20.10.2022 Ausgabe: 7/22

Dynamisches Lastmanagement

Bei der Nachrüstung von E-Ladestationen in Bestandsgebäuden lassen sich die Einrichtungskosten deutlich senken

Soll in Bestandsgebäuden Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge installiert werden, muss - anders als beim Neubau - neben der Ertüchtigung des bestehenden Zählerplatzes üblicherweise auch überprüft werden, ob der elektische Hausanschluss erweitert werden muss. Im Unterschied zu den Kosten, die bei im Gebäude anfallenden Installationsmaßnahmen direkt der beauftragte Elektrofachbetrieb kalku- lieren kann, ist es bei einer Hausanschlusserweiterung der jeweilige Netzbetreiber, der die Möglichkeiten und Kosten bestimmt. Dies erfolgt auf Anfrage zur Erweiterung des Hausanschlusses, die üblicherweise über den bevollmächtigten Planer oder den mit der Installation beauftragten Fachbetrieb erfolgt. Dabei werden in der Regel die konkret benötigten höheren Leistungswerte angegeben. Als Antwort erhalten Kunden Informationen zur vor Ort möglichen Maximalleistung, die über den bestehenden Hausanschluss ohne Verstärkung der Kabel erreicht werden kann, zudem Angaben zu den Kosten, die bei einer Erweiterung der Kabelkapazität anfallen würden. Hierbei ist zu unterscheiden, ob für die anvisierte Leistung ein stärkeres Kabel zwischen Haus und Straßenkabel ausreicht, oder ob eine Leitung vom Haus bis zur nächsten Trafostation gelegt werden muss. Sollte ein neuer Trafoanschluss erforderlich sein, können allein die dafür anfallenden Kosten leicht 50 Prozent der Gesamtinvestition für die Ladeinfrastruktur ausmachen.

Ein konkretes Rechenbeispiel
Ein Mehrfamilienhaus mit zehn Wohneinheiten verfügt in der Regel über eine Anschlussleistung von 50 kW. Eine einfache Erweiterung dieses Anschlusses bis zur Stromleitung an der Straße ist normalerweise bis rund 78 kW möglich. Um die nach DIN 18015 geforderte Leistung für ein Zehnfamilienhaus einzuhalten (dies wären genau 50 kW), könnten lediglich zwei Wallboxen mit je elf kW installiert werden. Je nach Preisblatt des Netzbetreibers sowie Länge und Art der Überdeckung der Leitung summieren sich die Kosten für einen Anschluss an die Straße schnell auf rund 5.000 Euro.

Sprunghafter Kostenanstieg bei weiterem Ausbau
Sollten sich ein Jahr später weitere vier Interessenten für die Installation je einer zusätzlichen Wallbox melden, steigt der Leistungsbedarf erneut – wegen des Gleichzeitigkeitsfaktors (GZF) nach Berechnung des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) jedoch nicht um den vollen Wert der addierten Leistung, sondern für die nun sechs Wallboxen mit je elf kW um nochmals rund 21 kW (GZF = 0,65 : 0,65 x 11 x 6 - 20). Für die im Rechenbeispiel benötigte Gesamtanschlussleistung von 91 kW würde bei erneuter Anfrage für die Hausanschlusserweiterung der Anschluss an den Trafo notwendig werden. Bei einer angenommenen Leitungslänge von 400 Metern vom Haus zum Trafo – wovon 350 Meter überdeckt sind –, würden sich die daraus re- sultierenden Kosten auf rund 50.000 Euro belaufen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es für Eigentümergemeinschaften bei der Beschlussfassung zum schrittweisen Ausbau der Ladeinfrastruktur ist, bereits im Vorfeld zu klären, wie die Kosten eines möglichen Vollausbaus zu teilen wären.

