14.10.2020 Ausgabe: 6/20

Corona und die Folgen: Wie wirkt sich die Pandemie bei Gewerbemieten auf die Zahlungspflicht aus?

Bereits seit März führt die COVID-Pandemie zu teils massiven Umsatzrückgängen bei Unternehmen. Viele von ihnen haben Gewerberäume oder sonstige Grundstücke für ihr Geschäft gemietet. Gleichsam mit Bekanntwerden behördlich angeordneter Geschäftsschließungen erschienen Stellungnahmen von Juristen zu der Frage, wie sich die Pandemie und die zu ihrer Eindämmung angeordneten Maßnahmen auf die Mietzahlungspflichten auswirken. Die Bandbreite der vertretenen Ansichten könnte größer nicht sein. Manche meinen, der Vermieter schulde die Möglichkeit, das Geschäft in den Räumen betreiben zu können, was in vielen Fällen einen Kundenkontakt voraussetzt. Sei dies aus Gründen, die der Mieter nicht zu vertreten hat, ausgeschlossen, entfalle die Mietzahlungspflicht. Andere sehen die Sache genau andersherum: Das Risiko, in den Räumen Umsätze erzielen zu können, liege beim Mieter (Verwendungsrisiko). Dieser müsse die Miete weiterzahlen, wenn Umsatzeinbußen nichts mit der Beschaffenheit der Mietsache zu tun haben. Wer ist im Recht?

Alles-oder-nichts-Lösungen überzeugen nicht
Letztlich befriedigt keine dieser Extrempositionen. Sie können angemessene Lösungen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen, nicht liefern. Gerade auf solche Lösungen kommt es aber an, da die Parteien das Risiko einer Pandemie meist nicht bedacht und daher auch nicht vertraglich geregelt haben. Die Rechtsordnung sollte die Regelung zur Verfügung stellen, auf die sich redliche Parteien für den Fall einer Pandemie verständigen würden.

Die vollständige Befreiung von der Zahlungspflicht entspricht dem nicht. Zwar ist der Vermieter verpflichtet, die Mietsache während der Mietzeit in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten (§ 535 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), jedoch darf der Mieter bei Vertragsschluss nicht erwarten, der Vermieter wolle für die Folgen einer Pandemie einstehen. Der Zustand der Mietsache wird im Kern durch deren physische Beschaffenheit bestimmt. Diese ist hier regelmäßig nicht betroffen. Das ist in den von manchen zum Vergleich herangezogenen Sachverhalten anders, in denen eine unerwartete Naturkatastrophe, etwa das sog. Jahrhundert-
hochwasser 2002, die Nutzung ausschließt, weil diese entweder selbst überschwemmt wurden oder infolge der Überschwemmung unzugänglich sind. Diese Beeinträchtigungen des Gebrauchs resultieren aus der (veränderten) Beschaffenheit der Sache. Auch haben sie, anders als bei einer Pandemie, einen unmittelbaren Bezug zur Lage des Objektes. Deswegen erscheint es in diesen Fällen zumindest vertretbar, dem Vermieter das Mängelrisiko zuzuweisen (s. LG Leipzig Urt. v. 28.5.2003 – Az. 1 S 1314/03).

Auf der anderen Seite darf ein redlicher Vermieter ebenfalls nicht davon ausgehen, der Mieter habe sich zur vereinbarten Mietzahlung selbst dann in vollem Umfang verpflichten wollen, wenn sich die Rahmenbedingungen für den Geschäftsverkehr grundlegend ändern. Das sog. Verwendungsrisiko des Mieters ist nicht grenzenlos. Zwar wurde es vom BGH teils sehr weit interpretiert, und der Mieter musste die Miete z. B. in voller Höhe weiterzahlen, obwohl das Einkaufszentrum, in dem sich die Räume befanden, vom Publikum nicht wie erwartet angenommen wurde (BGH Urt. v. 16.2.2000 – Az. XII ZR 279/97). Jedoch muss eine Grenze zumindest dort gezogen werden, wo Geschäfte branchenübergreifend und flächendeckend behördlich aus Gründen geschlossen werden, die nichts mit der Person des Geschäftsinhabers oder der Art, wie dieser das Geschäft betreibt, zu tun haben. Dass es insoweit nicht allein um das Verwendungsrisiko des Mieters geht, folgt bereits aus den Auswirkungen, die die Pandemie auf die Vermietbarkeit der Objekte hat. Die Nachfrage geht notwendig zurück, wenn ganzen Branchen der Geschäftsbetrieb behördlich untersagt oder zumindest so erschwert wird, dass keine Gewinne erwirtschaftet werden können. Ein langfristiger Mietvertrag ist nach den Intentionen der Parteien nicht als „Versicherung“ des Vermieters gegen grundlegende Änderungen der äußeren Umstände gedacht.

Stufenweise Anpassung des Vertrages als Folge einer gestörten Geschäftsgrundlage
Grundsätzlich gehen die Parteien eines Mietvertrages über Geschäftsräume zumindest implizit von der Möglichkeit eines geregelten Geschäftsbetriebs aus. Es handelt sich dabei um einen Umstand, der nicht ausdrücklich erwähnt, aber übereinstimmend als Basis des Rechtsgeschäfts angenommen wird. Denn für den Vermieter ist offenkundig, dass der Mieter die für die Miete erforderlichen Umsätze nicht erzielen kann, wenn behördlich untersagt wird, dass Kunden das Geschäft betreten oder der Kundenverkehr sonst erheblich reglementiert und damit reduziert wird. Das Ausbleiben solcher Restriktionen ist implizite Vertragsgrundlage.

