Die Teilnahme an einer Wohnungseigentümerversammlung dient dem Austausch, der Information sowie der Willensbildung aller Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) und ist damit ein Kernelement der WEG. Das Abhalten reiner Online-Eigentümerversammlungen dient nicht nur diesem Zweck, sondern auch der schnelleren Beschlussfassung – z. B. hinsichtlich energetischer Sanierungen im Hinblick auf das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestands. Bereits heute nutzen einige WEG diese Form der Versammlung, wenn sich zuvor darauf verständigt wurde.
Die Bundesregierung erwägt aktuell, „eine gesetzliche Beschlusskompetenz für die Wohnungseigentümerversammlung zu schaffen, durch einstimmigen Beschluss die Durchführung reiner Online-Versammlungen zu beschließen, wenn sie hinsichtlich der Teilnahme (Zwei-Wege Audio- und Videoverbindung in Echtzeit) und Rechteausübung mit Präsenzversammlungen vergleichbar sind“, heißt es in der Antwort des Bundesministeriums der Justiz auf eine schriftliche Anfrage von Dr. Jan-Marco Luczak, dem baupolitischem Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Aus dem Schreiben des Bundesministeriums geht hervor, dass ein entsprechender Referentenentwurf noch im Laufe des Jahres 2022 vorgelegt werden soll.
„Mit der gesetzgeberischen Beschlusskompetenz von Online-Versammlungen bietet sich für Wohnungseigentümergemeinschaften eine neue Kommunikationsform, um ihre Belange schnell und zügig zu regeln. Das ist dringend notwendig, wenn man die aktuellen Bau- und Materialpreise sowie die hohen Wartezeiten bei Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen sieht“, so Martin Kaßler, Geschäftsführer des VDIV Deutschland. „Zunehmend wird es schwieriger mehrere Angebote für auszuführende Arbeiten einzuholen. Zudem halten viele Handwerksbetriebe ihre Angebote nur noch zwei bis drei Wochen aufrecht. Zeitnahe Entscheidungen bspw. durch Online-Beschlüsse würden hier Abhilfe schaffen. Unabhängig hat die Praxis gezeigt, dass deutlich mehr Eigentümer von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen, wenn es Online-Versammlungen gab, was in der Folge auch ein höheres Verantwortungsbewusstsein für die eigene Immobilie mit sich bringt.“
Obwohl die Ankündigung der Bundesregierung lobenswert ist, muss die Praxis noch stärker berücksichtigt werden.
Im weiteren Verfahren wird daher zu diskutieren sein, ob tatsächlich alle Wohnungseigentümer vorab einer Online-Versammlung zustimmen müssen. Hier könnte es zu Blockadehaltungen einzelner Eigentümer kommen, so wie vor der WEG-Reform, als das Einstimmigkeitsprinzip zur Anwendung kam. Wenige Eigentümer konnten somit wichtige Beschlüsse verhindern oder auf unabsehbare Zeit verschieben. Hinterfragt werden muss zudem, ob in diesem Kontext die Einstimmigkeitsregel bei Beschlüssen im Umlaufverfahren zugunsten einer Mehrheitsregel aufgehoben werden muss.
„Der Systematik des bestehenden Gesetzes folgend und vor dem Hintergrund der fortschreitenden digitalen Gesellschaft sollte eine einfache Mehrheit zur Beschlussfassung von Online-Versammlungen ausreichen“, so Martin Kaßler. „Bei sogenannten Hybrid-Versammlungen ist dies bereits seit der WEG-Reform 2020 möglich. Warum nicht auch bei Online-Eigentümerversammlungen?“
Kaßler sieht noch einen weiteren großen Vorteil einer einfachen Mehrheit bei Online-Eigentümerversammlungen: „Ein wichtiger Vorteil der reinen Online-Versammlung ist, dass die Versammlung immer im Büro der Immobilienverwaltung abgehalten werden kann. Damit wird sichergestellt, dass ausreichende Datenleitungen und die notwendige Hardware zur Verfügung stehen. Die derzeit zulässige hybride Versammlung muss weiterhin am Ort der Liegenschaft, dem Sitz der WEG, stattfinden. Oft also wiederum in der Gastronomie oder in Bürger- oder Pfarrheimen, in denen die digitale Infrastruktur häufig fehlt.“
Eigentümer, die aus verschiedensten Gründen nicht an einer Online-Eigentümerversammlung teilnehmen können, haben wie in der Vergangenheit auch, die Möglichkeit Vollmachten auszustellen, um vom Stimmrecht Gebrauch zu machen.