20.07.2015 Ausgabe: 5/2015

Die sieben Sünden im Wohnungseigentum

Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit gelten nach der klassischen Theologie als Sünden. Auch bei der Verwaltung von Wohnungseigentümergemeinschaften treten immer wieder Fehler auf, die nicht auszusterben scheinen.

Dem Verwalter droht für Sünden im Wohnungseigentum zwar nicht die Höllenstrafe, dafür in Einzelfällen eine gerichtliche Kostenentscheidung nach § 49 Abs. 2 WEG zu seinen Lasten.

1. Das Kreuz mit der ­Jahresabrechnung

§ 28 WEG legt das Abrechnungsprinzip der Einnahmen-Ausgabenrechnung fest. Mit Ausnahme der Heizkosten dürfen auch bei Leistungsbestimmungen einzelner Wohnungseigentümer keine Abgrenzungspositionen gebildet werden, so die noch herrschende Auffassung des BGH. Verstöße führen zur Unwirksamkeit des Genehmigungsbeschlusses. Ferner ergibt sich das Abrechnungsergebnis, die so genannte Abrechnungsspitze, aus der Saldierung der tatsächlichen Kosten des Sondereigentums mit den Sollvorauszahlungen aus dem Wirtschaftsplan. Entscheidend ist daher nicht, welche Vorauszahlungen ein Eigentümer geleistet hat (BGH ZMR 1999, 834). Vorjahressalden oder sonstige nicht geleistete Vorauszahlungen haben als periodenfremde Positionen in der Abrechnung nichts zu suchen. Unausrottbar ist auch die Praxis, bei einem Eigentümerwechsel quotale Einzelabrechnungen zu erstellen. Vielmehr ist – ungeachtet eines Eigentümerwechsels – stets eine Abrechnung zu erstellen.

2. 50+1 – Beschlussfähig­keits­arithmetik

Vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung legt § 26 Abs. 3 WEG fest, dass die Versammlung nur beschlussfähig ist, wenn mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile anwesend oder vertreten sind. Häufig wird die Wohnungseigentümerversammlung auch bei nicht gegebener Beschlussfähigkeit abgehalten. Beschlüsse sind zwar nicht nichtig, aber auf Beschlussanfechtungsklage hin unwirksam. Ohne Hinweis auf diese Konsequenz handelt der Verwalter in diesem Fall grob schuldhaft, § 49 Abs. 2 WEG dürfte zwingend sein. Oftmals wird diesem Umstand durch eine Eventualeinberufung begegnet: mit der Einberufung zur Erstversammlung wird für den Fall der Beschlussunfähigkeit bereits eine zweite unmittelbar im Anschluss (30-Minuten-Regel) terminiert. Dies ist als Verstoß gegen § 25 Abs. 4 WEG zu bewerten und nur durch Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung zu regeln (Bayerisches Oberlandesgericht, WE 1990, S. 140). Ist eine Öffnungsklausel enthalten, kann die Eventualeinberufung im Beschlusswege geregelt werden. Die elegantere Lösung: beschließen, dass jede Wohnungseigentümerversammlung, ungeachtet der erschienenen oder repräsentierten Miteigentumsanteile stets beschlussfähig sein soll.

3. Opa und Oma kommen auch mit – ­Nichtöffentlichkeitsgrundsatz

Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit ergibt sich aus dem Wortlaut „Versammlung der Wohnungseigentümer“ des § 23 Abs. 1 WEG. Erweisen sich Versammlungen quasi als Familienfeiern, mit Angehörigen, die selbst nicht Eigentümer sind, und wirkt sich die Teilnahme Dritter auf das Abstimmungsergebnis kausal aus, können Beschlüsse erfolgreich angefochten werden. In Einzelfällen mag es schützenswerte Interessen geben (Krankheit, Behinderungen), dass ein Wohnungseigentümer einen Begleiter zur Versammlung stellt. Dies ist nicht als Verstoß gegen den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz zu bewerten und unproblematisch. Geschäftsordnungsbeschlüsse, die es Dritten erlauben, an der Versammlung teilzunehmen, sind per se nicht anfechtbar, die darauf beruhenden Beschlüsse sind es gleichwohl. Dritte haben in Einzelfällen die Berechtigung, teilzunehmen, wenn dies im Kollektivinteresse ist (Bärmann, § 24 Randziffer 91). In allen anderen Fällen muss dem Verwalter zwingend angeraten werden, Dritte von der Teilnahme auszuschließen, denn er ist als Versammlungsleiter für die Durchführung einer ordnungsgemäßen Wohnungseigentümerversammlung verantwortlich.

4. Schicken Sie mir einfach eine Vollmacht – Schriftformerfordernis?

Häufig regeln Gemeinschaftsordnungen, dass eine Vertretung durch schriftliche Vollmacht nachgewiesen werden muss. Schriftform bedeutet nicht Telefax, E-Mail etc., sondern Originalvollmacht mit Originalunterschrift. Der Verwalter sollte insbesondere bei vereinbartem Schriftformerfordernis Vollmachten, die diesem nicht genügen, zurückweisen (§ 174 BGB gilt analog), dies gilt insbesondere dann, wenn dem Verwalter selbst Vollmacht erteilt wird. Er muss eine formunwirksame Vollmacht aber so rechtzeitig zurückweisen, dass es dem Wohnungseigentümer möglich ist, einen anderen mit der Vertretung zu bevollmächtigen. Zu beachten ist überdies, dass es einem Wohnungseigentümer frei steht, mehrere Personen zur Teilnahme an einer Wohnungseigentümerversammlung zu bevollmächtigen. Die Zurückweisung einzelner Vollmachten durch den Verwalter ist nur in wenigen Einzelfällen, in denen von einer missbräuchlichen Vollmachtserteilung ausgegangen werden kann, rechtmäßig.