Wie Lastmanagement die Kosten senkt
Gänzlich umgehen lässt sich eine solch kostspielige Erweiterung des Hausanschlusses durch sogenanntes Lastmanagement. Zwei Varianten lassen sich unter- scheiden: statisches und dynamisches Lastmanagement. Statisches Lastmanagement hat eine feste Leistungsgröße als Vorgabe, die es nicht übersteigen darf. Im angeführten Rechenbeispiel wären dies die rund 22 kW, die unter sechs Fahrzeugen aufgeteilt werden müssten. Da viele der aktuellen Elektrofahrzeuge meist mit nur 3,6 kW laden können, wäre dies ein durchaus akzeptabler Wert. Das Lademanagement würde in diesem Fall für die Aufteilung der Ladeleistung auf die einzelnen Wallboxen sorgen. Eine derartige Lösung ist heute einfach und ohne Zusatzkosten umsetzbar, da sie bei vielen sogenannten Master-Slave-Systemen, wie sie von den meisten Wallbox-Herstellern angeboten werden, bereits ab Werk integriert ist.

Nutzen, was gerade nicht gebraucht wird
Sollten sich in der Folgezeit auch die vier übrigen Hausbewohner noch für eine Wallbox entscheiden oder die bisherigen Nutzer zunehmend Ladeleistungen von elf kW oder 22 kW in Anspruch nehmen wollen, empfiehlt sich dynamisches Lastmanagement. Damit kann wiederum eine höhere Ladeleistung bereitgestellt werden, ohne die Anbindung an einen Trafo erforderlich zu machen. Hintergrund: Die Auslegung der Anschlussleistung für Häuser erfolgt nach DIN 18015 für seltene – aber mögliche – Leistungsspitzen plus Sicherheiten. In der Regel wird diese Leistung über das gesamte Jahr betrachtet nur sehr selten abgerufen. Dies wurde im Real- Labor E-Mobility-Carré des Netzbetreibers NetzeBW in Stuttgart nochmals sehr anschaulich bestätigt. Um elektrische Leistung, die eigentlich für die Wohneinheiten reserviert ist, für Ladestationen zu nutzen, ohne die Gesamtanschlussleistung zu übersteigen, wird die abgerufene Leistung des Gebäudes am Hausanschluss gemessen. In den Wohnungen nicht genutzte Leistung kann komplett der Ladeinfrastruktur zur Verfügung stehen. Wird in den Wohnungen mehr Leistung abgerufen, beispielsweise zum Kochen, wird die fürs Laden von E-Fahrzeugen verfügbare Leistung reduziert.

Je nach technischer Ausstattung des Gebäudes kann durch dynamisches Lastmanagement die Erweiterung des Netzanschlusses komplett entfallen. Die Kosten für eine solche Lösung liegen bei rund 4.000 bis 6.000 Euro. Kostenpositionen sind neben der bereits erwähnten Leistungsmessung der Platz in einem Schaltschrank, ggf. ein zusätzlicher Controller sowie die Datenverbindung zwischen Messgerät, Controller und den Wallboxen.

Ausgleich von Bedarf und Angebot
Bei der Ladeleistung ist zu berücksichtigen, dass die meisten Fahrzeuge pro Woche nur etwa 100 Kilometer fahren, demnach also wöchentlich nur rund sechs Stunden Ladezeit mit rund 3,6 kW benötigen. Wie beim Pi- lotprojekt E-Mobility-Carré der NetzeBW deutlich wurde, spielt auch das Ladeverhalten der Nutzerinnen und Nutzer eine große Rolle. So wurden im Rahmen der mehr als einjährigen Projektlaufzeit von 45 Fahrzeugen maxi- mal 13 Fahrzeuge gleichzeitig geladen. In 42 Prozent der Gesamtzeit wurde sogar kein einziges Fahrzeug geladen.
Dynamisches Lastmanagement bietet zudem ggf. einen weiteren wichtigen Vorteil: Verfügen Objekte über eine Photovoltaik-Anlage zur Stromgewinnung, kann die erzeugte Leistung direkt für die Ladeinfrastruktur genutzt
werden und steht so zusätzlich zur Verfügung.

Conreder, Dr. Alexander

Leitung Wohnungswirtschaft EnBW Energie Baden-Württemberg AG