03.03.2015 Ausgabe: 2/2015

Abgrenzungsfragen

Welcher Beschluss braucht welche Mehrheit? Doppelt qualifizierte Mehrheit, gesetzliche
und vereinbarte Öffnungsklauseln, Sonderbelastungsbeschlüsse – ein Überblick

Bevor über Beschlussanträge abgestimmt wird, sollte Verwaltern und Eigentümern klar sein, welche Mehrheit erforderlich ist, um einen positiven Beschluss verkünden zu können. Dies ist nicht immer einfach. Speziell Beschlüsse über bauliche Maßnahmen bergen Abgrenzungsprobleme. Auch die doppelt qualifizierte Mehrheit (§§ 16 Abs. 4, § 22 Abs. 2 WEG) stellt Verwalter vor größere Herausforderungen. Mit gesetzlichen und vereinbarten Öffnungsklauseln muss er ebenso sicher umgehen können wie mit „Sonderbelastungsbeschlüssen“ und schriftlichen Beschlüssen nach § 23 Abs. 3 WEG.

Unproblematisch:

die einfache Mehrheit
Mehrheitserfordernisse ergeben sich aus dem Gesetz oder der Gemeinschaftsordnung. Unproblematisch sind Fälle, in denen die einfache Mehrheit ausreicht, um einen Beschlussantrag anzunehmen. Z. B. Beschlüsse über Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung, Sonderumlage (§ 28 WEG), Aufhebung einer Veräußerungsbeschränkung (§ 12 Abs. 4 WEG), Gebrauchsregelung (§ 15 Abs. 2 WEG), Änderung des Kostenverteilerschlüssels für Betriebs- und Verwaltungskosten (§ 16 Abs. 3 WEG), Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung mit gesetzlichen Regelbeispielen (§ 21 Abs. 3 und 5 WEG), modernisierende Instandsetzung (§ 22 Abs. 3 WEG), Legitimation außergerichtlicher oder gerichtlicher Rechtsverfolgung durch Eigentümer oder Verband (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG), Bevollmächtigung einzelner Wohnungseigentümer zur Vertretung des Verbandes bei Fehlen oder Verhinderung des Verwalters (§ 27 Abs. 3 Satz 3 WEG), Bestellung oder Abberufung von Verwalter und Verwaltungsbeirat (§ 26 Abs. 1 und § 29 Abs. 1 WEG), Regelung des Hausgeld- und Zahlungsmanagements, der Kosten für eine besondere Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums oder für einen besonderen Verwaltungsaufwand (§ 21 Abs. 7 WEG). Zusätzlich sind Geschäftsordnungsbeschlüsse zu nennen, für die ebenfalls die einfache Stimmenmehrheit genügt.

Die doppelt qualifizierte Mehrheit

In den Fällen des § 16 Abs. 4 und des § 22 Abs. 2 WEG genügt das Erreichen einer einfachen Stimmenmehrheit nicht, um die Annahme des Beschluss­antrages verkünden zu dürfen. Es ist eine doppelt qualifizierte Mehrheit erforderlich, d. h. 75 Prozent der stimmberechtigten Eigentümer nach Köpfen (selbst wenn laut Gemeinschaftsordnung nach Miteigentumsanteilen oder Einheiten ausgezählt wird), die zugleich mehr als 50 Prozent der Miteigentumsanteile auf sich vereinen. Bei § 16 Abs. 4 WEG geht es nicht (im Gegensatz zu § 16 Abs. 3 WEG) um die Änderung des Kostenverteilerschlüssels, sondern um die einmalige Durchbrechung des unverändert fortbestehenden Kostenverteilerschlüssels. Der stattdessen gewählte Schlüssel muss gebrauchsbezogen sein. Andernfalls wäre er rechtswidrig und auf rechtzeitige Anfechtungsklage hin vom Gericht für ungültig zu erklären. § 22 Abs. 2 WEG regelt die Modernisierung und die Anpassung des gemeinschaftlichen Eigentums an den Stand der Technik. Hier ist neben dem Erreichen der doppelt qualifizierten Stimmenmehrheit auf das Vorliegen der weiteren im Gesetzestext genannten Voraussetzungen zu achten. Wird die doppelt qualifizierte Mehrheit nicht erreicht, muss der Verwalter verkünden, dass der Beschlussantrag abgelehnt ist.

