bejaht die Zulässigkeit der Teilversammlung der Untergemeinschaft, da diese vereinbart und korrekt umgesetzt worden sei. Jedoch sei der Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig. Die gesetzliche Beschlusskompetenz in § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG sei durch den Nachtrag zur TE/GO wirksam abbedungen worden. Die klagende Bauträgerin habe diese nachträgliche Änderung einseitig und in wirksamer Weise vornehmen können. Die Änderungsvorbehalte in TE und GO sowie die unbeschränkten Vollmachten und Änderungsvorbehalte in den Erwerbsverträgen (Bauträgerverträgen) seien wirksam. Für eine Änderungsmöglichkeit habe deswegen Anlass bestanden, weil die umfassende Möglichkeit der Abänderung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG zum Zeitpunkt der Teilungserklärung (28.10.2015) noch gar nicht bestanden habe und die erwerbenden Eigentümer daher auch nicht auf eine solche vertrauen konnten.
Fazit für den Verwalter
Grundsätzlich ist der Verwalter in seiner Funktion als Versammlungsleiter verpflichtet, keine nichtigen Beschlüsse „in die Welt zu setzen“, also nicht den falschen Rechtsschein zu erwecken, der verkündete Beschluss sei wirksam und gültig. „Kunststück daran“ ist freilich, dass die rechtliche Qualifizierung und Abgrenzung zwischen Rechtswidrigkeit (Zitterbeschluss) und Nichtigkeit (z.B. mangels Beschlusskompetenz) in manchen Fällen schwierig sind. Dies galt auch im vorliegenden Fall. Der Sachverhalt ist mit Rechtsfragen gespickt, die zum Teil umstritten und höchstrichterlich ungeklärt sind.
Der Verwalter sollte die Wohnungseigentümer in dieser Situation auf seine „Bauschmerzen“ aufmerksam machen und anregen, anwaltliche Hilfe hinzuzuziehen. Pflichtwidrig wäre es, wenn er ohne Problembewusstsein und in Unkenntnis des Nachtrages über die Abbedingung der Beschlusskompetenz einen positiven Beschluss verkündet. Die Abbedingung des § 16 Abs. 2 Satz 2 im Nachtrag muss ein gewerbsmäßig tätiger Verwalter entdecken (Lektüre) und auch ohne juristische Vorbildung einordnen können. Es ist möglich und zumutbar, dass er die Vorschrift kennt oder zumindest selbstständig im Internet recherchiert. Das durch die Abbedingung eine an sich bestehende gesetzliche Beschlusskompetenz ausgeschlossen wird, muss er bei unbefangener Lektüre ebenfalls erfassen. Eine juristische Bewertung der Wirksamkeit des Nachtrages obliegt ihm hingegen nicht.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Im Zeitpunkt der Beurkundung der Teilungserklärung galt § 16 Abs. 5 WEG (01.07.2007 bis 30.11.2020). Dieser sah vor, dass die Befugnisse (Beschlusskompetenzen) der Wohnungseigentümer zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels für Betriebskosten und die Kosten der Verwaltung (§ 16 Abs. 3 WEG a.F.) und zur Durchbrechung des geltenden Kostenverteilungsschlüssels im Einzelfall (§ 16 Abs. 4 WEG a.F.) selbst durch eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer in der GO nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden konnten. Der Gesetzgeber brachte damit zum Ausdruck, wie wichtig ihm die gesetzliche Beschlusskompetenz und die damit verbundene (qualifizierte) Mehrheitsmacht in Bezug auf eine faire Kostenverteilung waren. Zum 01.12.2020 hat der Gesetzgeber diese Regelung (Abbedingungsverbot) aus § 16 WEG n.F. gestrichen.
Wohnungseigentümer, die vor dem Nachtrag vom 20.07.2021 ihr Sondereigentum erwarben oder zumindest eine gesicherte Erwerbsposition im Sinne eines werdenden Wohnungseigentümers erlangt hatten, wurden von dem Nachtrag, der nur aufgrund der Gesetzesänderung zum 01.12.2020 gesetzlich ermöglicht wurde, überrascht und vielleicht sogar „überfahren“. Entgegen der Aussage des Landgerichts waren zumindest diese Erwerber in ihrem Vertrauen, Kostenverteilungsschlüssel zumindest in Teilbereichen unbeschränkt abändern zu können (Beschlusskompetenz) und zu dürfen (Ordnungsmäßigkeit) schutzwürdig.
