19.05.2021 Ausgabe: 3/21

Das neue WEG -  Folge 3:  Bauliche Veränderungen

 

In der Vergangenheit waren bauliche Veränderungen nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. In der Regel mussten alle Wohnungseigentümer oder zumindest ein großer Teil von ihnen zustimmen, damit das gemeinschaftliche Eigentum über bloße Erhaltungsmaßnahmen hinaus verändert werden konnte. Weil das alte Recht dadurch sehr veränderungsfeindlich war, hat sich der Gesetzgeber für eine vollständige Neuregelung entschieden. Dabei stand er vor dem Problem, die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, insbesondere das – auch öffentliche – Interesse an der baulichen Fortentwicklung von Wohnanlagen mit dem Schutz finanzschwacher Wohnungseigentümer vor finanzieller Überforderung. Auf diesen Ausgleich zielen die vollständig neugefassten und im Einzelnen durchaus komplexen Vorschriften der §§ 20 und 21 Wohnungseigentumsgesetz (WEG).

§ 20 Bauliche Veränderungen
(1) Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.

(2) Jeder Wohnungseigentümer kann angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die

1. dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen,

2. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge,

3. dem Einbruchsschutz und

4. dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität

dienen. Über die Durchführung ist im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen.

(3) Unbeschadet des Absatzes 2 kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß ­hinaus beeinträchtigt werden, einverstanden sind.

(4) Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden; sie können auch nicht verlangt werden.

§ 21 Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen
(1) Die Kosten einer baulichen Veränderung, die einem Wohnungseigentümer gestattet oder die auf sein Verlangen nach § 20 Absatz 2 durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durchgeführt wurde, hat dieser Wohnungseigentümer zu tragen. Nur ihm gebühren die Nutzungen.

(2) Vorbehaltlich des Absatzes 1 haben alle Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen,

1. die mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurde, es sei denn, die bauliche Veränderung ist mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden, oder

2. deren Kosten sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes amortisieren.

Für die Nutzungen gilt § 16 Absatz 1.

(3) Die Kosten anderer als der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten baulichen Veränderungen haben die Wohnungseigentümer, die sie beschlossen haben, nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen. Ihnen gebühren die Nutzungen entsprechend § 16 Absatz 1.

(4) Ein Wohnungseigentümer, der nicht berechtigt ist, Nutzungen zu ziehen, kann verlangen, dass ihm dies nach billigem Ermessen gegen angemessenen Ausgleich gestattet wird. Für seine Beteiligung an den Nutzungen und Kosten gilt Absatz 3 entsprechend.

(5) Die Wohnungseigentümer können eine abweichende Verteilung der Kosten und Nutzungen beschließen. Durch einen solchen Beschluss dürfen einem Wohnungseigentümer, der nach den vorstehenden Absätzen Kosten nicht zu tragen hat, keine Kosten auferlegt werden.

Die Gestaltungsmacht der Mehrheit
Im Ausgangspunkt ist die neue Rechtslage ganz einfach: Alle baulichen Veränderungen können mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden (vgl. § 20 Abs. 1 WEG). Das Bestandsinteresse wird also – anders als früher – nicht höher bewertet als das Veränderungsinteresse. Mehrheitlich gefasste Baubeschlüsse sind erst dann rechtswidrig, wenn sie die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen (vgl. § 20 Abs. 4 WEG). Der Gestaltungsspielraum der Mehrheit ist dementsprechend weit.

Schutz vor finanzieller Überlastung
Der Schutz der überstimmten Minderheit wird durch eine differenzierte und durchaus komplexe Kostentragung gewährleistet: Nur Maßnahmen, die unter § 21 Abs. 2 WEG fallen, sind durch alle Wohnungseigentümer zu finanzieren. Das sind zum einen die Maßnahmen, die sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG); das leuchtet ein, profitiert doch jeder Wohnungseigentümer von diesen Maßnahmen selbst auch wieder finanziell. Daneben sind die Kosten von allen Wohnungseigentümern zu tragen, wenn die Maßnahme mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und zugleich mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wird (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Maßnahmen, die von einer so großen Mehrheit getragen werden, sinnvoll und im Interesse aller Wohnungseigentümer sind. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Maßnahme darf nicht mit unangemessenen Kosten verbunden sein, wobei es auf das Verhältnis des Aufwands zum Nutzen ankommt. An den Kosten aller anderen Maßnahmen muss sich die überstimmte Minderheit dagegen nicht beteiligen (§ 21 Abs. 3 S. 1 WEG). Die Nutzungsbefugnis verläuft dabei parallel zur Kostentragung: Nur wer Kosten trägt, darf die bauliche Verbesserung auch nutzen (vgl. § 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 WEG).

