20.01.2015 Ausgabe: 1/2015

Abrechnungsspitze oder Abrechnungssaldo?

Worüber beschließen die Eigentümer eigentlich, wenn sie die Jahresabrechnung verabschieden?

Darüber machen sich die meisten Eigentümer wenig Gedanken: Sie sind, vergleichbar Mietern, primär daran interessiert, zu erfahren, was sie für den jeweiligen Abrechnungszeitraum noch (nach)zahlen müssen oder erstattet bekommen. Traditionell sind daher die Einzelabrechnungen so gestaltet, dass das Abrechnungsergebnis mit den tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen verrechnet wird: Vorgelegt und zur Beschlussfassung gestellt wird auch heute noch verbreitet der Abrechnungssaldo. Dabei hat der Bundesgerichtshof bereits 1988 entschieden, dass Gegenstand der Beschlussfassung die Abrechnungsspitze ist, also der Unterschiedsbetrag zwischen dem Abrechnungsergebnis und den gemäß Wirtschaftsplan geschuldeten Vorauszahlungen. Anlass dieser maßgeblichen sowie weiterer Entscheidungen des Bundesgerichtshofs war die Frage der Haftung von Erwerbern bzw. Ersteigerern für Hausgeldrückstände der Voreigentümer (BGH V ZB 10/87, NJW 1988, 1910 ff.; V ZB 16/95, NJW 1996, 725 f.).

Die Fälligkeitstheorie war geboren und der Bundesgerichtshof stellte klar, dass jeder Eigentümer für die Forderungen einstehen muss, die während seiner Eigentümerstellung fällig werden. Rückstände auf den Wirtschaftsplan schuldet der alte Eigentümer, wenn die Vorauszahlungen während seiner Eigentümerstellung fällig waren. Nachzahlungen und Guthaben gegenüber dem Wirtschaftsplan betreffen denjenigen, der beim Beschluss über die Jahresabrechnung noch oder bereits grundbuchmäßiger Eigentümer ist. In dieser Form findet bei Eigentümerwechsel die Abrechnungsspitze seit langem in der Abrechnungspraxis Anwendung.

Die Systematik der Jahresabrechnung

Für die Systematik der Jahresabrechnung kann es aber keinen Unterschied machen, ob Eigentümerwechsel eingetreten sind oder nicht. Die Jahresabrechnung muss vielmehr einem einheitlichen System folgen, aus dessen Anwendung sich die zutreffenden Antworten für alle nur denkbaren Fallkonstellationen ergeben.

Zur Begründung einer Forderung der Eigentümergemeinschaft gegen die jeweiligen Eigentümer sind die Beschlüsse über den Einzelwirtschaftsplan und die Einzelabrechnung maßgeblich. Den Inhalt eines solchen Beschlusses hat der Bundesgerichtshof bereits in seiner vorstehend erwähnten Entscheidung vom 30.11.1995 definiert, danach begründet der Beschluss über die Jahresabrechnung „nur hinsichtlich des Teils des nach der Einzelabrechnung auf den jeweiligen Wohnungseigentümer entfallenden Betrages, der die nach dem Wirtschaftsplan beschlossenen Vorschüsse übersteigt, einen neuen (originären) Anspruchsgrund.“

Für den Fall, dass in einen Abrechnungssaldo auch Vorjahresbeträge eingeflossen sind, hat das Landgericht Nürnberg-Fürth bereits ausdrücklich die Teilnichtigkeit eines solchen Beschlusses festgestellt (LG Nürnberg-Fürth, ZMR 2010, 315). In konsequenter Anwendung der aktuellen BGH-Rechtsprechung gilt dies auch für die Vermengung von Rückständen auf die Vorauszahlungen des Abrechnungsjahres mit der Abrechnungsspitze zu einem Abrechnungssaldo, wie zwischenzeitlich auch das LG Dortmund bestätigt (Urteil vom 24.06.14, 1 S 18/13), siehe S. 23. Für die Festlegung eines Abrechnungssaldos hat die Eigentümergemeinschaft keine Beschlusskompetenz.

