22.07.2022 Ausgabe: 5/22

Die Weichen richtig stellen - Wie das Gebäudeenergiegesetz auf die Verteilung von Sanierungskosten in Eigentümergemeinschaften wirkt.

Zwingende gesetzliche Vorschriften wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) oder „halb­zwingende“ technische Regelwerke wie die DIN-Normen haben oft zur Folge, dass im Zuge einer Gebäu­desanierung durchgeführte bau­liche Veränderungen von allen Eigentümern zu bezahlen sind. Warum, wird nachfolgend erörtert.

Werden Baumaßnahmen auf Ver­langen einzelner Wohnungseigen­tümer beschlossen, müssen nach § 21 Abs. 1 Wohnungseigentums-gesetz (WEG) diese bzw. die Nutz­nießer die Kosten der Maßnahme tragen; das ist – insbesondere wenn Wohnungseigentümern per Beschluss die Durchführung einer baulichen Veränderung gestattet wird – ebenso einfach wie ein­leuchtend. Genauso einfach und einleuchtend wäre es, wenn umge­kehrt Baumaßnahmen, die im Gemeinschaftsinteresse beschlos­sen und umgesetzt werden, von der Gemeinschaft (also allen Woh­nungseigentümern) bezahlt wer­den müssten. Aber ganz so einfach ist es leider nicht.


Erhaltung oder bauliche Veränderung?
Um zu verhindern, dass womög­lich eine Eigentümermehrheit ein­zelne Wohnungseigentümer durch den Beschluss von Luxussanierun­gen in den wirtschaftlichen Ruin treibt, enthält das Gesetz in der Fassung der WEG-Reform 2020 für gemeinschaftliche Baumaß­nahmen komplizierte Kostentra-gungsregelungen. Nur die Kosten reiner Erhaltungsmaßnahmen (das ist der Oberbegriff für „Instand­setzung und Instandhaltung“ gem. § 13 Abs. 2 WEG) sind gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WEG wie eh und je nach dem Verhältnis der Miteigentum-santeile (MEA) zu verteilen. Han­delt es sich nicht um eine reine Erhaltungsmaßnahme, liegt eine bauliche Veränderung vor, bei der sich die Kostenverteilung nach § 21 Abs. 2 WEG richtet. Nach die­ser Bestimmung sind die Kosten nur dann nach MEA zu verteilen, wenn 1. die Maßnahme mit mehr als zwei Dritteln der abgegebe­nen Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurde [...] oder 2. sich deren Kos­ten innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren.

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, müssen gem. § 21 Abs. 3 S. 1 WEG nur die Eigentümer bezahlen, die für den Beschluss gestimmt haben! Erfahrungs­gemäß wird für die Durchfüh­rung von Maßnahmen, die allen zugute kommen, aber nur dann gestimmt, wenn auch alle an den Kosten beteiligt werden. Die Mög­lichkeit, mit der Mehrheit nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 WEG die Kostentragung aller zu erreichen, ist The­orie, denn in der Praxis wird diese Mehrheit kaum jemals erreicht. Also scheint die Kostenverteilung nach MEA davon abzuhängen, ob sich die Modernisierungskos­ten i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 WEG in angemessener Zeit amortisieren (dazu vdivaktuell 5/21, S. 29).

Hier rückt nun das Thema des Bei­trags in den Fokus: Die erste Wei­che für die Kostenverteilung wird, wie erwähnt, mit der Einordnung einer Maßnahme in die Kategorie „Erhaltung“ einerseits oder „bau­liche Veränderung“ andererseits gestellt. Begrifflich gibt es hier nur das „Entweder-oder“. Erhaltung bedeutet die Wiederherstellung des früheren Zustands – ohne Ände­rung. Jede Änderung führt dazu, dass die Maßnahme keine (reine) Erhaltung mehr darstellt, sondern eine bauliche Veränderung. 


Die zwingende bauliche Veränderung
Rechtlich betrachtet gibt es aber eine dritte Kategorie: die (gesetz­lich) zwingenden baulichen Ver­änderungen. Wenn und weil die Gemeinschaft bestimmte Vorga­ben beachten muss, werden die daraus resultierenden baulichen Veränderungen den Erhaltungs­maßnahmen gleichgestellt, so der Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 20.7.2018, Az. V ZR 56/17, NZM 2018, 794, Rn. 13. Daraus ergibt sich insbesondere die Kos­tenverteilung nach MEA. Konkret geht es insoweit meistens um die Bestimmungen des GEG 2020, dem Nachfolger der Energieeinsparverordnung (ENeV). Bedeutsam kön­nen in diesem Zusammenhang aber auch die anerkannten Regeln der Technik sein, denn auch deren Einhaltung ist im Rahmen der ord­nungsmäßigen Verwaltung zwin­gend: Wenn instand gesetzt wird, dann DIN-konform (BGH, Urteil vom 4.5.2018, Az. V ZR 203/17, Rn. 23). 


