21.01.2022 Ausgabe: 1/22

Die Spirale des Todes - Nur langfristige Instandsetzungsplanung und angemessene Erhaltungsrücklagen schützen Eigentümer.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer neuen Entscheidung nochmals bekräftigt, dass Eigentümer grundsätzlich immer dazu verpflichtet sind, ihr Wohnungseigentum instand zu setzen. Was aber bedeutet das für sie und die WEG-Verwaltungen vor dem Hintergrund des alternden Gemeinschaftseigentums?


Der Sachverhalt des Urteils
Es hätte für den BGH keinen besseren Fall gegeben, um eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen1. Gegenstand des Urteils war ein Anfang der 1970er Jahre gebautes Parkhaus aus ungeschütztem Stahlbeton, das seit 50 Jahren nicht grundlegend saniert worden war. Ein Teil des Gebäudes war wegen statischer Bedenken bereits vor sieben Jahren gesperrt worden und konnte seitdem nicht mehr genutzt werden. Eine sinnvolle Instandsetzung des Gebäudes wäre nur noch durch Abriss und die Errichtung eines Neubaus möglich. Die Gemeinschaft fasste dementsprechend den Beschluss, dass das Parkhaus nicht mehr saniert werden sollte. Begründet wurde dieser Beschluss mit § 22 Wohnungseigentumsgesetz (WEG), der auch nach der Novelle unverändert lautet: „Ist das Gebäude mehr als zur Hälfte zerstört und ist der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt, so kann der Wiederaufbau nicht beschlossen oder verlangt werden.“


Die Rechtslage
Unstreitig haben Wohnungseigentümer bezüglich der Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen einen weiten Ermessensspielraum. Nur zwingende Maßnahmen dürfen nicht zurückgestellt werden. Die Notwendigkeit ist jedenfalls dann zwingend, wenn durch Mängel im Gemeinschaftseigentum die Nutzung des Sondereigentums erheblich beeinträchtigt oder gar nicht mehr möglich ist2. Sofern die Wohnungseigentümer zwingend erforderliche Sanierungsmaßnahmen nicht beschließen, machen sie sich gegenüber dem Miteigentümer schadenersatzpflichtig, der sein Sondereigentum aufgrund des Mangels nicht mehr nutzen kann3. Allerdings ist eine Sanierung dann – außer bei einem plötzlichen Schadensfall – grundsätzlich immer durchzuführen, selbst wenn die dafür anfallenden Kosten die Hälfte des Gebäudewertes übersteigen4 . Auch für diesen Extremfall hat der BGH nun eine Sanierungspflicht bestätigt.


Der Instandhaltungsstau
Bei Gebäuden, die nach WEG aufgeteilt sind, wird allgemein von einem erheblichen Instandhaltungsstau ausgegangen. Auch in der Gesetzesbegründung der WEG-Novelle findet der Instandhaltungsstau Erwähnung5 . Insbesondere diesem Problem sollen die Neuregelungen Rechnung tragen6.

Von den rund 42 Millionen Wohnungen in Deutschland wurden etwa 22 Millionen im Zeitraum von 1949 bis 1990 und weitere 6,7 Millionen im Zeitraum von 1990 bis 2010 errichtet. Bezieht man auch die mit Baujahr vor 1949 mit ein, sind es bis 1990 rund 33 Millionen Wohnungen7 . Drei Viertel des Bestands sind älter als 30 Jahre. Zugleich steigt der Instandsetzungsbedarf im Wohnungsbau durch die Anforderungen des Klimaschutzes. So muss beispielsweise damit gerechnet werden, dass mittelfristig auch Gasnetze vonseiten der Versorger stillgelegt werden, wenn gebietsweise klimafreundlichere Wärmequellen, beispielsweise Fernwärme, zur Verfügung stehen8 .

Auf der anderen Seite bedingt es die demografische Entwicklung, dass Eigentümer von Wohnimmobilien immer älter werden. Deutlich mehr als 50 Prozent der Rentner wohnen in den eigenen vier Wänden9 .

Risiko Instandsetzungskosten
Spätestens wenn Schäden im Gemeinschaftseigentum in die Nutzbarkeit des Sondereigentums eingreifen, werden grundlegende, kostenintensive Instandsetzungen notwendig. Da Wohnungseigentümer in aller Regel die Bildung angemessener Rücklagen scheuen, müssen derartige Maßnahmen meist durch Sonderumlagen (ko-)finanziert werden.

