01.06.2017 Ausgabe: 4/2017

Antrag abgelehnt!

Was bedeutet das ­sogenannte Aufzugurteil des BGH für ­Maßnahmen zur Barrierefreiheit im Gemeinschaftseigentum?

Die Herstellung der Barrierefreiheit – zumindest der Barriereerleichterung – wirft nach wie vor Fragen auf. Am 13.1.2017 hat der BGH einen grundsätzlichen Fall entschieden (BGH, V ZR 96/16): In einer Versammlung hatten zunächst mehrere Eigentümer beantragt, einen Personenaufzug in der Mitte des Treppenhauses auf ihre Kosten einzubauen. Die für einen Modernisierungsbeschluss nach § 22 Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) erforderliche Zustimmung von drei Viertel der stimmberechtigten Eigentümer und zugleich mehr als der Hälfte der Miteigentumsanteile erhielt dieser Antrag nicht. Er war hiernach abgelehnt.

Nun verfolgt ein Eigentümer das Ziel, den Aufzug einzubauen, weiter. Ihm gehört eine Wohnung im 5. Obergeschoss des Hauses. Er selbst ist etwa 80 Jahre alt und pflegt tageweise zusammen mit seiner Ehefrau die Enkeltochter. Sie leidet unter komplexen Mehrfachbehinderungen sowie erheblichen Störungen der Motorik und Koordination – ist zu 100 Prozent schwerbehindert.

Das Landgericht hatte den Duldungsanspruch des Klägers bejaht. Der BGH hob dieses Urteil auf und wies die Klage ab. Aus der Urteilsbegründung lassen sich verschiedene Aspekte für die Praxis übernehmen:

Kein Anspruch auf Modernisierung aus § 22 Abs. 2 WEG

Zunächst führt der BGH aus, dass die Eigentümer eine Modernisierungsmaßnahme zwar gemäß § 22 Abs. 2 WEG beschließen können, es aber keinen einklagbaren Anspruch eines Eigentümers hierauf gibt.

Keine Übertragung des Mietrechts

Bekanntlich regelt § 554a BGB, unter welchen Umständen der Mieter einen Anspruch auf Zustimmung zur Herstellung der ­Barrierefreiheit gegen seinen Vermieter hat. Dies ist indes nur auf Mietverhältnisse anzuwenden und nicht – so nun auch der BGH – auf das Wohnungseigentumsrecht.

Abgrenzung von Duldungsanspruch und ­Zustimmungspflicht

Der Einbau des Aufzuges wird als eine bauliche Maßnahme gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 WEG betrachtet, die beschlossen oder verlangt werden kann, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahme über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden.

Ein Anspruch auf Zustimmung scheidet in der Fallkonstellation aus – diesen kennt das Gesetz nicht. Entweder sind die ­Eigentümer über das genannte Maß hinaus beeinträchtigt, dann verhindert die fehlende Zustimmung rechtlich die Maßnahme. Oder die Eigentümer sind nicht über das genannte Maß hinaus beeinträchtigt, dann haben sie den Einbau des Aufzugs zu dulden. Ob das Maß der Unerheblichkeit überschritten ist, entscheidet sich nach der Abwägung der Interessen der Parteien.

Grundsatz: Der Aufzug erfordert die Zustimmung aller.

Der BGH wägt die Interessen ab. Es besteht kein Duldungsanspruch. Der den übrigen Eigentümern erwachsende Nachteil ist mehr als nur unerheblich. „Der Senat entscheidet die Rechtsfrage dahin, dass der nachträgliche Einbau eines Personenaufzugs durch einen Wohnungseigentümer auf eigene Kosten grundsätzlich nur mit Zustimmung der übrigen Eigentümer erfolgen kann; er begründet in aller Regel […] auch dann einen Nachteil im Sinne von § 22 Abs. 1 i. V. m. § 14 Nr. 1 WEG für die übrigen Wohnungseigentümer, wenn der bauwillige Wohnungseigentümer aufgrund einer Gehbehinderung auf den Aufzug angewiesen ist, um seine Wohnung zu erreichen“ (BGH, a. a. O. Rn. 23).

Dies lässt aufhorchen: Sogar, wenn der Eigentümer auf einen Aufzug angewiesen ist, besteht für ihn kein Anspruch auf Duldung gegen die übrigen Eigentümer. Er benötigt vielmehr auch dann deren Zustimmung zum Einbau. Erhält er diese nicht, wird der Aufzug nicht gebaut.