Man sieht: Es ist gar nicht so einfach, he­rauszufinden, welche Wohnungseigentümer welche Baumaßnahmen finanzieren müssen und sie anschließend nutzen dürfen. Insbesondere kann Streit über die Frage entstehen, ob eine Maßnahme unter § 21 Abs. 2 WEG fällt und deshalb von allen Wohnungseigentümern finanziert werden muss. Die Mehrheit wird wahrscheinlich dazu neigen, von einer Kostentragungspflicht aller Wohnungseigentümer auszugehen, die überstimmte Minderheit eher nicht. Für viele Wohnungseigentümer wird die Kostenfrage zudem entscheidend dafür sein, wie sie sich zu der baulichen Veränderung positionieren. Für die Praxis empfiehlt sich deshalb, jeden Baubeschluss mit einem Beschluss über die Kosten- und Nutzentragung zu verbinden. Die dafür notwendige Beschlusskompetenz ergibt sich aus § 21 Abs. 5 S. 1 WEG. Wenn ein solcher Beschluss bestandskräftig wird, steht die Kosten- und Nutzentragung endgültig fest. Im besten Fall kann dadurch nach einem Monat Rechtssicherheit geschaffen werden.

Privilegierte Maßnahmen
Jeder Wohnungseigentümer kann auf eigene Kosten bauliche Veränderungen für folgende Zwecke verlangen (§ 20 Abs. 2 WEG): Barrierereduzierung, Elektromobilität, Einbruchsschutz, Glasfaserausbau. Die Mehrheit ist verpflichtet, einen entsprechenden Baubeschluss zu fassen. Tut sie das nicht, kann der Wohnungseigentümer Beschlussersetzungsklage erheben.

Formulierungsvorschläge
Soll eine Baumaßnahme nur von einem Teil der Wohnungseigentümer finanziert und genutzt werden, könnte dieser Doppel-Beschluss etwa wie folgt lauten (vgl. VDIV-Beschlussvorlagen):

(1) Die Eigentümer beschließen folgende bauliche Veränderung: [möglichst genaue Beschreibung der Maßnahme oder Bezugnahme auf Angebot vom Datum].

(2) Die Kosten der unter (1) beschlossenen Maßnahme einschließlich aller Folgekosten tragen die Eigentümer der Einheiten Nr. X, Y nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile. Nur den Eigentümern dieser Einheiten stehen auch die neuen durch diese Maßnahme geschaffenen Nutzungen im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu.

Soll eine Baumaßnahme nach dem Willen der Mehrheit von allen Wohnungseigentümern finanziert und genutzt werden, könnte der Doppel-Beschluss etwa wie folgt lauten (vgl. VDIV-Beschlussvorlagen):

(1) Die Eigentümer beschließen folgende bauliche Veränderung: [möglichst genaue Beschreibung der Maßnahme oder Bezugnahme auf Angebot vom Datum] unter der aufschiebenden Bedingung, dass ein Beschluss bestandskräftig wird, nach dem die Kosten und Nutzungen auf alle Eigentümer nach Miteigentumsanteilen verteilt werden.

(2) Die Kosten und Nutzungen der vorstehenden Maßnahme werden auf alle Eigentümer nach Miteigentumsanteilen verteilt.

ZUM NACHLESEN
Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter und Dr. Felix Wobst sind Autoren des Werks „WEG-Reform 2020 – Das Wohnungseigentumsrecht nach dem WEMoG“, das für 49,80 Euro erhältlich ist. Es enthält ausführliche Erläuterungen nebst Formulierungsvorschlägen zum neuen Recht.
Otto Schmidt Verlag 2020, Broschur, 572 Seiten, ISBN 978-3504450496

 

 

Fotos: © Vadim Georgiev / Shutterstock.com

 

Wobst, Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter, Dr. Felix

Prof. Dr. Arnold Lehmann-Richter
Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin

Dr. Felix Wobst
Notar, Gerolzhofen