20.07.2015 Ausgabe: 5/2015

Beschlussmangel: verweigerte Einsicht in Vollmachten zur Eigentümerversammlung

Was war passiert? In einer Wohnungserbbauberechtigtengemeinschaft mit über 1 000 Wohnungen bestimmte § 12 der Gemeinschaftsordnung: „Dem Wohnungseigentümer ist es gestattet, sich in der Eigentümerversammlung und bei der Abstimmung vertreten zu lassen. Die Vollmacht ist durch eine Urkunde nachzuweisen, und zwar bei Vertretung durch einen anderen Wohnungseigentümer oder den Verwalter in (privater) Schriftform, sonst in öffentlich beglaubigter Form; die Urkunde verbleibt bei den Akten des Verwalters.“ In einer Versammlung wurde mit 40 444,57 Ja-Stimmen zu 35 519,94 Nein-Stimmen bei 2 492,90 Enthaltungen ein Beschluss gefasst, dass die Erbbauberechtigten einen Vergleich mit einem ehemaligen Verwalter nicht widerrufen werden. In dieser Versammlung waren lediglich 35 Erbbauberechtigte persönlich anwesend, ca. 400 weitere sollen durch Vollmachten vertreten gewesen sein. Ein Wohnungserbbauberechtigter hatte von der Verwaltung Einsicht in die Vollmachten verlangt, was ihm jedoch verweigert worden war. Der Beschluss wurde durch einen Wohnungserbbauberechtigten angefochten. Gegen das stattgebende Urteil legten die übrigen Wohnungserbbauberechtigten Berufung ein.

Die Meinung des Gerichts: Das Berufungsgericht folgte der Ansicht des Amtsgerichts und führte ebenfalls aus, dass der Beschluss auf die Anfechtungsklage hin für ungültig zu erklären war. Der Beschluss litt nach Ansicht beider Instanzen an einem formellen Fehler, bei dem nicht ausgeschlossen werden konnte, dass er sich kausal auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat. Der Fehler lag nach den Ausführungen des Gerichts in der verweigerten Einsichtnahme in die Vollmachten. Das Recht zur Einsichtnahme in die Originalvollmachten steht nicht nur dem Versammlungsleiter, sondern auch jedem Versammlungsteilnehmer zu jeder Zeit zu. Da eine Stimmabgabe immer auch gegenüber den übrigen Miteigentümern erfolgt, haben auch diese die Möglichkeit, die Stimmabgabe mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückzuweisen. Da die Einsichtnahme in die Vollmachtsurkunden einem der Wohnungserbbauberechtigten verweigert worden war, wurde er daran gehindert, sich von der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung und damit auch von der ordnungsgemäßen Beschlussfassung zu überzeugen. Hierin sah das Gericht einen formellen Fehler. Dieser formelle Beschlussmangel hätte sich nur dann nicht ausgewirkt, wenn zweifelsfrei festgestanden wäre, dass der Mangel auf das Beschlussergebnis keinen Einfluss gehabt hätte. Angesichts des knappen Ergebnisses konnte das Gericht nicht ausschließen, dass bei einer Prüfung der Vollmachten durch den Wohnungserbbauberechtigten Vollmachten zurückgewiesen worden wären, was letztlich auch zu einer Änderung der Mehrheit bei der Beschlussfassung hätte führen können. Die Beklagten konnten nicht nachweisen, dass auch ohne die mit den streitigen Vollmachten abgegebenen Stimmen die Mehrheit zustande gekommen wäre.

Dokumentation: LG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.04.2015 – 2-13 S 35/13 = BeckRS 2015, 07325.

Ratschlag für den Verwalter: Nicht selten lassen sich Wohnungseigentümer bei den Eigentümerversammlungen vertreten und erteilen hierzu Vollmachten. Hier ist zunächst die Regelung in der jeweiligen Teilungserklärung zu berücksichtigen. Teilweise finden sich bereits hier Einschränkungen, durch wen ein Wohnungseigentümer sich vertreten lassen kann (etwa nur durch den Verwalter oder einen anderen Eigentümer) und in welcher Form die Vollmacht zu erteilen ist. Diese Vorgaben sind zwingend zu beachten, weil sie sich unmittelbar auf die Eigentümerversammlung und die dort gefassten Beschlüsse auswirken. Eine Stimmabgabe durch einen Bevollmächtigten kann ggf. nach § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen werden, wenn der Bevollmächtigte die Vollmachtsurkunde nicht vorlegt. Diese Stimmabgabe ist dann unwirksam, was zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse führen kann. Verlangt ein Miteigentümer Einsicht in die Vollmachten, ist ihm diese zwingend zu gewähren.

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Ottlo, Claudia

Die Rechtsanwältin ist in der Kanzlei „Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“ schwerpunktmäßig auf den Gebieten Miet- und WEG-Recht tätig.
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