09.04.2021 Ausgabe: 2/21

Das neue WEG -  Folge 2:  Möglichkeiten und Grenzen der Neuregelung zur Online-Teilnahme an Eigentümerversammlungen

 

 

 

 

 

 

Zunächst ist es wichtig, zwischen der Online-Teilnahme an einer Versammlung und der reinen Online-Versammlung zu unterscheiden. Denn der neue § 23 Abs. 1 S. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) erlaubt nur die Einführung der Online-Teilnahme, nicht aber die Umstellung auf eine Online-Versammlung.

Online-Teilnahme vs. Online-Versammlung
Mit Online-Teilnahme ist die Teilnahme an einer Präsenz-Versammlung durch Fernkommunikationsmittel gemeint. Das bedeutet, dass es weiterhin eine physische Versammlung gibt, aber einzelne (oder auch alle, siehe Praxishinweis) Wohnungseigentümer nicht vor Ort erscheinen, sondern aus der Ferne mithilfe technischer Mittel teilnehmen.

Eine reine Online-Versammlung (auch „virtuelle Versammlung“ genannt) ist dagegen eine Versammlung, bei der es gar keinen physischen Versammlungsort mehr gibt und die Kommunikation ausschließlich auf elek­tronischem Wege möglich ist. Das ging dem Gesetzgeber zu Recht zu weit: Könnte eine solche reine Online-Versammlung durch Beschluss eingeführt werden, könnte die Mehrheit der Minderheit die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel aufzwingen; das Recht auf physische Teilnahme stünde zur Disposition der Mehrheit. Das wäre unangemessen. Eine reine Online-Versammlung kann deshalb nur durch Vereinbarung aller Wohnungseigentümer eingeführt werden.

Praxishinweis:
Der Unterschied zwischen der Online-Teilnahme und einer reinen Online-Versammlung ist freilich kaum merklich, wenn alle Wohnungseigentümer von dem Recht auf Online-Teilnahme Gebrauch machen. Er liegt lediglich darin, dass rechtlich weiterhin ein physischer Versammlungsort existiert, an dem sich die Wohnungseigentümer einfinden könnten, auch wenn sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Wo dieser Ort ist, spielt grundsätzlich keine Rolle. Wenn klar ist, dass die allermeisten Wohnungseigentümer online teilnehmen möchten und deshalb keine Kapazitätsprobleme entstehen, genügt dafür etwa das Büro des Verwalters.

Gesetzliche Öffnungsklausel
Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) macht die Online-Teilnahme nicht automatisch zulässig. § 23 Abs. 1 S. 2 WEG enthält lediglich eine Beschlusskompetenz, Versammlungen für eine Online-Teilnahme zu öffnen. Die Vorschrift begründet deshalb auch keinen Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf eine Online-Teilnahme. Vielmehr muss in der Versammlung entschieden werden, ob künftig von der Online-Teilnahme Gebrauch gemacht werden soll. Bei der Abstimmung können die Wohnungseigentümer frei entscheiden: Der Maßstab ordnungsmäßiger Verwaltung wird in aller Regel weder die Öffnung noch die Nicht-Öffnung für die Online-Teilnahme erfordern.

Praxistipp:
In einer ersten Versammlung nach Inkrafttreten des WEMoG sollte diskutiert und die Wohnungseigentümer sollten über die Vor- und Nachteile informiert werden. Neben dem technischen Aufwand sollte auch beachtet werden, dass mit der Online-Teilnahme typischerweise Belastungen für die Versammlung einhergehen, weil eine technisch vermittelte Diskussion in der Regel anders zu führen ist als eine Diskussion, bei der alle Teilnehmer physisch anwesend sind.

 

 

Der Öffnungsbeschluss
Entschließen sich die Wohnungseigentümer dafür, ihre Versammlungen für die Online-Teilnahme zu öffnen, sind für den nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG zu fassenden Beschluss einige Aspekte zu beachten: Das WEG macht aufgrund des steten technischen Wandels zu Recht keine technischen Vorgaben für die elektronische Kommunikation. Insoweit besteht ein weites Gestaltungsermessen der Wohnungseigentümer. Es erstreckt sich sowohl auf die Festlegung der Übermittlungsart als auch auf die dabei zu beachtenden technischen Standards. Zwar dürfte die Bild-Ton-Übertragung per Internet („Videokonferenz“) der praktisch häufigste Fall sein, in Betracht kommt aber auch eine telefonische Zuschaltung oder die Eröffnung eines Chat-Kanals zum schriftlichen Austausch ohne Bild und Ton. Hinsichtlich der technischen Standards kann etwa auch die Verwendung bestimmter Software vorgeschrieben werden, die eine sichere Identifikation und Übermittlung ermöglicht.

 

Daneben ist zu beachten, dass § 23 Abs. 1 S. 2 WEG es erlaubt, dass „sämtliche oder einzelne […] Rechte ganz oder teilweise“ im Wege elektronischer Kommunikation geltend gemacht werden können. Es muss also nicht zwingend beschlossen werden, dass die Wohnungseigentümer alle ihre Versammlungsrechte im Wege elektronischer Kommunikation geltend machen können. Diese Möglichkeit kann etwa auch auf das Stimmrecht beschränkt werden und das Rederecht ausnehmen, um die besonderen Schwierigkeiten einer kombiniert analog-digitalen Diskussion zu vermeiden. Auch die Gestattung der bloßen Teilnahme, also letztlich die Übertragung der Versammlung ohne die Möglichkeit der Abstimmung, ist zulässig. Welche Variante für welche Gemeinschaft sinnvoll ist, hängt von vielerlei Faktoren ab und kann nicht abstrakt beantwortet werden.

