21.01.2016 Ausgabe: 1/2016

Eigentum verpflichtet – nicht nur zum Winterdienst

Welche Verkehrssicherungspflichten haben Wohnungseigentümer und Verwalter?

Meistens tauchen die Fragen im Winter auf, pünktlich mit dem ersten Schneefall und vereisten Zugängen: Wer ist für das Salzstreuen, Freiräumen und Beseitigen von Glatteis verantwortlich? Vorsicht ist aber das ganze Jahr geboten: Gefahrenquellen lauern in und um Wohnungseigentumsanlagen herum, unabhängig von der Jahreszeit. Seien es unzureichende Beleuchtung, herabfallende Äste, lose Treppengeländer oder fehlende Rauchmelder – allesamt Risiken, die von den sogenannten Verkehrssicherungspflichten umfasst sind.

Wer hat wen wovor zu schützen?

Die Verkehrssicherungspflichten leiten sich aus dem Grundsatz ab, dass derjenige, der eine Gefahrenlage „schafft“ bzw. eine Gefahrenquelle „beherrscht“, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu vermeiden (§ 823 ff. BGB). Der „Beherrscher“ dieser Gefahrenquellen (sei es der Teich auf dem Grundstück, feuchtes Laub auf dem Gehweg oder vom Sturm gelockerte Balkonbrüstungen) ist in der Regel der Eigentümer. Dabei folgt die Sicherungspflicht nicht aus der Eigentumsposition an sich, sondern aus der Herrschaft über und der Verantwortlichkeit für die potenzielle Gefahrenlage. Natürlich kann niemand dazu verpflichtet werden, einen Zustand völliger Gefahrlosigkeit herzustellen, weil dies schlicht nicht möglich ist. Daher endet die Pflicht da, wo alles Erforderliche und Zumutbare getan wurde, um vorhersehbare Schäden zu vermeiden. Eine Haftung tritt daher nur dann ein, wenn schuldhaftes Verhalten vorliegt, das heißt, wenn die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht“ gelassen wurde (§ 276 BGB). Die schuldhafte Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht kann deliktische Haftungsansprüche nach sich ziehen. Daraus können hohe Schadenssummen resultieren, wenn erhebliche Sachwerte, Körper, Gesundheit oder gar das Leben eines anderen verletzt werden. Im schlimmsten Fall können sogar lebenslange Renten oder Pflegekosten die Folge sein. Ist aber ein Zustand überhaupt nicht als Gefahr vorhersehbar oder vermeidbar gewesen, so kann daraus auch keine Verkehrssicherungspflicht erwachsen. Als zu schützende Dritte gelten im Bereich Gebäude und Grundstücke insbesondere Mieter, Besucher, Postzusteller, Handwerker, aber auch Besucher und sogar Unbefugte sind von der Schutzwirkung umfasst. Wer aber ist in einer WEG überhaupt verkehrssicherungspflichtig?

Der Sondereigentümer

Er ist in erster Linie für sein Sondereigentum verantwortlich, § 14 Nr. 1 WEG. Verletzt er seine Pflicht und drohen dadurch unmittelbar Schäden, so muss unter Umständen der Verwalter tätig werden, sofern er die Möglichkeit dazu hat. Seine primäre Pflicht besteht darin, den Sondereigentümer über die Gefahr zu informieren und zur Beseitigung aufzufordern. Eine Befugnis zum Eingreifen in das Sondereigentum hat weder der Verwalter noch der Verband. Aber der Verwalter ist ggf. verpflichtet, eine Beschlussfassung vorzubereiten, damit die Gemeinschaft den Sondereigentümer zur Pflichterfüllung auffordern oder ggf. sogar gerichtlich in Anspruch nehmen kann.

Bei vermietetem Sondereigentum ist in der Regel auch der Mieter verantwortlich. Zu berücksichtigen ist, dass auch Vermieter nur in ein eng beschränktes Betretungsrecht und daher nur begrenzte Möglichkeiten zur Überprüfung haben. Der Wohnungseigentümer ist gegenüber seinem Mieter verpflichtet, die Gemeinschaft und den Verwalter auf die Einhaltung der Verkehrssicherung hinzuweisen. Für den Mieter erwächst daraus die Möglichkeit, auf Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht zu klagen.

Die Eigentümergemeinschaft

Die Verkehrssicherungspflicht für die im Gemeinschaftseigentum stehenden Flächen, Anlagen oder Einrichtungen trifft die Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie haftet gegenüber dem Geschädigten als Gesamtschuldner. Sofern keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen wurden, gilt dies auch für Sondernutzungsflächen. Es ist denkbar, dass eine Maßnahme zur Beseitigung einer Gefahrenquelle in das gemeinschaftliche Eigentum eingreift.