Weil es aber schon ab einem Alter von 60 Jahren schwierig sein kann, einen entsprechenden Bau- oder Immobilienkredit zu bekommen10 , können ältere Miteigentümer ohne eigene Rücklagen schnell in finanzielle Bedrängnis kommen. Dennoch dürfen sie sich nicht darauf berufen, dass ihnen die Kosten nicht zuzumuten seien11 . Es gilt der alte Rechtsgrundsatz: Geld hat man zu haben.

Wenn Sonderumlagen nicht bezahlt werden können, wird letztlich die Zwangsversteigerung der Wohnung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG) erfolgen müssen. So wird ein mittelloser Eigentümer, der keinen Kredit erhält, wegen notwendiger Instandsetzungen schlimmstenfalls sein Eigentum verlieren. Ist die grundlegende Sanierung unaufschiebbar, müssen darüber hinaus die noch zahlungsfähigen Miteigentümer den Ausfallbetrag durch eine neue Sonderumlage aufbringen. Wer diese zweite Umlage nicht bezahlen kann, läuft dann auch Gefahr, seine Wohnung zu verlieren. Der so entstehende neue Fehlbetrag ist durch eine dritte Sonderumlage zu finanzieren – es entsteht eine „Spirale des Todes“ durch Sonderumlagen-Beschlüsse, deren Domino effekt auch Eigentümer in die Insolvenz reißen kann, die den auf ihr Wohnungseigentum entfallenden Betrag durchaus noch selbst hätten finanzieren können.


Der Weg zur angemessenen Instandsetzung
Eigentümern muss frühzeitig vor Augen geführt werden, mit welchen Instandhaltungszyklen beim Gebäudeerhalt zu rechnen ist. Dazu dient ein entsprechender mit Kostenansätzen versehener Instandsetzungsplan. Er sollte so früh wie möglich erstellt und umgehend zur Ableitung einer entsprechend langfristigen Rücklagenbildung genutzt werden. Ratsam ist es, den Plan regelmäßig von einem Baufachmann überprüfen und fortschreiben zu lassen. Dabei sollte auch entschieden werden, welche Instandhaltungsmaßnahmen (regelmäßig) vorgenommen und/oder welche kleineren Instandsetzungsarbeiten ausgeführt werden sollen. Dies ist sinnvoll, wenn dadurch größere Instandsetzungen später erforderlich werden.

Vor allem aber kommt es darauf an, Eigentümern klarzumachen, warum für größere Sanierungen frühzeitig eine angemessene Erhaltungsrücklage gebildet werden muss. Denn wenn zwingend erforderliche Instandsetzungen ohne entsprechende Vorsorge anstehen, kann dies sogar zum Verlust des Wohnungseigentums führen. Den wenigsten Wohnungseigentümern wird dies bewusst sein.

 

1 BGH, Urteil vom 15.10.2021, Az. V ZR 225/21
2 BGH, Urteil vom 4.5.2018, Az. V ZR 203/17, Rn. 10
3 BGH, Urteil vom 17.10.2014, Az. V ZR 9/14, Rn. 21
4 BGH, Urteil vom 15. 10.2021, Az. V ZR 225/21, Rn. 26: Kein Fall des § 22 WEG
5 Deutscher Bundestag Drucksache 19/18791, S. 26
6 Pressemitteilung Bundesministerium der Justiz vom 30.11.2021, www.bmjv.de
7 Wohnen nach Baujahr, Stand 26.5.2020, www.destatis.de
8 Vgl. bspw. E & M Powernews, 8.10.2018, www.die-bbh-gruppe.de/fileadmin/user_upload/documents/press/Focht_EM_Powernews_08102018.pdf
9 Voigtländer, Michael/Sagner, Pekka, 2019, Analyse der Bildung von Wohneigentum, Gutachten für die Schwäbisch Hall AG, Köln, S. 13, Tabelle 2-8
10 www.kreditmagazin.net/ratgeber/kann-ich-als-rentner-einen-kredit-beantragen/
11 BGH, Urteil vom 4.5.2018, Az. V ZR 203/17, Rn. 20
 

Gerle, Rechtsanwalt Dipl. Oec. (univ.) Reinhard

Fachanwalt für Bau- und ­Architektenrecht, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Augsburg