01.03.2016 Ausgabe: 2/2016

Die Crux mit der Vollmacht

Rechtliche und weitere Problemstellungen in Zusammenhang mit der Erteilung von Stimmrechtsvollmachten in Eigentümerversammlungen.

Bevor man sich den tatsächlichen und rechtlichen Problemstellungen im Zusammenhang mit der Erteilung von Stimmrechtsvollmachten nähert, lohnt es sich, einen Blick auf diesen Aspekt zu werfen:

Die Interessenlage der Beteiligten

Eigentümerversammlungen sind häufig nicht oder nur unter Berücksichtigung aller übermittelten Vollmachten (im Original, per Fax, per E-Mail, telefonisch) beschlussfähig. In Anbetracht der in Eigentümergemeinschaften vorhandenen Vermögenswerte und der finanziellen Tragweite von Beschlüssen, z. B. über die Durchführung umfangreicher Sanierungsmaßnahmen, stößt dies in der Verwalterpraxis bekannte Phänomen auf Verwunderung. Die Befugnis der Wohnungseigentümer, sich in Eigentümerversammlungen vertreten zu lassen, kann durch Vereinbarung beschränkt werden (sogenannte Vertreterklausel).
Trotz vereinbarter Vertreterklausel können bestimmte Personen nicht als Vertreter von der Teilnahme an der Eigentümerversammlung ausgeschlossen werden (z. B. gesetzliche Vertreter eines Wohnungseigentümers wie Eltern oder Betreuer oder die Parteien kraft Amtes, wie Zwangs- und Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker etc.). Zwar kann § 25 Abs. 3 WEG dahin abbedungen werden, dass eine ordnungsgemäß einberufene Eigentümerversammlung ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen und vertretenen Wohnungseigentümer beschlussfähig ist; diese – für den Versammlungsleiter günstige – Konstellation ist jedoch eher selten. Alle Beteiligten tendieren daher grundsätzlich dazu, Vollmachten in jedweder Form anzuerkennen, um die Beschlussfähigkeit der Erstversammlung sicherzustellen und eine Wiederholungsversammlung zu vermeiden.

Protagonist einer Eigentümerversammlung ist in der Regel der Verwalter, der regelmäßig – mangels abweichender Vereinbarung oder Beschlussfassung in der Versammlung – den Vorsitz führt. Das mit einer Beschlussanfechtungsklage verbundene Kostenrisiko liegt beim Verwalter als Versammlungsleiter, da die Durchführung einer – wegen zu geringer Präsenz von anwesenden oder wirksam vertretenen Miteigentumsanteilen – beschlussunfähigen Eigentümerversammlung ein grobes Verschulden des Verwalters i.S.d. § 49 Abs. 2 WEG darstellen könnte. Es gehört nämlich zu den Kardinalaufgaben insbesondere eines professionellen Verwalters, für eine ordnungsmäßige Versammlungsleitung und die Einhaltung der in der Gemeinschaftsordnung zur Eigentümerversammlung und Beschlussfassung enthaltenen Vorgaben Sorge zu tragen. Zusätzliche Bedeutung erhält das Thema für den Verwalter dadurch, dass er meistens der Einladung zur Versammlung ein von ihm vorgefertigtes Muster einer Vollmacht als Anlage beifügt.

Die Rechtslage

Im WEG gibt es keine Spezialnorm, die die Vertretung in der Eigentümerversammlung regelt. Die Erteilung einer Vollmacht ist grundsätzlich formlos, also auch mündlich möglich. Häufig ist jedoch die Schriftform in der Gemeinschaftsordnung ausdrücklich vereinbart. Legt der Vertreter eine Vollmacht vor, die – entgegen der Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung – nicht der Schriftform entspricht, hat der Verwalter das Recht, diese unverzüglich zurückzuweisen.

