22.07.2022 Ausgabe: 5/22

Auf dem aktuellen Stand? - Was gilt bei Sanierungen für den Brandschutz, und unter welchen Voraussetzungen liegt Bestandsschutz vor?

In Paragraph 14 der Muster­bauordnung (MBO) heißt es zu den Zielen des Brandschutzes: „Bauliche Anlagen sind so anzu­ordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorge­beugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löschar­beiten möglich sind.“ Das lässt viele annehmen, dass der Brand­schutz in Gebäuden ständig aktualisiert und an neue Gesetze angepasst werden muss. Alle anderen sind der Meinung, dass grundsätzlich ein Bestands­schutz gilt, der von der Umset­zung geforderter Maßnahmen befreit. Was denn nun, und vor allem:


Was ist denn eigentlich Bestandsschutz?
Bestandsschutz räumt Eigentü­mern das Recht ein, ihre Immobilie unverändert zu lassen, auch wenn sie nicht den aktuellen gesetzlichen Vorschriften entspricht. Steht ein Gebäude unter Bestandsschutz, darf es erhalten bleiben und auch weiterhin genutzt werden, solange es formal, in Bezug auf verwen­dete Baumaterialien und in puncto Nutzung den zu seiner Bauzeit gel­tenden Vorgaben aus Gesetzen, Regelungen und Genehmigungen entspricht. Erfüllt werden müs­sen alle genannten Punkte – Form, Material, Nutzung, Regelwerke –, und es dürfen keine relevanten baulichen Veränderungen vor­genommen worden sein. Um die wesentliche Frage zu klären, ob ein Gebäude unter Bestandsschutz steht, braucht man folgende Doku­mente: die Baugenehmigung mit den dazugehörigen genehmigten Bauplänen und die in der Bauge­nehmigung genannte zur Bauzeit gültige Landesbauordnung (LBO). Auf dieser Basis kann man den Soll-Zustand des Objekts feststellen: Was sahen Baugenehmigung und LBO damals vor? Dann vergleicht man ihn mit dem Ist-Zustand: Wie sieht das Objekt heute aus? Zeigen sich hier keinerlei Abweichungen, steht das Objekt unter Bestands­schutz. Zeigen sich gravierende Unterschiede, ist detailliert zu prü­fen, ob der Brandschutz ertüchtigt oder an aktuell geltende Regelun­gen angepasst werden muss.

Allerdings können die Baubehörden unter bestimmten Voraussetzun­gen auch dann neue Anforderun­gen stellen, wenn ein Objekt unter Bestandsschutz steht. Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit sind die Rauchwarnmelder. Hier stellten die Behörden eine besondere Gefahr für Leib und Leben fest und änderten die Landesbauordnungen dahinge­hend, dass künftig in jeder Woh­nung Rauchwarnmelder installiert sein müssen – im Neubau, aber auch durch Ertüchtigung des Bestands.


Beispiele aus der Praxis
Änderung der Nutzung: Eine Woh­nung wird umgewandelt in ein Laden­geschäft, eine Arztpraxis oder ein Büro. Damit ändert sich die Nutzung, die somit nicht mehr der ursprüng­lichen Baugenehmigung entspricht. Geprüft werden muss daher, ob das Sicherheitsniveau des Gebäudes die­ser neuen Nutzung entspricht.

Dachgeschossausbau: In einem Gebäude mit drei Vollgeschossen (Gebäudeklasse 3) wird das Dach­geschoss zu Wohnraum ausgebaut. Wegen des zusätzlichen zu Wohn­zwecken genutzten Stockwerks wird aus der Gebäudeklasse 3 die Gebäudeklasse 4. Diese Änderung bringt höhere Anforderungen an z. B. Wände, Decken, Stützen, den Treppenraum und auch Türen mit sich. Der Bestandsschutz erlischt. Da es unmöglich ist, das gesamte Gebäude an das vorgeschriebene Sicherheitsniveau anzupassen, wird der Schwerpunkt auf den Treppen­raum gelegt und dieser entspre­chend nachgerüstet.

Bauteilöffnungen: Werden Installa­tionen wie für Kabelfernsehen, die Gewinnung von Solarenergie, für Geothermie o. Ä. nachgerüstet und dabei für den Brandschutz relevante Bauteile durchbrochen, müssen entstandene Öffnungen wie Wand­durchbrüche qualifiziert verschlos­sen werden.


Baumängel
Es kann passieren, dass Gebäude schon bei ihrer Errichtung nicht den vorgeschriebenen Standards ihrer Bauzeit entsprachen, etwa wenn Brandschutztüren fehlen oder nicht der geforderten Qua­lität entsprechen. Ebenso finden sich bei Begehungen immer wie­der Wände, die schon zur Bauzeit eine Funktion für den Brandschutz hatten, die aber von Kabeln und Rohren durchbrochen sind, ohne ordnungsgemäßen Verschluss der Durchführungen.


Elektroinstallationen
Werden z. B. Bäder saniert, müssen aktuellen Regelungen zufolge Feh-lerstromschutzschalter installiert werden. Dies allerdings kommt einer relevanten Änderung an der Elektroinstallation gleich, und damit erlischt der Bestandsschutz. Dann gilt für ein solches Objekt die aktuelle Leitungsanlagen-Richtli­nie. Sie besagt beispielsweise, dass im Treppenraum keine Zählerkästen und Stromverteiler auf Putz installiert sein dürfen. Stromzähler sind demnach einzuhausen oder an einen anderen Ort zu verlegen, Kabel unter Putz zu legen oder zu verkleiden.

Die gleiche Problematik tritt auf, wenn in einer Tiefgarage nur wenige Ladestationen instal­liert werden sollen und die Leis­tung der elektrischen Anlage des Hauses es grundsätzlich zulas­sen würde, sie an die Stromver­teiler der einzelnen Wohnungen anzuschließen. Auch dies ist ein relevanter Eingriff in die Elektro­installation, und es gilt die aktu­elle Leitungsanlagen-Richtlinie: Stromzähler und Sicherungskäs­ten dürfen nicht im Treppenraum installiert sein und müssen ent­weder eingehaust oder verlegt werden.


FAZIT
Da man es in Wohn­gebäuden mit sehr vielfältigen und unterschiedlichen Gegebenheiten zu tun bekommen kann, ist es ratsam, bei Sanierungen einen Brandschutzexperten hinzuzuziehen, der das Objekt ganz­heitlich betrachtet und eine individu­ell passende Lösung erarbeitet. Selbst bei Objekten mit Bestandsschutz lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob nicht ggf. im Rahmen einer ohnehin anste­henden Sanierung die Ertüchtigung von Bauteilen sinn­voll erscheint, weil sie das Sicherheits­niveau des gesamten Gebäudes deutlich anhebt, ohne erheb­lich größeren finanzi­ellen Aufwand.

Strobel, Rolf

Brandamtsrat der Berufsfeuerwehr Stuttgart, Brandschutzbeauftragter, Keynote Speaker, Trainer und Berater
www.etc-strobel.de