IM WORTLAUT

In seinem aktuellen Urteil vom 01.06.12 (V ZR 171/11) stellt der BGH die Rechtslage zur Abrechnungsspitze ­anschaulich dar:

„Der Beschluss über die Jahresabrechnung wirkt anspruchsbegründend nur hinsichtlich des auf den einzelnen Wohnungseigentümer entfallenden Betrages, welcher die in dem Wirtschaftsplan für das abgelaufene Jahr beschlossenen Vorschüsse übersteigt (sog. Abrechnungsspitze; vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 1995 – V ZB 16/95, BGHZ 131, 228, 231 f.; Beschluss vom 23. September 1999 – V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 296; Urteil vom 4. Dezember 2009 – V ZR 44/09, NJW 2010, 2127, 2128 Rn. 13). Zahlungsverpflichtungen, die durch frühere Beschlüsse entstanden sind, bleiben hierdurch unberührt. Dies gilt insbesondere für die in dem Wirtschaftsplan des abzurechnenden Jahres beschlossenen und damit nach § 28 Abs. 2 WEG geschuldeten Vorschüsse (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 1995 – V ZB 16/95, a. a. O.; Urteil vom 9. März 2012 – V ZR 147/11 ZfIR 2012, 365) und unabhängig davon, ob zwischenzeitlich ein Eigentümerwechsel stattgefunden hat (unzutreffend daher: OLG Hamm, NJW-RR 2009, 1388).

Anhand der Rechnungslegung des Verwalters über die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben wird der bestehende Beitragsanspruch der Gemeinschaft überprüft und in Form eines Nachzahlungsanspruchs der Gemeinschaft oder Erstattungsanspruchs des Wohnungseigentümers sowie durch Neufestsetzung der Vorschüsse korrigiert (vgl. Jacoby, ZWE 2011, 61, 63). Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die die Klägerin bildenden Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung 2005 den Willen hatten, die noch offenen Wohngelder „erneut fällig zu stellen“ und mit etwaigen Abrechnungsspitzen zu einer einheitlichen Forderung zusammenzuziehen. Denn hierfür fehlte ihnen die erforderliche Beschlusskompetenz.“

Dies erhellt sich auch aus einem anderen Aspekt: Die Saldierung des Abrechnungsergebnisses mit den tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen beruht auf der Verbuchung dieser Vorauszahlungen durch den Verwalter. Dabei kann es zu Fehlern kommen, entweder durch die falsche Zuordnung von Zahlungen aus anderem Rechtsgrund (z. B. auf Vorjahressalden) oder Nichtbeachtung der Tilgungsbestimmung eines Eigentümers. Über diese Verbuchung kann die Eigentümergemeinschaft nicht durch Beschluss entscheiden: Ein Eigentümer kann nicht auf die Anfechtung der Jahresabrechnung verwiesen werden, wenn er die Jahresabrechnung für ordnungsgemäß hält, seine Vorauszahlungen aber nicht zutreffend verbucht wurden. Umgekehrt kann eine Eigentümergemeinschaft nicht einer Forderung gegen Eigentümer verlustig gehen, weil durch den Verwalter irrigerweise zu hohe Vorauszahlungen (beispielsweise wg. falscher Zuordnung einer Nachzahlung auf frühere Abrechnungen) zugerechnet wurden.

Der Beschluss über Einzelwirtschaftsplan und Abrechnungsspitze setzt nur die Forderungen der Eigentümergemeinschaft gegen den bei Fälligkeit grundbuchmäßigen Eigentümer fest. Die Verrechnung mit darauf geleisteten Zahlungen ist reine Mathematik außerhalb des Beschlusses.

Diesen Forderungen werden auf dem Hausgeldkonto die geleisteten Zahlungen gegenübergestellt und es ergibt sich eine jederzeit – auch vom Gericht – nachprüfbare und korrigierbare Situation jedes Eigentümers. So hat der BGH in seinem hier zitierten Urteil vom 01.06.12 den Zahlungsanspruch der beitreibenden Eigentümergemeinschaft insoweit zurückgewiesen, als in den „beschlossenen“ Abrechnungssaldo die Rückstände aus den Hausgeldvorauszahlungen eingeflossen waren. Für diesen aus dem Wirtschaftsplan resultierenden Zahlungsanspruch war die Verjährung bereits eingetreten, für den Einbezug der Rückstände in einen später „beschlossenen“ Abrechnungssaldo fehlt der Eigentümergemeinschaft die Beschlusskompetenz.
Der Bestimmung des Abrechnungssaldos steht auch entgegen, dass der Adressat der Jahresabrechnung nicht feststeht: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfolgt mit der Einzelabrechnung keine Abrechnung gegenüber einem bestimmten Eigentümer als Person, sondern die Ermittlung der anteiligen Belastung für das jeweilige Sonder- oder Teileigentum. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.99 (BGH V ZB 17/99, ZMR 1999, 834) ging es um die Frage, welche Bedeutung die namentliche Adressierung der Einzelabrechnung hat. Die Antwort des Bundesgerichtshofs: „Die Abrechnung ist für die Wohnung bestimmt“ – die Angabe des Eigentümernamens hat also keine Relevanz. Die Abrechnung betrifft nach der Fälligkeitstheorie den zum Zeitpunkt der Beschlussfassung grundbuchmäßigen Eigentümer. Da dem Verwalter Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen oft unbekannt sind und jederzeit zwischen Erstellung und Verabschiedung der Jahresabrechnung eintreten können, kann durch Beschluss auch keine Festlegung der Situation eines Eigentümers erfolgen.

