20.05.2021 Ausgabe: 3/21

Aktuelle Urteile - Um die Auslegung des § 10 Abs. 2 WEG zur Änderung des Inhalts eines Sondernutzungsrechts ging es diesmal vor Gericht und u. a. um die Bedeutung korrekt formulierter Beschlussfassungen.

BEREINIGUNG EINES „GEBURTSFEHLERS“ IN DER GEMEINSCHAFTSORDNUNG

(BGH, Urteil vom 22.3.2019 – Az. V ZR 298/16)

DAS THEMA
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich im Rahmen dieses Falls mit der Auslegung des § 10 Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zu befassen – nach alter Fassung: § 10 Abs. 2 S. 3 –, wonach jeder Wohnungseigentümer die Anpassung einer Vereinbarung verlangen kann, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.

DER FALL
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger ist Eigentümer des Teileigentums G30, einer Garage. In § 17 des Teilungsvertrags in der Form des Nachtrags vom 29. Oktober 1985 (nachfolgend: TV) ist festgelegt, dass „dem jeweiligen Eigentümer des Teileigentumsrechts G30 die unentgeltliche, ausschließliche Nutzung der Abstellräume I, II und III sowie der Wasch- und Trockenräume A und B zusteht“.

In diesen Räumlichkeiten befinden sich 18 (vermietete) Wohnungen. Im Jahr 2004 genehmigten die übrigen damaligen Wohnungseigentümer mit notariellen Urkunden die Teilung des Miteigentumsanteils des Klägers in 18 Anteile mit der jeweiligen Begründung von Sondereigentum an den Wohnungen. Zu dem grundbuchrechtlichen Vollzug kam es nicht, weil dem Kläger kein Sondereigentum, sondern nur ein Sondernutzungsrecht an den Räumen zusteht.

Mit rechtskräftigem Urteil wurde im Jahr 2015 auf Klage einer Wohnungseigentümerin hin festgestellt, dass die Räume ausschließlich in der durch die Teilungserklärung beschriebenen Form genutzt werden dürfen. Ferner wurde der Kläger ebenfalls im Jahr 2015 auf Klage zweier anderer Wohnungseigentümer hin rechtskräftig dazu verurteilt, es zu unterlassen, die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen.

Der Kläger hatte die Zustimmung zur Berichtigung des Teilungsvertrags sowie des Nachtrags dahingehend verlangt, dass „dem jeweiligen Eigentümer des Teileigentums G30 […] die unentgeltliche, ausschließliche Nutzung der Räume I, II und III sowie der Räume A und B“ zusteht.

Das Amtsgericht Göttingen hat die Klage als unzulässig, das Landgericht Braunschweig die Berufung als unbegründet abgewiesen. Die vom Senat zugelassene Revision hatte insoweit Erfolg, als die Berufung hinsichtlich der abgewiesenen Klage gegen die Wohnungseigentümer zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zurückverwiesen worden.

Der BGH führt aus, dass ein Anspruch des Klägers auf Änderung der Teilungserklärung gegen die übrigen Wohnungseigentümer aus § 10 Abs. 2 WEG (§ 10 Abs. 2 S. 3 WEG a. F.) nicht verneint werden kann. Das Berufungsgericht hat nach Ansicht des BGH rechtsfehlerfrei festgestellt, dass § 17 TV die Berechtigung zu einer Wohnnutzung der dem Sondernutzungsrecht unterliegenden Räume nicht im Weg der Auslegung entnommen werden kann. Grundsätzlich hat eine ggf. ergänzende Auslegung der Teilungserklärung bzw. Gemeinschaftsordnung Vorrang vor einer Anpassung gemäß § 10 Abs. 2 WEG. Demnach ist die in § 17 TV gewählte Bezeichnung „Abstell-, Wasch- und Trockenräume“ als Zweckbestimmung anzusehen.

