21.01.2022 Ausgabe: 1/22

WEG-Recht: Haftung bei Delegation der Räum- und Streupflicht auf Hausmeister

(OLG Karlsruhe, Urteil vom 7.12.2020 – Az. 9 U 34/ 19)

 DAS THEMA
Es ist Winter, und es schneit. Die Klägerin betritt die Kirchplatzpassage – das Gemeinschaftseigentum einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) –, stürzt und verletzt sich erheblich. Daraufhin verklagt sie die WEG, fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die WEG hatte ihre Räum- und Streupflicht auf einen Hausmeisterdienst übertragen. Ging damit auch die Haftung auf ihn über?


DER FALL
Die Klägerin macht nach einem Sturz auf Glatteis Schadensersatzansprüche gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft als Beklagte geltend. Am 24. Januar 2017 gegen 15:00 Uhr benutzte die Klägerin als Fußgängerin die Kirchplatzpassage in E., stürzte auf Schnee- oder Eisglätte und zog sich dabei Verletzungen zu. Im Bereich der Unfallstelle befindet sich der von der Klägerin benutzte Weg im Gemeinschaftseigentum der beklagten Eigentümergemeinschaft. In diesem Bereich ist der geteerte Weg auch für Kraftfahrzeuge nutzbar und dient zugleich als Zufahrt zur Tiefgarage der Beklagten.

Mit einer Satzung aus dem Jahr 1989 hat die Stadt E. die Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege, zu denen auch die Kirchplatzpassage und die von der Klägerin benutzte Zufahrt zählen, den Straßenanliegern auferlegt. Die Beklagte hatte bereits seit 1997 sämtliche üblichen Hausmeisterleistungen für die Eigentümergemeinschaft dem Streithelfer übertragen, der einen Hausmeisterdienst unterhält. Die Aufgaben und Verpflichtungen des Streithelfers sind in einem schriftlichen Hausmeistervertrag im Einzelnen geregelt. Im Abschnitt „Winterdienst“ des Vertrages ist zu den Aufgaben des Streithelfers u. a. festgehalten: Schnee- und Eisräumen in notwendigem Umfang auf den unter Benützung stehenden Verkehrsflächen, „Schnee- und Eisräumung auf öffentlichen Gehwegen, soweit der Hauseigentümer im Rahmen der gemeind- lichen Verordnung zur Räumung verpflichtet ist (gemäß Ortspolizeiverordnung), sowie Streudienst auf Verkehrsflächen zur Vermeidung von Schnee- und Eisglätte.“

Der Streithelfer ließ den Winterdienst für die Beklagte in der Vergangenheit durch einen Mitarbeiter ausführen. Die Klägerin trägt vor, dass die beklagte Eigentümergemeinschaft für den Sturz verantwortlich ist, da ihr die Räum- und Streupflicht für den Bereich der Unfallstelle obliegt. Dieser Pflicht sei sie nicht nachgekommen. Die Beklagte hingegen beruft sich darauf, dass der von ihr beauftragte Hausmeisterdienst am Unfalltag seiner Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Das Landgericht hat den Schadensersatzanspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Klage stattgegeben.

Der Hausmeisterdienst legte Berufung ein und trat dem Verfahren als Streithelfer bei. Er trug vor, dass die Beklagte ihre Räum- und Streupflicht für den Bereich der Unfallstelle wirksam auf den Hausmeisterdienst übertragen habe. Die Beklagte habe lediglich eine Kontrollpflicht gehabt, deren Verletzung nicht ersichtlich sei. Die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft machte sich diesen Vortrag zu eigen; die Klägerin widersprach.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe urteilte, dass der Klägerin kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegen die Beklagte zusteht. Das OLG begründet dieses Ergebnis wie folgt:

Die Beklagte hat die den Grundstückseigentümer treffende Räum- und Streupflicht wirksam auf den Streithelfer delegiert. Dies ist in der Rechtsprechung des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Aus der Absprache muss sich ergeben, dass der Dritte die Verantwortung für die zunächst den Übertragenden treffenden Verkehrssicherungspflichten in vollem Umfang übernimmt. Eine solche Übertragung der Räum- und Streupflichten auf den Streithelfer ergibt sich aus dem Hausmeistervertrag, welchen die Beklagte mit dem Streithelfer abgeschlossen hat. In diesem Vertrag ist geregelt, dass der Streithelfer nicht nur für den internen Bereich der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern auch auf öffentlich zugänglichen Wegen für den Winterdienst verantwortlich sein sollte, soweit eine Verpflichtung der Hauseigentümer aufgrund kommunaler Vorschriften besteht. Damit hat die Beklagte die zunächst sie selbst treffenden Räum- und Streupflichten vollständig auf den Streithelfer übertragen und gleichzeitig dafür gesorgt, dass bei Pflichtverletzungen der Streithelfer von einem Dritten wegen Verletzung der Räum- und Streupflicht in Anspruch genommen werden kann. Die Übertragung der Räum- und Streupflicht im Winter von einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf einen professionellen Hausmeisterdienst ist ein typischer Fall einer zulässigen Delegation der Verkehrssicherungspflicht.

Die WEG hatte ihre Räum- und Streupflicht wie auch die damit verbundene Haftung wirksam auf den Hausmeisterservice übertragen. Ein Anspruch gegen die Beklagte besteht folglich nicht. Letztlich konnte das OLG keine Verletzung der Kontroll- und Überwachungspflichten der Wohnungseigentümergemeinschaft als Beklagte feststellen.


VERWALTERSTRATEGIE
Zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeinschaftseigentums gehört auch die Sicherstellung der Einhaltung von  Verkehrssicherungs pflichten. Das OLG Karlsruhe stellt hier fest, dass eine Übertragung  dieser Verkehrssicherungspflicht, insbesondere die Räum- und Streupflicht, durch Vertrag auf einen Dritten übertragen werden kann. Erfüllt dieser Vertrag bestimmte Anforderungen, wird auch die Haftung auf den Dritten übertragen. Dieser Mechanismus bietet einen gangbaren Weg, die verwaltete WEG und sich selbst als Verwalter aus der Haftung zu nehmen.

Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
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