02.08.2021 Ausgabe: 4/21

Anpfiff! Das neue Whistleblower-Gesetz kommt. Wie wurden Hinweisgeber ­bisher geschützt, welche Verpflichtungen bringt das Gesetzesvorhaben für ­Unternehmen mit sich, und wie bereiten sie sich darauf vor?

Innerhalb der letzten Jahre rückte die Diskussion um den Schutz sogenannter Whistleblower (to blow the whistle = die Pfeife blasen), also von Personen, die Missstände in Unternehmen intern oder extern bekannt machen, in den Fokus der Öffentlichkeit. Geprägt wurde die Diskussion vor allem durch die Rechtsprechung – ausdrückliche Regelungen sind nur in wenigen Gesetzen enthalten. Dies ändert sich nun:

Am 23. Oktober 2019 wurde vom Rat der Europäischen Union (EU) die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ verabschiedet und den Mitgliedsstaaten eine zweijährige Frist zur Umsetzung in nationales Recht eingeräumt. Nun liegt ein erster Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG-E) vor, der bereits deutliche Hinweise darauf enthält, wie der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommen will.

Rechtslage und Rechtsprechung
In Deutschland ist der Schutz von Hinweisgebern bislang vor allem durch die Rechtsprechung geprägt. Schon das Königliche Landgericht I zu Berlin entschied am 3. April 1901, „dass der Prinzipal gegenüber dem Handlungsgehilfen, welcher ihn wegen einer strafbaren Handlung denunziert hat, keinen Entlassungsgrund hat.“

Es gibt auch einige Rechtsnormen, die den Schutz von Personen, die Missstände aufdecken, sicherstellen sollen. So bestimmt etwa § 5 Nr. 2 des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes, dass die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens nicht verboten ist. Weitere Regelungen finden sich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, im Betriebsverfassungsgesetz und im Arbeitsschutzgesetz. Darüber hi­naus enthält § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein allgemeines Maßregelungsverbot, wobei die Darlegungs- und Beweislast für den Zusammenhang zwischen zulässiger Rechtsausübung und unzulässiger Maßregelung beim Arbeitnehmer liegt.

Der Arbeitnehmer ist aber auch zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verpflichtet. Dies bedeutet, dass er grundsätzlich vorrangig eine innerbetriebliche Meldung zu erstatten hat. Wendet er sich dagegen sofort an eine externe (Strafverfolgungs-) Behörde, kann dies eine unverhältnismäßige Reaktion und einen Kündigungsgrund darstellen. Der Vorrang der internen Meldung wurde aber durch mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) seit dem Jahr 2010 deutlich abgeschwächt.

Eine vorherige innerbetriebliche Meldung und Klärung ist dem Arbeitnehmer insbesondere dann unzumutbar, wenn er Kenntnis von Straftaten erhält, durch deren Nichtanzeige er sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde, bei schwerwiegenden Straftaten des Arbeitgebers oder wenn Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist.

Nur in den seltensten Fällen ist es dem Hinweisgeber erlaubt, sich unmittelbar an die Öffentlichkeit (z. B. die Presse) zu wenden. Interne und externe Meldewege sind vorrangig in Anspruch zu nehmen.

Inhalt der Richtlinie und des Gesetzentwurfs
Unter den weiten persönlichen Schutzbereich der Richtlinie fallen nicht nur aktive und ehemalige Arbeitnehmer, sondern etwa auch Selbstständige, Geschäftsführer und Leiharbeitnehmer. Die Richtlinie ist beschränkt auf die Meldung unionsrechtlicher Verstöße. Der deutsche Gesetzgeber will diesen Schutzbereich ausweiten: Unter den Hinweisgeberschutz fallen künftig wohl Hinweise auf alle straf- und bußgeldbewehrten Verstöße sowie Hinweise auf bestimmte Verstöße gegen Gesetze, Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder sowie gegen Rechtsakte der EU.

Nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie müssen Unternehmen mit mindesten 50 Beschäftigten künftig ein Hinweisgebersystem einrichten. Der Eingang einer Meldung (die auch mündlich oder textförmlich möglich sein muss) muss dem Hinweisgeber innerhalb von sieben Tagen bestätigt werden, nach spätestens drei Monaten hat eine Information zu erfolgen, wie mit dem Hinweis umgegangen wurde und welche Maßnahmen ergriffen wurden. Gleichzeitig haben die Mitgliedsstaaten nach Art. 11 der Richtlinie externe Meldewege einzurichten, d. h. die zuständigen Behörden für die Entgegennahme der Hinweise zu benennen und die Wirksamkeit des Verfahrens sicherzustellen.

Hinweisgebern steht künftig ein Wahlrecht zu, ob sie die Informationen an die interne oder externe Stelle melden. Unternehmen sollen jedoch Anreize schaffen, dass sich Hinweisgeber vorrangig an die interne Meldestelle wenden. Eine Meldung an die Öffentlichkeit ist auch weiterhin ultima ratio: Ein Hinweisgeber, der sich an die Öffentlichkeit wendet, wird auch künftig nur geschützt, wenn er die Meldung erfolglos intern oder extern lanciert hat oder er hinreichend Grund zu der Annahme hat, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Gleiches gilt, wenn die eigentlich zuständige Behörde selbst am Verstoß beteiligt ist.

Hinweisgeberstellen werden auch künftig nicht verpflichtet sein, anonymen Hinweisen nachzugehen. Die Identität sowohl der Hinweisgeber als auch der durch die Meldung sonst betroffenen Personen sind aber von der internen als auch der externen Meldestelle absolut vertraulich zu behandeln.