Rechtsfehlerhaft hingegen ging das Berufungsgericht davon aus, dass ein Anspruch des Klägers auf Änderung der in § 17 TV enthaltenen Zweckbestimmung nicht von § 10 Abs. 2 WEG umfasst sei. Zwar kann keine sachenrechtliche Zuordnung Gegenstand einer Vereinbarung nach § 10 Abs. 2 WEG sein – eine Änderung des Inhalts eines dinglichen Sondernutzungsrechts bzw. dessen dauerhafte Aufhebung hingegen schon. In beiden Fällen bleibt die sachenrechtliche Zuordnung des Nutzungsgegenstands zum Gemeinschaftseigentum unverändert. Eine solche Änderung des Inhalts des Sondernutzungsrechts ist hier Gegenstand der Klage. Der Kläger strebt eine Änderung der Zweckbestimmung der seinem Sondernutzungsrecht zugewiesenen Räume in einer Weise an, dass diese bewohnt werden dürfen.

Auch aus anderen Gründen ist § 10 Abs. 2 WEG einschlägig. So verlangt die Norm „schwerwiegende Gründe“ für eine Anpassung der Gemeinschaftsordnung. Eine Anpassung kommt demnach auch in Betracht, wenn Regelungen der Gemeinschaftsordnung von Anfang an verfehlt oder sonst unbillig waren (sog. Geburtsfehler). Schwerwiegende Gründe i. S. d. § 10 Abs. 2 WEG, die ein Festhalten an der geltenden Regelung unbillig erscheinen lassen, können deshalb vorliegen, wenn die durch die Gemeinschaftsordnung vorgegebene Zweckbestimmung eine Nutzung einer Sondereigentumseinheit ausschließt, die nach der baulichen Ausstattung der betroffenen Räume möglich ist, und wenn ferner objektive Umstände dafürsprechen, dass dem betroffenen Wohnungseigentümer diese Nutzung eröffnet werden sollte.

Die Voraussetzungen hierfür lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zuerst müsste die erforderliche bauliche Ausstattung der betreffenden Räume schon bei der Aufteilung in Wohnungseigentum vorhanden gewesen oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufteilung erfolgt sein. Dies muss von den übrigen Wohnungseigentümern hingenommen worden sein. Weiterhin müssten objektive Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass die bestehende Regelung die tatsächlich eröffnete Nutzung der Räume nicht wiedergibt. Zudem liegen schwerwiegende Gründe nur dann vor, wenn die aufgrund der verlangten Änderung der Zweckbestimmung mögliche Nutzung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig ist. Und schließlich muss die nach der bestehenden Zweckbestimmung zulässige Nutzung zu einer erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Verwertung der betroffenen Einheit führen, die durch die Änderung der Zweckbestimmung behoben werden kann. Liegen nach all dem schwerwiegende Gründe vor, hat abschließend eine Abwägung der Interessen des Klägers mit denen der übrigen Wohnungseigentümer zu erfolgen. Nach diesen Voraussetzungen konnte dem Kläger ein Änderungsanspruch auf der Grundlage des § 10 Abs. 2 WEG nicht versagt werden. Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben.

VERWALTERSTRATEGIE
Das vorliegende Urteil ist in zweifacher Hinsicht interessant: Zum einen diskutiert der BGH die Voraussetzungen für die Anpassung einer Vereinbarung im Sinne des § 10 Abs. 2 WEG. Das Wissen um diese Vo­raussetzungen ermöglicht der Verwaltung im Rahmen ihrer Arbeit eine umfassende Beratung der Wohnungseigentümer in dem Fall, dass ein Eigentümer eine entsprechende Anpassung verlangt. Zum anderen zeigt es die Bedeutung einer klaren, unmissverständlich formulierten Vereinbarung. Es obliegt den Verwaltungen, gerichtliche Entscheidungen wie diese durch klare Formulierungen von Vereinbarungen, aber auch von Beschlüssen und sonstigen schriftlichen Abfassungen, aus denen Wohnungseigentümer Ansprüche bzw. Rechte herleiten könnten, zu ­vermeiden.


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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.