Durchführung einer Versammlung mit Online-Teilnahme
Wurde ein Beschluss nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG gefasst, hat jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch, an den Versammlungen entsprechend dem Inhalt des Beschlusses teilzunehmen. Es bedarf dazu keiner individuellen Zulassung. Vielmehr obliegt es dem Verwalter, im Rahmen der Versammlungsvorbereitung und -durchführung die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, sobald ein Öffnungsbeschluss gefasst wurde.

 

Die Ladung
In der Einberufung zu einer Eigentümerversammlung ist darüber zu informieren, wie von der Möglichkeit der Online-Teilnahme Gebrauch gemacht werden kann (z. B. durch Übersendung der Einwahldaten für die verwendete Videokonferenz-Software oder zumindest die Information, wann und wo diese zu finden sind). Funktional treten diese Informationen an die Stelle der Angabe des Versammlungsorts.

Technische Probleme
Kommt es während der Versammlung zu technischen Problemen, stellt sich für den Versammlungsleiter die Frage, ob die Versammlung fortgesetzt werden darf. Zum Abbruch ist er gezwungen, wenn die technischen Probleme zu einer Beschneidung der Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer führen. Aufgeworfen ist damit die Frage, wer das Übertragungsrisiko im Fall der Online-Teilnahme trägt. Nach allgemeinen Grundsätzen gilt: Der Versammlungsleiter muss sicherstellen, dass der Versammlungsort technisch so ausgestattet ist, dass eine Teilnahme mittels elektronischer Kommunikation während der gesamten Versammlung grundsätzlich möglich ist. Er muss also gewährleisten, dass keine Störungsquelle in der Sphäre der Gemeinschaft besteht. Insbesondere muss die Technik im Versammlungsraum (z. B. dortige Internetverbindung, Kamera, Mikro­fon, Leinwand, Lautsprecher) sowie die verwendete Software störungsfrei funktionieren. Das Risiko anderer Störungen trägt dagegen der einzelne Wohnungseigentümer. Das gilt nicht nur für die von ihm verwendete Technik, sondern etwa auch für das Risiko eines allgemeinen Internetausfalls im Bereich außerhalb der Versammlungsräume. Insoweit besteht kein Unterschied zu einem Verkehrsstau, der den Wohnungseigentümer vom Besuch der Versammlung abhält und ebenso in seinen Risikobereich fällt.

Praxistipp:
Trotz dieser theoretisch klaren Abgrenzung wird sich praktisch häufig die Frage stellen, wo genau das technische Problem liegt, wenn eine Verbindung nicht hergestellt werden kann. Lässt sich das Problem nicht lokalisieren, wird man mithilfe eines Anscheinsbeweises entscheiden müssen: Nur wenn zu keinem Wohnungseigentümer eine Verbindung aufgebaut werden kann, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Technik im Versammlungsraum liegen. Eine Fortsetzung der Versammlung ist in diesem Fall unzulässig; dennoch gefasste Beschlüsse wären anfechtbar. Ist dagegen lediglich die Verbindung einzelner Wohnungseigentümer gestört, wird der Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Technik der betroffenen Wohnungseigentümer oder im allgemeinen Übertragungsbereich liegen; die Versammlung darf fortgesetzt werden.

Die Kosten
Für die Kosten einer Online-Teilnahme sieht das WEG keine besondere Regelung vor. Es gelten deshalb die allgemeinen Grundsätze: Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat die allgemeinen Kosten der Versammlung zu tragen. Dazu gehören neben der Raummiete auch die Kosten, die erforderlich sind, um die Online-Teilnahme vonseiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu ermöglichen (z. B. Miete für Computer und Beamer im Versammlungsraum). Der einzelne Wohnungseigentümer hat die Kosten seiner Teilnahme zu tragen. Bei einer Online-Teilnahme sind das insbesondere die Kosten für die Technik, die er benötigt, um eine Verbindung zum Versammlungsraum herzustellen.

Praxistipp:
Weil die Online-Teilnahme mit erhöhtem Aufwand für den Verwalter bei der Versammlungsvorbereitung und -durchführung einhergeht, sollte eine entsprechende Zusatzvergütung beschlossen und in den Verwaltervertrag aufgenommen werden.
 

Fotos: © Roman Babakin / Shutterstock.com

Zum Nachlesen

Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter und Dr. Felix Wobst sind Autoren des Werks „WEG-Reform 2020 – Das Wohnungseigentumsrecht nach dem WEMoG“, das für 49,80 Euro erhältlich ist. Es enthält ausführliche Erläuterungen nebst Formulierungsvorschlägen zum neuen Recht. 

Otto Schmidt Verlag 2020, Broschur, 572 Seiten, ISBN 978-3504450496

 

 

Wobst, Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter, Dr. Felix

Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter
Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin

Dr. Felix Wobst
Notar, Gerolzhofen