02.11.2021 Ausgabe: 7/21

Aktuelle Urteile - Über die Verjährung von Ansprüchen hatten die Gerichte zu entscheiden – einmal im Nachbarrecht, einmal im Mietrecht.

VERJÄHRUNG VON UNTERLASSUNGSANSPRÜCHEN
(BGH, Urteil vom 11.6.2021 – Az. V ZR 234/19 und BGH, Urteil vom 19.12.2018 – Az. XII ZR 5/18)

DAS THEMA
Der V. Senat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat in einer Entscheidung zum Nachbarrecht wesentliche Grundsätze zur Verjährung von Unterlassungsansprüchen aufgegriffen, die die beiden Mietsenate bereits in früheren Entscheidungen entwickelt und detailliert hatten. Dies bietet Anlass, das Thema der Unterlassungsansprüche und Selbsthilfeansprüche nochmals in einer Zusammenschau zu beleuchten. Bei mietrechtlichen Unterlassungsansprüchen und ebenso bei Selbsthilfeansprüchen im Nachbarrecht handelt es sich jeweils um Ansprüche, die aus einem dauerhaften Verhalten der Gegenseite abgeleitet werden. Sie werden daher nach ähnlichen Grundsätzen behandelt.

DER FALL
Unmittelbar an der Grundstücksgrenze zwischen den Nachbarn stand eine Schwarzkiefer, deren Äste seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des Beklagten hinüberhingen. Dieser hatte den Kläger zunächst zum Rückschnitt aufgefordert, als dies nicht fruchtete, schnitt er die Äste bis zu einer Höhe von fünf Metern selbst zurück. Der Kläger verklagte den Nachbarn nun auf Unterlassung, auch die höheren Äste zurückzuschneiden, insbesondere machte er geltend, dass dessen Selbsthilferecht verjährt oder verbürgt sei. Weiter gab er zu bedenken, dass ein einseitiger Rückschnitt in größerer Höhe auch die Standsicherheit des Baumes beeinträchtigen werde und wahrscheinlich zu dessen Absterben führe.

Der BGH weist die Klage ab. Dem Nachbarn steht das Selbsthilferecht – vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Regelungen – weiterhin zu. Dieser Anspruch ist weder verjährt noch verbürgt. Der Senat bestätigt nochmals, dass § 910 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bei Vorhandensein eines Überhangs die spezialgesetzliche Regelung ist und auch die erhöhten Emissionen (Nadel- und Zapfenbefall), die von diesem überwuchs ausgehen, erfasst.

Eine landesrechtliche Ausschlussfrist, wie sie in § 32 des Berliner Nachbargesetzes zu finden ist, hindert dies nicht. Zum einen erfasst sie nur die Beseitigung, nicht aber den Rückschnitt im Rahmen des Selbsthilferechts, zum anderen ist dieser Anspruch auf andere Voraussetzungen, nämlich die Nichteinhaltung des Mindestabstands bei der Pflanzung, gestützt und thematisiert nicht den Überwuchs.

Des Weiteren verweist der V. Senat des BGH darauf, dass das Selbsthilferecht kein Anspruch ist und daher nicht der Verjährung unterliegt, und er schlägt hier die Brücke zur Verjährung von mietrechtlichen Unterlassungsansprüchen und zur Entscheidung des XII. Senats vom 19. Dezember 2018. In dieser Entscheidung hatte der XII. Senat zum mietrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 541 BGB, der die Unterlassung eines mietvertragswidrigen Gebrauchs behandelt, Folgendes entschieden: Eine Abmahnung ist erforderlich (parallel hierzu im Nachbarrecht das Geltendmachen des Beseitigungsanspruches). Der Unterlassungsanspruch kann während des bestehenden Mietverhältnisses nicht verjähren, da in diesem Fall der Schwerpunkt der Störung nicht in der Aufnahme der zweckwidrigen Nutzung liegt, sondern in der dauerhaften Aufrechterhaltung. Der Unterlassungsanspruch entsteht gleichsam ständig neu. Die Verjährung kann also nicht beginnen, solange der Eingriff noch andauert. Durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs möchte der Vermieter die vertragsgemäße Nutzung für die Zukunft sicherstellen. Könnte umgekehrt der Unterlassungsanspruch verjähren, hätte der Mieter die Möglichkeit, nur durch Zeitablauf und die anschließende Erhebung der Verjährungseinrede das Mietverhältnis inhaltlich umzugestalten.

Ähnliche Erwägungen stellt der für das Nachbarrecht zuständige V. Senat nur an, wenn der beeinträchtigte Nachbar keinen Anspruch mehr darauf hat, dass der Störer die Äste selbst entfernt. Sein Selbsthilferecht verjährt jedoch nicht, solange die Störung andauert. Es kann gegebenenfalls verwirkt werden, dies wurde hier jedoch nicht festgestellt. Das nachbarliche Selbsthilferecht würde nur dann entfallen, wenn der Überhang die Benutzung des Nachbargrundstücks überhaupt nicht beeinträchtigen würde, dies ist jedoch schon aufgrund des erheblichen Nadel-und Zapfeneintrags nicht der Fall.

Auch die Gefahr, dass bei Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baumes oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht, kann das Selbsthilferecht nicht ausschließen oder einschränken. Dies gilt ausdrücklich auch für die Beseitigung von hinüberwachsenden Wurzeln. Eine solche Zumutbarkeitsprüfung würde nämlich die Einschaltung eines Baumsachverständigen erfordern und damit das Selbsthilferecht verkomplizieren. Außerdem trägt der Störer die Verantwortung für Wurzeln und Äste von Anfang an. Wenn er dieser nicht nachkommt, kann er sich nicht nach längerer Zeit darauf berufen, dass der Baum trotzdem erhalten werden muss.

Lediglich naturschutzrechtliche Regelungen des öffentlichen Rechts könnten dem Selbsthilferecht des Nachbarn entgegenstehen. Ob dies der Fall ist, hat das Zivilgericht zunächst selbstständig zu prüfen. Wenn es zu der Überzeugung kommt, dass für den Rückschnitt eine naturschutzrechtliche Genehmigung erforderlich ist, darf es diesen nur gestatten, wenn der Nachbar, der das Selbsthilferecht geltend macht, eine solche verwaltungsrechtliche Ausnahmegenehmigung einholt.

VERWALTERSTRATEGIE
Auch bei lang andauernden Störungen, sei es in einem Mietverhältnis, in einem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis oder auch analog an den Gartengrenzen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft, bestehen Unterlassungsansprüche bzw. ein Selbsthilferecht. Diese können während des laufenden Mietverhältnisses nicht verjähren. Der Eintritt einer Verwirkung ist eher der Ausnahmefall, hier muss zusätzlich zu einem erheblichen Zeitablauf auch noch ein berechtigtes Vertrauen des Nachbarn darauf, dass der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werde, hinzutreten. Derjenige, der zur Selbsthilfe greift, muss jedoch gegebenenfalls naturschutzrechtliche Genehmigungen einholen.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.