Beschluss-Mehrheiten bei baulichen Maßnahmen

Bauliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum können dem Verwalter zu schaffen machen, wenn er vor der Abstimmung beurteilen muss, welche Mehrheit nötig ist. Noch recht einfach zu handhaben sind Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung. Besteht ein Instandsetzungsbedarf, darf mit einfacher Stimmenmehrheit abgestimmt werden (§ 21 Abs. 3 und Abs. 5 Nr. 2 WEG). Die modernisierende Instandsetzung (§ 22 Abs. 3 WEG) unterliegt ebenfalls nur dem einfachen Mehrheitserfordernis. Geht es hingegen um eine Modernisierung oder Anpassung an den Stand der Technik, wird die Grenze zu § 22 Abs. 2 WEG überschritten mit dem dort geltenden doppelt qualifizierten Mehrheitserfordernis (s. o.). Ist § 22 Abs. 2 WEG nicht einschlägig, könnte es sich um eine „klassische“ bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG handeln. Diese Vorschrift hat ein ganz untypisches Mehrheitserfordernis, weil es nicht fix, sondern flexibel ist und davon abhängt, welche Eigentümer durch die fragliche Baumaßnahme in einer Weise beeinträchtigt werden, die über das gesetzlich zulässige Maß hinaus geht (siehe dazu § 22 Abs. 1 und § 14 Nr. 1 WEG). Hier kann es für den Verwalter sinnvoll sein, die Eigentümer auf die Abgrenzungsschwierigkeiten hinzuweisen und evtl. sogar alternativ oder nach mehreren Varianten abstimmen zu lassen, um im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die verschiedenen Abstimmungsergebnisse in tatsächlicher Hinsicht festgestellt und dokumentiert zu haben. Nicht alle Fälle sind in der Rechtsprechung gelöst. Ein praxisrelevantes, rechtlich umstrittenes und nach wie vor nicht gelöstes Beispiel ist die Ersetzung alter abgängiger Balkone durch größere Ständerbalkone, die bei Aufbringung eines Wärmedammverbundsystems vor die Fassade gestellt werden. Hier kommen Maßnahmen nach § 22 Abs. 1 bis 3 WEG zusammen und es greifen unterschiedliche Mehrheitserfordernisse.

Vereinbarte Öffnungsklauseln

Verwalter müssen die Gemeinschaftsordnung stets darauf hin überprüfen, ob in ihr Öffnungsklauseln vereinbart sind. Nicht selten sind Vereinbarungen getroffen, die es den Eigentümern gestatten, Regelungen des Gemeinschaftsrechts (z. B. Kostenverteilungsschlüssel) durch einfachen oder – meistens – qualifizierten Mehrheitsbeschluss abzuändern, obwohl es sich an sich um eine vereinbarungsbedürftige Angelegenheit handelt. Oft heißt es, dass Änderungen mit 2/3- oder 3/4-Mehrheit beschlossen werden dürfen, wobei es nach der typischen Formulierung und Lesart solcher Öffnungsklauseln auf alle Eigentümer ankommt, also nicht nur die in der Versammlung anwesenden oder vertretenen. Gibt es vereinbarte Öffnungsklauseln, muss der Verwalter in den Fällen des § 16 Abs. 3 WEG und § 22 Abs. 2 WEG beachten, dass die doppelt qualifizierten Mehrheitserfordernisse „Vorfahrt“ vor der Gemeinschaftsordnung haben. Soll heißen: Ist das gesetzliche Quorum erreicht, das in der Gemeinschaftsordnung vereinbarte hingegen nicht, dann gilt das Gesetz (siehe dazu § 16 Abs. 5 und § 22 Abs. 2 Satz 2 WEG).

Beschlüsse im Bereich des Belastungsverbots

Eine weitere Fallgruppe bildet die Beschlussfassung im Bereich des Belastungsverbots. Typisches Beispiel sind die Fälle der tätigen Mithilfe (z. B. Treppenhausreinigung, Wegereinigung, Streudienst, Gartenarbeit). Grundsätzlich unterliegt es nicht der Mehrheitsmacht, über die Arbeitskraft der Eigentümer zu verfügen. Leistungspflichten können nicht konstitutiv beschlossen werden. Allerdings sind gleichwohl gefasste Mehrheitsbeschlüsse nicht sogleich mangels Beschlusskompetenz nichtig, sondern vielmehr schwebend unwirksam. Wenn nämlich der belastete Eigentümer zustimmt (auch nachträglich möglich), dann endet der Schwebezustand und der Beschluss wird wirksam und für den zustimmenden Eigentümer rechtsverbindlich. Einzelheiten hierzu finden Sie im DDIVnewsletter vom 8.1.2015. Wie in jeder Ausgabe kommentiert der Verfasser dort eine aktuelle Entscheidung zum WEG.

Erfordernis einstimmiger Beschlüsse

Die Abstimmung über Beschlussanträge im schriftlichen Beschlussverfahren (Umlaufverfahren) setzt nach § 23 Abs. 3 WEG stets die Einstimmigkeit aller Eigentümer voraus, also auch dort, wo in einer Eigentümerversammlung die einfache oder qualifizierte Stimmenmehrheit genügt. Es müssen alle Eigentümer dem Antrag zustimmen, damit der Verwalter, der das Beschlussverfahren in Gang gesetzt hat, allen Eigentümern die Annahme des Beschlussantrages mitteilen darf. Hintergrund des Einstimmigkeitszwanges ist, dass die Eigentümerversammlung und somit das demokratische Forum zum Meinungsaustausch fehlt. Der Minderheitenschutz erfordert es, dass nur bei schriftlicher Zustimmung sämtlicher Eigentümer der Beschlussantrag als angenommen verkündet werden darf. Indiziert der Verwalter eine schriftliche Abstimmung, sollte er im Dienste der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eine Erklärungsfrist setzen und darauf hinweisen, dass ein positiver Beschluss nur zu Stande kommen kann, wenn alle Eigentümer dem ­Beschlussantrag schriftlich zustimmen.

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Schmidt, Dr. Jan-Hendrik

Der Partner der Hamburger Sozietät W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt ist Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der ARGE Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein (DAV)