Erleichterung für den Verwalter

Die konsequente Umsetzung der Rechtsprechung zur Abrechnungsspitze bedeutet Erleichterungen für den Verwalter: Sie beseitigt die gängigen Diskussionen mit Eigentümern über die zutreffende Verbuchung ihrer Vorauszahlungen. Wer kennt ihn nicht – den Einwand mancher Eigentümer in den Minuten vor der Beschlussfassung: „Meine Vorauszahlungen sind nicht richtig berücksichtigt“. Für die Beschlussfassung über die Abrechnungsspitze ist dies nicht relevant. Trotzdem sind die Nebenwirkungen manchmal unerfreulich: Wer konsequent die Abrechnungsspitze zum Beschlussgegenstand macht, erlebt bei Gericht oft Ernüchterndes. Nach wie vor urteilen viele Instanzgerichte, dass die Abrechnung den Saldo des Eigentümers ausweisen müsse. Unverständnis für das Abrechnungssystem einer WEG dokumentiert zum Beispiel das Landgericht Dresden in einem Urteil vom 10.07.13 (LG Dresden 2 S 669/12). Nachdem sich das Gericht einleitend ausdrücklich unter Zitat der einschlägigen BGH-Rechtsprechung zur Abrechnungsspitze bekennt, formuliert es zwei Absätze später:
„Im Übrigen ist es inhaltlich fehlerhaft, von der gebildeten Gesamtsumme aus Kosten und geforderten Beiträgen zu Instandhaltungsrückstellungen ein „Hausgeld-Soll“ in Abzug zu bringen. Tatsächlich wirkt sich das nur deshalb nicht aus, weil das Hausgeldsoll vorliegend mit dem tatsächlich eingezahlten Hausgeld identisch ist“.

Derartige Urteile erklären sich aus dem Bestreben, den Eigentümern mit der Jahresabrechnung weiterhin ihr gewohntes „Gesamtergebnis“ für den Abrechnungszeitraum zu liefern. Dem nachvollziehbaren Wunsch der Eigentümer, nicht nur die Abrechnungsspitze zu erfahren, sollte durch eine entsprechende Ergänzung der Jahresabrechnung in Form der Übersendung eines Auszugs des Eigentümerkontos Rechnung getragen werden.

Praxistipp:

Gestalten Sie die Jahresabrechnung so, dass die Abrechnungsspitze als Beschlussgegenstand deutlich erkennbar ist – informieren Sie aber gleichzeitig nachrichtlich über Rückstände und Überzahlungen auf dem Hausgeldkonto.

Beispiel:

Bewirtschaftungskosten: 1.500 Euro
Beitragsverpflichtung zur Instandhaltungsrückstellung: 250 Euro
= Abrechnungssumme: 1.750 Euro
abzüglich Hausgeld-Soll gemäß Wirtschaftsplan:    1.560 Euro
= Abrechnungsspitze (Nachzahlung):    190 Euro

nachrichtlich:
Rückstand auf Wirtschaftsplan gem. Hausgeldkonto: 40 Euro
Gesamtnachzahlung auf Wirtschaftsplan und Abrechnungsspitze: 230 Euro

Das Thema „Abrechnungsspitze oder Abrechnungssaldo“ ist auch Gegenstand eines Vortrags von Prof. Dr. Jacoby beim Kölner Verwalterforum am 31.01.15. Nähere Informationen zum Programm unter www.vnwi.de.

Foto: © Master3D / Shutterstock.com


Casser, Dr. Michael

Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Köln und Vorsitzender des Verbands der nordrheinwestfälischen Immobilienverwalter (VNWI).