Oft noch unbekannt ist aber, dass § 127 Abs. 2 BGB an diese freiwillig vereinbarte, sogenannte „gewillkürte“ Schriftform geringere Anforderungen stellt: Soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, genügt die telekommunikative Übermittlung, also auch die Übersendung per Telefax oder E-Mail. Es existiert noch keine einschlägige Rechtsprechung für die Anwendbarkeit dieser Norm für Stimmrechtsvollmachten, der Verwalter sollte sie jedoch bei der Prüfung der Vollmachten im Blick haben.

§ 127 Abs. 2 Satz 1 BGB:
„Zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form genügt, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung und bei einem Vertrag der Briefwechsel.“

OLG München 26.1.2012 Az. 23 U 3798/11:
„Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, dem modernen technischen Standard und der verbreiteten Praxis Rechnung zu tragen. Zugelassen werden sollten daher auch moderne Möglichkeiten der Telekommunikation zur Übermittlung von Nachrichten, die Telegramm oder Telefax ganz oder teilweise verdrängt haben, wie etwa E-Mail oder Computerfax (s. BT-Drucks. 14/4987, S. 20).“

Nicht nur der Versammlungsleiter, sondern jeder Versammlungsteilnehmer hat das Recht, Einsicht in die Originalvollmachten zu nehmen; da die Stimmabgabe nicht nur gegenüber dem Versammlungsleiter, sondern auch gegenüber den übrigen Miteigentümern erfolgt, besteht auch für diese die Möglichkeit, die Stimmabgabe mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückzuweisen, indem sie per Geschäftsordnungsbeschluss den Versammlungsleiter zur Zurückweisung anweisen. Bei vereinbarter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist auch bei sogenannten „Dauervollmachten“ deren Vorlage im Original in jeder Versammlung erforderlich.

Generell gilt, dass in der Erteilung einer neuen Vollmacht ein stillschweigender Widerruf früher erteilter Bevollmächtigungen liegt. Eine Vollmacht kann jederzeit widerrufen werden; der Widerruf bedarf keiner Form, selbst dann nicht, wenn nach der Gemeinschaftsordnung Schriftform vereinbart ist.

Eine Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung, wonach der Verwalter automatisch zur Vertretung nicht anwesender oder nicht vertretener Eigentümer bevollmächtigt sein soll, ist wirksam.

Vorsicht ist geboten, soweit auf Antrag einzelner Eigentümer die Tagesordnung ergänzt wird. Sind bereits Vollmachten aufgrund der ersten Einladung erteilt worden, sind diese im Zweifel nicht für die aufgrund der ergänzenden Einladung „nachgeschobenen“ Tagesordnungspunkte wirksam; hierfür bedarf es einer weiteren Vollmacht.

Sofern das Sondereigentum im Besitz mehrerer Personen steht, ist der Versammlungsleiter nicht verpflichtet, bei Abgabe der Stimme durch einen Mitberechtigten dessen Ermächtigung durch die übrigen Miteigentümer zu prüfen.

LG Köln, Urteil vom 4.10.2012, Az. 29 S 91/12:
„In der Regel ist der Verwalter oder ein anderer Vorsitzender der Eigentümerversammlung nicht gehalten, bei der Abgabe der Stimme durch einen Mitberechtigten dessen Ermächtigung durch die übrigen zu prüfen (BayObLG, NJW-RR 1994, 1236 f.). Der in einer  Wohnungseigentümerversammlung anwesende Mitinhaber eines Wohnungseigentums handelt bei der Stimmabgabe in der Regel nicht nur für sich, sondern auch für die übrigen – abwesenden – Mitinhaber desselben Wohnungseigentums.Derjenige Mitinhaber, der die Stimme in der Wohnungseigentümerversammlung für das Wohneigentum abgibt, gilt regelmäßig als legitimiert, das Stimmrecht für alle Mitinhaber des Wohnungseigentums auszuüben.“