Ändern sich solche Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend und ist davon auszugehen, dass der Mieter den Vertrag in Kenntnis dieser Änderung nicht mit dem gleichen Inhalt geschlossen hätte, kann die betroffene Partei nach § 313 Abs. 1 BGB Vertragsanpassung verlangen, wenn ihr das Festhalten am bestehenden Vertrag unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann. Bei der Anpassung müssen als „Umstände des Einzelfalls“ sämtliche Auswirkungen der Pandemie auf das Geschäft berücksichtigt werden. Zu ihnen zählen neben Umsatzeinbußen ersparte Kosten, z. B. durch Kurzarbeit, und andere Vermögensvorteile, wie staatliche Zuwendungen.
Da die Auswirkungen der Pandemie auf das Unternehmen des Mieters gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden können, sollte die Vertragsanpassung in Stufen erfolgen. Zunächst ist dem Mieter ein Teil der Miete zu stunden. Insbesondere bei Schließung des Geschäfts dürfte die Hälfte im Ausgangspunkt angemessen sein, wobei Betriebskosten aber in voller Höhe weiter zu entrichten sind. Die Stundung führt dazu, dass der Mieter mit dem gestundeten Teil nicht im Verzug ist und deswegen auch nicht gekündigt werden kann. Allerdings müssen sich die Parteien auf die Stundung verständigen. Der BGH sieht die Parteien in der Pflicht, hierüber ernsthaft zu verhandeln (BGH Urt. v. 30.9.2011 – Az. V ZR 17/11).

In einer zweiten Stufe ist dann zurückblickend – ggf. erst im kommenden Jahr nach Vorliegen der Geschäftszahlen – die Miete für die Monate zu bestimmen, in denen sich die Pandemie auf das Geschäft des Mieters ausgewirkt hat. Dabei muss man unterscheiden zwischen unmittelbaren Folgen der Pandemie sowie den zu deren Abwendung ergriffenen Maßnahmen einerseits und bloß mittelbaren Folgen, wie einer Wirtschaftskrise, andererseits. Letztere führen allenfalls bei extremen Verwerfungen (Hyperinflation) zu einer Störung der Geschäftsgrundlage (s. zur Finanzmarktkrise KG NJW 2013, 478). Da eine Festlegung der angepassten Miete auf „Heller und Pfennig“ von vielen ­Faktoren abhängig ist, sind die Parteien gut beraten, im Verhandlungswege eine Teilung des Risikos vorzunehmen.

Auswirkungen des COVID-19-Gesetzes
Bereits Ende März hat der Gesetzgeber Maßnahmen zum Schutz der Mieter ergriffen, die ihre Miete ab April pandemiebedingt nicht mehr bezahlen können. Ihnen kann deswegen bis Mitte 2022 nicht gekündigt werden. Manche ziehen daraus die ­Konsequenz, der Gesetzgeber habe dadurch den hier ­bejahten Anspruch auf Stundung oder Herabsetzung der Miete ausgeschlossen. Das ist aber nicht richtig. Er wollte die Auswirkungen der Pandemie auf Mietverträge nämlich nicht abschließend regeln. Zur Vorbereitung einer solchen Regelung hatte er weder die Zeit, noch wollte man eine komplizierte, nach Wohn- und Geschäftsraummiete unterscheidende Norm schaffen. Folgerichtig stellt der Wortlaut der Kündigungsschutznorm (Art. 240 § 2 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB)) auf die fällige Miete ab und belässt es für die Frage, ob weiter die volle Miete fällig wird, bei den allgemeinen Regeln.


Konsequenzen für Immobilienverwalter
Für Verwalter folgt aus dem Gesagten, dass sie Verhandlungen mit Mietern nicht einfach zurückweisen sollten, wenn sie den Vorwurf einer Pflichtverletzung vermeiden wollen. Dabei ist es Sache des Mieters darzulegen, in welchem Ausmaß sich die Pandemie auf sein Unternehmen ausgewirkt hat (durch eine BWA etwa) und warum es ihm nicht zuzumuten ist, die Miete in voller Höhe fortzuzahlen. Solange die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Unternehmen des Mieters nicht sicher sind, z. B. weil Hilfsleistungen noch ausstehen oder ein Teil der Verluste während der Schließung danach durch erhöhte Nachfrage kompensiert werden kann, liegt es nahe, sich zunächst nur auf eine Stundung zu verständigen. Diese sollte man zeitlich befristen. Die Dauer ist danach zu bemessen, wann der Mieter voraussichtlich über die Zahlen für das laufende Geschäftsjahr verfügt. Auf deren Basis ist dann über eine Anpassung der Miete zu verhandeln. Mit diesem Vorgehen wird zugleich die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nach der Krise geschaffen.

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Häublein, Prof. Dr. Martin

Dr. Martin Häublein, ist Universitätsprofessor u. a. für Wohn- und Immobilienrecht in Innsbruck und Berater der ebenfalls auf diese Gebiete spezialisierten Sozietät Müller Radack in Berlin.