Ein typischer Sanierungsfall
Gem. § 48 GEG gilt (wie schon zu Zeiten der EnEV), dass bei einer Erneuerung, Ersetzung oder einem Neueinbau von mehr als zehn Prozent der Außenbauteile eines Gebäudes (Außenwand, Fenster, Türen, Dach, Decken) die aktuellen Wärmedämmanfor-derungen (Wärmedurchgangskoeffizienten gem. Anlage 7 des  GEG) einzuhalten sind. Betrach­ten wir nun den typischen Fall einer Gebäudesanierung: Fas­sade und Balkone bröckeln, letz­tere sind undicht, die Holzfenster marode. Die Sanierung umfasst die Erneuerung der Fassade bei gleichzeitiger Verbesserung der Wärmedämmung, die Betonsanie­rung der Balkone, die Erneuerung der Balkonabdichtung sowie den Ersatz der Holzfenster durch dreifachverglaste Kunststofffenster, ergänzt durch eine automatische Belüftung mit Wärmerückgewin­nung (Musterbeschluss: vdivaktuell 5/21, S. 30).

Für die Kostenverteilung gilt Fol­gendes: Die Betonsanierung und die Erneuerung der Balkonab­dichtung gehen über eine reine Erhaltung nicht hinaus, wes­halb die Kostentragung aller nach MEA gesetzt ist. Die Fassa­den- und die Fenster erneuerung umfassen mehr als zehn Pro­zent (i. d. R. sind es 100 Prozent) der Bauteile, weshalb die aktuel­len Vorgaben gem. Anlage 7 des GEG einzuhalten sind. Soweit die gegenüber dem Bestand verbes­serte Wärmedämmung der Fas­sade sowie die neuen Fenster nach diesen Vorgaben zwingend sind, sind sie im Rechtssinne als Erhaltungsmaßnahmen zu behan­deln; es gilt die Kostenverteilung nach MEA. Soweit die neue Aus­führung über die Anforderungen des GEG hinausgeht, ist zu prü­fen, ob sie womöglich nach den anerkannten Regeln der Technik unvermeidlich ist. Das kann in Bezug auf die – für Bestandsbau­ten vom GEG nicht geforderte – automatische Lüftungsanlage der Fall sein, denn nach DIN 1946-6 sind Maßnahmen zur kontrol­lierten Entlüftung zwecks Schim­melvermeidung unumgänglich. Somit wird letztlich nur derjenige Teil der Gesamtmaßnahme, der weder zur Erhaltung zählt, noch vom GEG oder den anerkann­ten Regeln der Technik gefordert wird, kostenmäßig als das behan­delt, was er begrifflich sowieso darstellt, nämlich als bauliche Veränderung. (Nur) diesbezüg­lich muss nun geprüft werden, ob die – allein hierauf bezogenen – Kosten sich i. S. v. § 21 Abs. 2 Nr. 2 WEG in angemessener Zeit amor­tisieren. Wenn das der Fall ist, gilt auch insoweit die Kostenver­teilung nach MEA. Der Verwal­ter kann und muss die richtige Zuordnung der Maßnahmen und ggf. die Amortisationsberech­nung nicht selbst leisten, wes­halb damit ein Fachplaner und/ oder Energieberater zu beauftra­gen ist – ohnehin fast immer sinn­voll. Über das Ergebnis (und über die vorliegenden Angebote usw.) müssen die Eigentümer im Vor­feld der Beschlussfassung infor­miert werden.

Sollte herauskommen, dass für die beabsichtigte Maßnahme nicht die Kostentragung nach MEA gilt – weil einzelne Bestandteile weder zwingend sind, noch ihre Kosten sich in angemessener Zeit amortisieren – gibt es zwei Hand­lungsoptionen: 1. Die Maßnahme „abspecken“, indem die Bestand­teile, die der Kostenverteilung nach MEA entgegenstehen, her­ausgenommen werden. 2. Den Beschluss trotzdem mit (ausdrück­licher) Kostenverteilung nach MEA fassen – in Kenntnis seiner Anfechtbarkeit und mit Hinweis darauf (sog. Zitterbeschluss).

Modernisierung und Erhal­tung gesetzlich gleichstellen!
Die Rechtslage ist, wie man sieht, zur Erreichung des Ziels erfolgrei­cher Sanierungsbeschlüsse zwar nicht hoffnungslos, aber schwie­rig. Der Beitrag mündet deshalb in einen Hilferuf an den Gesetz­geber: Modernisierungsmaßnah­men i. S. v. § 555b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sollten im Woh­nungseigentumsrecht generell den Erhaltungsmaßnahmen gleichge­stellt werden. Nur dann steht die Kostenverteilung nach MEA ohne schwierige Überlegungen und Berechnungen fest und nur dann werden Maßnahmen der (energe­tischen) Sanierung in dem Maße beschlossen werden, das zur Erhal­tung der Wohnungseigentums-anlagen und eines erträglichen Weltklimas gleichermaßen nötig ist. Dass eine solche Gesetzesände­rung auch die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien (Einbau von Wärmepumpen, Photovoltaik usw.) ohne bereits bestehenden Instandsetzungsbedarf befördern würde, kommt hinzu. Dadurch würde nebenbei auch die Abhän­gigkeit von ausländischen fossilen Brennstoffen (Stichwort „russi­sches Gas“) verringert – ein Ziel, das derzeit drängender als je zuvor ist.

Greiner, Dr. David

Der Rechtsanwalt ist Fachanwalt für Wohnungseigentumsrecht sowie für Bau- und Architektenrecht in Tübingen.
www.greiner.one