Bei Ehegatten soll es ausreichen, dass die schriftliche Vollmacht nur von einem Ehegatten im Einverständnis mit dem anderen unterschrieben wurde, so dass nicht jeder von ihnen eine schriftliche Vollmacht erteilen muss. Wenn der Verwalter die Annahme der von ihm formularmäßig übersandten Vollmacht ablehnen möchte (z. B. wegen der Weisung des Eigentümers, beim Tagesordnungspunkt „Entlastung“ mit Nein zu stimmen), sollte er den Eigentümer unverzüglich über die Ablehnung informieren. Wird dem Verwalter eine Stimmrechtsvollmacht mit einer Weisung für die Ausübung des Stimmrechts erteilt, bindet die Weisung auch einen Unterbevollmächtigten. Der Eigentümer muss sich entscheiden, ob er selbst an der Versammlung teilnehmen will, oder ob er sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt. Er kann nicht zusätzlich zu dem Bevollmächtigten an der Eigentümerversammlung teilnehmen.

LG Karlsruhe, Urteil vom 21.7.2015, 11 S 118/14:
„Ein Eigentümer, der sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt, darf nicht selbst an der Eigentümerversammlung teilnehmen. Nimmt er gleichwohl teil, wird sein Bevollmächtigter zum grundsätzlich nicht teilnahmeberechtigten Dritten.“

Handlungsempfehlungen für den Verwalter

Vorformulierte Vollmachten, die als Anlage zu den Einladungsunterlagen beigefügt werden, sollten eindeutige Hinweise auf die in der jeweiligen Wohnungseigentümergemeinschaft vereinbarten Formerfordernisse bzw. Beschränkungen (Vertreterklausel, Schriftform etc.) und die Berechtigung zur Erteilung einer Untervollmacht enthalten.

Sofern „kritische“ Tagesordnungspunkte zur Beschlussfassung anstehen und deswegen beabsichtigt ist, die bisher übliche, evtl. nicht gemeinschaftsordnungskonforme Akzeptanz von Vollmachten in der Versammlung nicht zuzulassen (z. B. Kreditaufnahme, dringend erforderliche Sanierungsmaßnahmen mit möglicher Haftung der Wohnungseigentümer bei Nichtteilnahme oder Ablehnung der Maßnahme etc.), sollte deutlich in der Einladung darauf hingewiesen werden, dass grundsätzlich nur Vollmachten zugelassen werden, die der Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung vollumfänglich entsprechen (z. B. Erfordernis einer notariell beurkundeten Vollmacht etc.).

Zur Vermeidung langwieriger Diskussionen am Versammlungsort ist im Vorfeld der Versammlungsplanung mit den beteiligten Mitarbeitern klar zu kommunizieren, welche Vollmachten akzeptiert werden und welche aus formalen Gründen zurückgewiesen werden.

Liegen mehrere Vollmachten bei Versammlungsbeginn von einem Eigentümer vor, gilt im Zweifel die neueste (Datum prüfen!); es ist einem Eigentümer jedoch auch nicht verwehrt, mehrere Personen gleichzeitig zu bevollmächtigen; in diesem Fall ist darauf zu achten, dass diese Personen einheitlich abstimmen.

Wurden mit der Einladung bereits ausformulierte Beschlussvorschläge übersandt und liegen konkrete Weisungen des Eigentümers zur Abstimmung vor, sollte der Verwalter im Zweifel das Stimmrecht zu diesem Tagesordnungspunkt nicht ausüben, wenn der Beschlussantrag nach Erörterung des Tagesordnungspunktes völlig vom vorgeschlagenen Beschlussvorschlag abweicht; liegt keine Weisung vor, kann der Verwalter die Vollmacht unbeschränkt ausüben.

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Bachmann, Martin

Der Dipl.-Verwaltungswirt/FH ist Mitglied der Bereichsleitung Immobilienverwaltung der FONCIA Deutschland und für Schulung und Fortbildung der Mitarbeiter im Bereich WEG verantwortlich.