Die Schutzwürdigkeit als werdender Wohnungseigentümer mit einer gesicherten Rechtsposition setzt ein, wenn ein Erwerber einen Bauträgervertrag abgeschlossen hat, zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist und der Besitz übergegangen ist. Auch vor der vollständigen Eintragung als Wohnungseigentümer ist der Erwerber dann vor eigenmächtigen Handlungen des Bauträgers geschützt. Das Demokratisierungsinteresse innerhalb der Gemeinschaft setzt ein und der Bauträger kann nicht mehr nach freien Stücken schalten und walten.
Fazit für die Gemeinschaft
Die GdWE finanziert sich durch Hausgeldzahlungen der Wohnungseigentümer (Mitglieder). Das Gemeinschaftsinteresse geht dahin, die interne Kostenerhebung und -verteilung nach einem fairen (ordnungsmäßigen) Kostenverteilungsschlüssel zu gestalten. Der hiesige Beschluss, die Verwaltergebühr nicht länger nach Miteigentumsanteilen zu verteilen, sondern nach Anzahl der Einheiten, ist an sich ordnungsmäßig, üblich und weit verbreitet. Es ist misslich, dass der Mehrheit diese gesetzliche Beschlusskompetenz nachträglich durch einen Alleingang der aufteilenden Eigentümerin entzogen worden sein soll. Wäre der Nachtrag vor dem 01.12.2020 erfolgt, wäre die Änderung wegen § 16 Abs. 5 WEG a.F. nichtig gewesen. Mein Rechtsgefühl sträubt sich gegen das Ergebnis der landgerichtlichen Entscheidung. Einige Aspekte müssen in der Diskussion beleuchtet werden. Der Nachtrag könnte unwirksam sein, weil der teilenden Eigentümerin die Änderungsbefugnis aufgrund der gesicherten Erwerbspositionen der Miteigentümer fehlte. Das Verbot der Änderung ist keine Änderung. Die Klausel im Erwerbsvertrag könnte unwirksam sein, weil die Befugnis zu „beliebigen Änderungen“ nicht an einen triftigen Grund anknüpft. Anders als Sondernutzungsrechte, Befugnisse (Zuständigkeiten) von Untergemeinschaften und Zweckbestimmungen geht es bei den Kostenverteilungsschlüsseln der GO nicht um vereinbarungsbedürftige Dinge. Kann es überzeugen, dass infolge der Abbedingung der Beschlusskompetenz eine Vereinbarung sämtlicher Wohnung- und Teileigentümer erforderlich sein soll? Eine Vereinbarung (nur) innerhalb einer Untergemeinschaft („Blockvereinbarung“) dürfte ausscheiden. Gehört das Demokratisierungsinteresse in der Gründungsphase einer Gemeinschaft mit Abverkauf vom teilenden Eigentümer zum Kernbereich, sodass die Vereinbarung der Abbedingung materiell nichtig ist?
Grundsätzlich sind die anderen Untergemeinschaften nicht berührt, wenn nur ein Haus den Kostenverteilungsschlüssel bezüglich des dort „landenden“ Anteils an der Verwaltervergütung ändert und anders verteilt als die übrigen Häuser.
Zu verklagen war die (gesamte) GdWE, also nicht etwa nur die Untergemeinschaft des betreffenden Hauses. Untergemeinschaften sind weder rechts- noch prozessfähig. Das Landgericht spricht zutreffend von der Teilversammlung der Untergemeinschaft … der Beklagten.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Im Fall wurden die ursprüngliche TE/GO vor und der Nachtrag nach dem 01.12.2020 beurkundet. Dadurch konnten Vertrauensschutz und Systembruch aufeinanderprallen. In einer TE/GO, die nach dem 30.11.2020 beurkundet wird, ist die Möglichkeit einer vollständigen Abbedingung der Beschlusskompetenz nach § 16 Satz 2 WEG möglicherweise anders zu bewerten. Die Hürden könnten weniger hoch sein. In Extremfällen bleibt dem Einzelnen bzw. der Minderheit, die einen geltenden Verteilerschlüssel für unfair hält, nach derzeitiger Rechtslage nur der erschwerliche Weg über § 10 Abs. 2 WEG.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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