Dies begründet der BGH mit dem massiven Eingriff in das Gemeinschaftseigentum, den der Einbau des Aufzugs darstellt. Er verengt i. d. R. den im Treppenhaus vorhanden Platz erheblich. Die Errichtung erfordert massive Durchbrüche und Aussparungen, Maurer-, Putz-, Maler- und Anschlussarbeiten, zudem die Verlegung von Elektroleitungen für Kraft- und Lichtstromanschluss sowie eine Datenleitung für Notrufsysteme. Sogar die Treppengeländer hätten in der Folge erneuert werden müssen. Der Aufzugsschacht muss zu lüften sein und eine Öffnung zur Rauchableitung vorsehen. Die Betriebssicherheit ist dauerhaft zu gewährleisten, was regelmäßige Wartungs- und Untersuchungsintervalle erfordert. Darüber hinaus löst die Verkehrssicherungspflicht zumindest praktische ­­Kontroll- und Überwachungspflichten der Eigentümer aus. ­Schließlich bleiben die ebenso massiven Rückbaumaßnahmen ungeklärt, die zu einem weiteren Eingriff in den Baukörper führen.

Der BGH wägt hierbei die Situation des klagenden Eigentümers ab. Sowohl das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als auch der Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG sind im Urteil berücksichtigt. In der Abwägung überwiegt das Interesse des Klägers aber nicht das Interesse der übrigen Eigentümer an ihrem Eigentum, welches ja ebenfalls grundgesetzlich geschützt ist (Art. 14 GG).

Hiernach kann der Einbau des Aufzugs generell als ein erheblicher Eingriff angesehen werden. Er lässt sich nur mit Zustimmung aller Eigentümer, nicht aber gegen deren Willen durchsetzen.

Ergebnis für die Praxis

Das Urteil zeigt, welche Hürden ein Eigentümer zu nehmen haben kann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, seine Wohnung ohne­ technische Hilfsmittel zu erreichen, und die übrigen Eigentümer ihm diese nicht bewilligen. Selbst dass er dann möglicherweise seine Wohnung aufgeben muss, hat der BGH in seinem Urteil zumindest zwischen den Zeilen aufgenommen. Wenn die Wohnung schwer veräußerlich und für eine gehbehinderte Person nur mit einem Personenaufzug zu erreichen ist, dann verwirklicht sich hiernach nur das Risiko, das der Eigentümer beim Erwerb der konkreten Wohnung eingegangen ist. Eine ebenso zutreffende wie allerdings harte Feststellung.

Dabei können Eigentümer, die eine Barriereerleichterung „erzwingen“ müssen, aus dem Urteil durchaus einiges herleiten. Der Einbau eines Aufzugs greift zu weit in das Eigentum anderer ein, zugleich aber verweist der BGH in seiner Begründung auf zahlreiche Fälle, in denen ein Duldungsanspruch gegen die übrigen Eigentümer bejaht wurde, weil der Eingriff gerade nicht so weitreichend war. Dies bezieht sich auf Urteile zu Treppenliften, Rampen, Handläufen und Türen – also eher zu vernachlässigende Eingriffe in die Substanz.

In der Konsequenz ist Eigentümern dringend zu empfehlen, ­etwaige Maßnahmen zur Barrierefreiheit frühzeitig anzugehen. Das Erstellen von Konzepten und die Suche nach den entsprechenden ­Mehrheiten mag lange Zeit und mehrere Anläufe in Anspruch nehmen, aber wenn der stete Tropfen den Stein gehöhlt hat, erübrigen sich ­spätere Diskussionen – und Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang. Eigentümern, die auf die Barrierefreiheit angewiesen sind, ist letztlich zu raten, zunächst immer nach „kleinen“ Lösungen zu suchen. Sie lassen sich möglicherweise durchsetzen, während die „große“ Lösung zum Scheitern verurteilt ist.

Foto: © Carsten Reisinger / Shutterstock.com


Schulz, Helge

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht sowie für Bau- und Architektenrecht ist in der Kanzlei Rechtsanwälte Wedler GbR tätig und Justiziar des VDIV Niedersachsen/Bremen e.V.
www.kanzleiwedler.de