Der Schutz der Hinweisgeber soll durch ein umfassendes Verbot jeglicher Repressalien gewährleistet werden. Verboten ist dann insbesondere die Kündigung, die Herabstufung oder Versagung einer Beförderung, eine Gehaltsminderung, die Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrages, die Aufgabenverlagerung und Änderung von Arbeitszeit und/oder -ort.

Geschützt ist der Hinweisgeber jedoch nur, wenn er hinreichend Grund zu der Annahme hat, dass die von ihm gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung der Wahrheit entsprachen und in den Anwendungsbereich der Richtlinie bzw. des künftigen Hinweisgeberschutzgesetzes fallen. Personen, die wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden, sind nicht geschützt und ggf. sogar schadensersatzpflichtig.

Damit einhergehend wird eine Beweislast­umkehr gelten: Macht ein Hinweisgeber gerichtlich geltend, dass er eine Benachteiligung infolge seiner Meldung erlitten hat, so wird künftig vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie war. Es obliegt dann derjenigen Person, die für die Benachteiligung verantwortlich ist, nachzuweisen, dass diese Maßnahme infolge der Meldung gerechtfertigt war oder sie nicht auf der Meldung basiert.

Behindert eine Person eine gerechtfertigte Meldung oder ergreift sie eine Repressalie, stellt  dies nach § 39 HinSchG-E eine Ordnungswidrigkeit dar, die eine Geldbuße bis zu 100.000 Euro nach sich ziehen kann.

Umsetzung der Vorgaben im Unternehmen
Die unternehmensinterne Umsetzung der Richtlinie bzw. des künftigen Hinweisgeberschutzgesetzes dürfte vor allem denjenigen Unternehmen organisatorisch einiges abverlangen, die gerade so die Schwelle von 50 Mitarbeitern überschreiten und/oder noch kein internes Meldesystem eingerichtet haben. Um kleineren Unternehmen (50 bis 249 Mitarbeiter) ausreichend Zeit zur Umsetzung zu gewähren, sieht § 41 HinSchG-E vor, dass die Einrichtung von Meldesystemen erst ab dem 17. Dezember 2023 verpflichtend ist. Für bestimmte Unternehmen gilt die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen unabhängig von der Zahl der Beschäftigten, z. B. für Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Sie sind dann verpflichtet, Mitarbeiter bereitzuhalten, die derartige Meldungen entgegennehmen und dafür entsprechend geschult sind. Leitende Angestellte sollten über die Funktionsweise des Meldesystems zumindest gut informiert sein, da sie meist die ersten Ansprechpartner sind.

Die internen Meldestellen müssen Unabhängigkeit wahren und frei von Interessenkonflikten sein. Eine interne Meldestelle kann entweder durch eine im Unternehmen beschäftigte Person bzw. durch eine interne Organisationseinheit betrieben werden. In Betracht kommen z. B. der Compliance-Beauftragte, eine in der Rechtsabteilung beschäftigte Person oder der Datenschutzbeauftragte des Unternehmens. Der Gesetzesentwurf sieht aber auch ausdrücklich vor, dass externe Dritte, z. B. Rechtsanwälte, als sog. Ombudsperson eingesetzt werden können. Hier besteht also ein Wahlrecht für die betroffenen Unternehmen, um ein Hinweisgeber-System an die konkreten Anforderungen des Unternehmens anpassen zu können.

Es muss sichergestellt werden, dass jede Meldung Folgemaßnahmen auslöst. Zum einen müssen gegenüber dem Hinweisgeber die Fristen über Eingang der Meldung (eine Woche) und Fortgang des Verfahrens (drei Monate) eingehalten werden. Zum anderen muss einem gemeldeten und auch tatsächlich vorliegenden Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften auch abgeholfen werden. Ob darüber hinaus eine Belohnung für den Hinweisgeber gewährt wird, bleibt jedem Unternehmen selbst vorbehalten.

Im Hinblick auf die oben angesprochene Verlagerung der Beweislast bei der Sanktionierung eines Hinweisgebers ist eine umfassende Dokumentation angezeigt, um im Streitfall nachweisen zu können, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht mit der Meldung in Verbindung stehen. Und Vorsicht: Die Einrichtung eines Meldesystems kann in Unternehmen mit Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösen.

FAZIT
Wie ein nationales Hinweisgeberschutzgesetz letztendlich exakt aussehen wird, ist derzeit noch ungewiss. Durch die unionsrechtlichen Vorgaben sind die zu erwartenden Verpflichtungen für Unternehmen jedoch abgesteckt und bieten eine ausreichende Basis zur umfassenden Vorbereitung. Grundsätzlich gilt: Je glaubwürdiger das interne Meldesystem ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter dieses auch nutzen und nicht externe Kanäle wie Behörden oder gar die Öffentlichkeit informieren. Risiken für die Reputation eines Unternehmens können so vermieden werden.

Aber auch für potenzielle Kunden (Wohnungseigentümergemeinschaften, Vermieter) kann ein funktionierendes Hinweisgebersystem ein ausschlaggebendes Kriterium für die Auswahl eines Verwaltungsunternehmens sein, denn hierdurch kann nicht zuletzt das Risiko doloser Handlungen zulasten des Kunden (z. B. Schmiergeldannahme bei der Auftragsvergabe an Handwerker etc.) verhindert werden.

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Schwartz, Tobias

Der Fachanwalt fur Arbeitsrecht sowie fur Handels- und Gesellschaftsrecht ist in der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Munchen-Bogenhausen tätig.
www.lkc.de