22.07.2022 Ausgabe: 5/22

Auf den Zahn gefühlt - Eine VDI-Richtlinie soll die Asbesterkundung in Bauwerken regeln, weist aber Mängel auf.

Bis zum deutschlandweiten Ver­bot des Inverkehrbringens und der Ver­wendung von Asbest sowie asbesthaltiger Produkte im Jahr 1993 war der gesund­heitsschädliche Stoff in Bauten über Jahr­zehnte weitverbreitet. Bislang fehlte ein klarer und eindeutiger Regelungsrahmen für die anlassbezogene Erkundung von Asbest bzw. asbesthaltiger Bauteile.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat im Herbst 2021 die Richtlinie VDI 6202/ Blatt 3 „Schadstoffbelastete bauliche und technische Anlagen – Asbest – Erkundung und Bewertung“ veröffentlicht, als techni­sche Beschreibung, wie man Asbesterkun­dungen sicher vornimmt.

Die Richtlinie definiert eine Art Standard-untersuchungsumfang zu potenziellen Asbestvorkommen in baulichen und tech­nischen Anlagen. Je nach Art der Moti­vation zur Erkundung wird anhand von Verdachtsmomenten ein definiertes Vor­gehen vorgegeben. Ziel dieser struktu­rierten Gebäudeerkundung soll es sein, Hinweise insbesondere auf die systemati­sche Verwendung von Asbest zu erhalten. VDI 6202/Blatt 3 soll sich an Bauherren, Sachverständige, Planer, Ausführende und die weiteren Baubeteiligten gleicherma­ßen richten.


Rechtsgutachterliche Prüfung
Welche Rechtswirkungen und damit prakti­sche Bedeutung dieser Richtlinie für mögli­che Untersuchungspflichten zur Ermittlung von Asbest zukommt, haben der VDIV Deutschland und weitere immobilien­wirtschaftliche Verbände der Bundesar­beitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) sowie Haus & Grund mit einem anwaltlichen Rechtsgutachten prüfen lassen. Dabei ging es insbesondere um die Klärung, ob die Richtlinie eine rechtlich verbindliche Grundlage liefert, die den Grundsätzen der Richtlinienarbeit entspricht, und ob ihr die Vermutungswir­kung zukommt, eine anerkannte Regel der Technik zu sein.

Die gutachterliche Prüfung hat ergeben, dass es sich bei der VDI-Richtlinie 6202 Blatt 3 (noch) nicht um eine anerkannte Regel der Technik handelt. Zum einen sind bei der Erarbeitung der Richtlinie verschie­dene Verfahrensfehler gemacht worden. So wurden Einsprüche aus der Immobili­enwirtschaft während des Verfahrens zwar gehört, entgegen den eigenen Vorgaben des VDI (in Abschnitt 4.5 der VDI-Richtli­nie 1000) erfolgte jedoch keine schriftliche Mitteilung über die Prüfung der Einsprü­che. Durch die damit versperrte Möglich­keit des Beschwerdeverfahrens wurden die Belange eines nicht unerheblichen Interes­sentenkreises in VDI 6202/Blatt 3 nicht hinreichend berücksichtigt.

Auch im Hinblick auf die in der Richtli­nie beschriebenen Anforderungen an die Erkundung und den Mindestumfang von Untersuchungen ist sehr zweifelhaft, ob diese in der Praxis von der Mehrheit der Fachleute als richtig anerkannt und des­halb angewendet werden. Bislang gab es kein vergleichbares konkretes technisches Regelwerk zur Asbesterkundung.

Selbst wenn man die Vermutung, dass es sich bei der VDI-Richtlinie um eine anerkannte Regel der Technik handelt, annehmen würde, kann diese derzeit im konkreten Einzelfall mit obigen Argumen­ten erschüttert werden. Hinzu kommt, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung über die Vermutungswirkung von VDI-Richtlinien noch nicht entschieden hat. DIN-Normen und VDI-Richtlinien unter­scheiden sich vor allem aber dadurch, dass die Bundesregierung mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) einen Staats­vertrag geschlossen hat, in dem sich das DIN u. a. dazu verpflichtet, bei Normungen auch das öffentliche Interesse zu berück­sichtigen.

Schließlich hat die gutachterliche Prüfung ergeben, dass die neue VDI-Richtlinie 6202/Blatt 3 über die darin enthaltenen weitreichenden technischen Anforderun­gen hinaus rechtliche Fiktionen enthalte, die über geltendes Recht hinausgehe.



FAZIT
Anforderungen an die Erkundung und Bewertung von Asbest in Vorbereitung von Abbruch-, Sanierungs-und Instandhaltungsarbeiten sollten im tätigkeitsbezoge­nen Gefahrstoffrecht gere­gelt werden. Ferner hat die Einstufung von Abfällen als asbesthaltig im europäischen Abfallrecht zu erfolgen.

Albrecht-Metzger, Babette

Rechtsanwältin, Referentin Recht des VDIV Deutschland