5. Richtig zittern – der ­Vorschaltbeschluss

Der BGH hat mit seiner Jahrhundertentscheidung vom 20.9.2000 (ZWE 2000, 518) den Anwendungsbereich sogenannter Zitterbeschlüsse eingeschränkt. Ein Zitterbeschluss liegt vor, wenn von der Gemeinschaftsordnung oder dem Gesetz abgewichen wird. Er erwächst nach Ablauf der Anfechtungsfrist in Bestandskraft. Voraussetzung ist aber stets, dass für die zu regelnde Angelegenheit Beschlusskompetenz besteht. Trifft dies nicht zu, so ist der Beschluss nichtig. Zitterbeschlüsse sind praxisrelevant bei baulichen Veränderungen, der nicht beschlussfähigen Wohnungseigentümerversammlung, Beschlüssen, die nicht Gegenstand des Einberufungsschreibens sind, und vielem mehr. Es ist ein Fehler des Verwalters, Zitterbeschlüsse ohne vorherige Aufklärung der Wohnungseigentümerversammlung zu verkünden. Ein grobes Verschulden dürfte ausscheiden, wenn der Verwalter nach erfolgter Aufklärung einen Beschluss zur Geschäftsordnung fassen lässt, wonach die Mehrheit darüber entscheidet, dass der Beschluss trotz Aufklärung und Risiko für „angenommen“ verkündet werden soll. Dies hindert nicht die Rechtswidrigkeit des daraufhin erfolgten Beschlusses, dieser ist auf Anfechtung hin regelmäßig für unwirksam zu erklären. Es zeugt aber von der Kompetenz des Verwalters, die bei der Überprüfung des groben Verschuldens im Sinne des § 49 Abs. 2 WEG positiv zu berücksichtigen sein wird.

6. Verpflichtungsbeschlüsse der ­Eigentümerversammlung

Der BGH hat in der sogenannten „Kehrwochenentscheidung“ vom 9.3.2012 V ZR 161/11 entschieden, dass die Eigentümerversammlung keine Kompetenz hat, einzelne Wohnungseigentümer zur tätigen Mithilfe zu verpflichten. Ein entsprechender Beschluss ist nichtig. Mit der Entscheidung vom 18.6.2010 – 2010 V ZR 193/09 bestätigt der BGH diese Rechtsauffassung auch für Beschlüsse, die Wohnungseigentümer dazu verpflichte, eine bauliche Veränderung zu entfernen. Sie sind nichtig. Die Vorgaben des BGH werden in der Verwaltungspraxis kaum beachtet. Rechtmäßig ist lediglich ein Beschluss, der den Verwalter ermächtigt, einen Wohnungseigentümer unter Fristsetzung zum Rückbau aufzufordern. Widrigenfalls soll ein Rechtsanwalt mit der Vertretung der Interessen der Mitglieder der WEG beauftragt werden. Enthalten die Beschlüsse Verpflichtungen, kann Klage aus § 1004 BGB nicht erhoben werden.

7. Wie viele Beiräte nochmal?

Der BGH hat mit Urteil vom 4.12.2009 – V ZR 44/09 bestätigt, dass der Verwaltungsbeirat aus drei Mitgliedern zu bestehen hat, was sich aus § 29 Abs. 1 WEG ebenfalls ergibt. Weniger oder mehr Verwaltungsbeiräte können nur durch nicht angefochtenen Mehrheitsbeschluss bestellt werden. Erreichen also nicht drei Wohnungseigentümer die einfache Mehrheit nach § 29 Abs. 29 WEG, sind nicht automatisch diejenigen bestimmt, die über die Mehrheit verfügen. Vielmehr wäre die Verwaltungsbeiratswahl insgesamt als „abgelehnt“ zu verkünden. Zittern (siehe oben) ist möglich, ratsam indessen nicht. Eine Blockwahl des Verwaltungsbeirates ist nur dann zulässig, wenn sämtliche im Block gewählten Wohnungseigentümer über die einfache Mehrheit verfügen. Auch dies wird in der Praxis quasi ­ignoriert.

Dem Verwalter sei Trost gespendet. Die vorstehenden Beispiele belegen, wie einfach es ist, ohne Sünde zu sein. Es reicht völlig aus, das Gesetz und die Gemeinschaftsordnung zu beachten.

Foto: © Mikael Damkier / Shutterstock.com


Volpp, Stephan

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Justiziar des VDIV Baden-Württemberg. Volpp ist Dozent bei der Akademie der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Baden-Württemberg und Mitglied des Prüfungsausschuss ­Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht bei der Rechtsanwaltskammer Stuttgart.