Als Einzelpersonen haben die Wohnungseigentümer keine Verkehrssicherungspflicht für das Gemeinschaftseigentum. Sie haften daher nur in Ausnahmefällen, wenn sie notwendige Maßnahmen verhindern oder erforderliche Mittel nicht bereitstellen.

Der Verwalter

Im Rahmen der Verwalterhaftung ist vieles juristisch umstritten, zum Beispiel inwieweit er aus dem Verwaltervertrag oder aus übertragener Pflicht haftet. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG ist der bestellte Verwalter für einen gefahrlosen Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums verantwortlich. Schafft der Verwalter im Rahmen seiner Tätigkeit eine zuvor nicht vorhandene Gefahrenquelle, so begründet das unstrittig eine eigene primäre Verkehrssicherungspflicht. Dann ist ein eventuell eintretender Schaden auf dessen Verschulden zurückzuführen, und er haftet (ggf. daneben auch der Verband).

Der Verwalter ist verpflichtet, durch regelmäßige Kontrollen den verkehrssicheren Zustand des Objekts zu prüfen. Sind Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung erforderlich, so muss er die Eigentümer darüber unterrichten (siehe oben). Darüber hinaus muss er mögliche Vorschläge zur Gefahrenbeseitigung unterbreiten und, wenn erforderlich, auf eine entsprechende ordnungsmäßige Beschlussfassung hinwirken. Lässt sich die Maßnahme nicht aufschieben, so ist er verpflichtet, die erforderlichen Notmaßnahmen zu ergreifen.

Übertragung an Dritte

Grundsätzlich lassen sich die Verkehrssicherungspflichten auf Dritte übertragen. In Betracht kommt in Wohnungseigentümergemeinschaften (neben dem Verwalter) die Übertragung auf Mieter, Hausmeister oder ein externes Fachunternehmen. Damit endet jedoch nicht die Verantwortung; sie wird lediglich begrenzt auf die richtige Auswahl der Person (persönliche Eignung) und die Überwachung (Einhaltung der Vereinbarungen). Es ist nicht ausreichend, diese Übertragung in der Hausordnung zu regeln. Sie muss separat schriftlich vereinbart werden. Zur eigenen Absicherung empfiehlt es sich, die Kontrollen zu protokollieren. Auch ist an ausreichenden Versicherungsschutz zu denken.

Was sind typische ­Versicherungspflichten?

Im Rahmen der WEG-Verwaltung ergeben sich viele Verkehrssicherungspflichten aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften, wie zum Beispiel Rauchwarnmelderpflicht, Trinkwasserverordnung, Wasserhaushaltsgesetz, Landesbauordnung, Mess- und Eichgesetz etc. Aber es gibt auch technische Vorgaben (DIN-Normen, VDE- und VDI-Richtlinien oder Unfallverhütungsvorschriften), die berücksichtigt werden müssen.

Zu den typischen Pflichten, die in der Regel der Verwalter ausführen oder überwachen muss gehören:

Winterdienst: Zugänge zum Haus und zu gemeinschaftlichen Einrichtungen (z. B. Müllplatz, Tiefgarage oder Fahrradabstellraum) müssen gefahrlos zugänglich sein. Wie häufig gestreut, geräumt oder ob zusätzliche Handlungen erforderlich sind (z. B. Schneefanggitter am Dach, Freiräumung angrenzender Straßen etc.) ist abhängig vom Einzelfall.

Laubdienst: Ähnliches gilt im Herbst. Feuchtes Laub birgt Rutschgefahren oder kann Stolperfallen verdecken. Es muss daher rechtzeitig beseitigt werden.

Die Lichtanlage: Ist im Treppenhaus die Lichtanlage defekt, muss sie umgehend repariert werden. Stürze wegen Sichtbeeinträchtigungen gehen auf Kosten des Verkehrssicherungspflichtigen. Grundsätzlich ist auf eine ausreichende Beleuchtung, insbesondere an unfallträchtigen Stellen, zu achten. Die Lichterintervallschaltung muss so eingestellt sein, dass niemand hilflos im Keller landet (OLG Zweibrücken, Az. 3 W 89/94).

Brandschutz: Für die gesamte Immobilie bzw. Wohnanlage inklusive der Außenflächen müssen die Feuerschutzrichtlinien eingehalten und kontrolliert werden. Die Überwachungspflicht kann z. B. das Anbringen von Feuerschutztüren im Keller umfassen oder die sichere Lagerung leicht brennbarer Materialien.

Heizungsanlagen: Heizungsinstallationen sind im vorgeschriebenen zeitlichem Abstand zu überprüfen und ggf. auszutauschen.

Baustellen: Befinden sich auf dem Grundstück Baustellen, so sind diese entsprechend abzusichern und mit Warn- bzw. Hinweisschildern zu versehen.

Aufzugsanlagen: Bei Aufzügen sind die Wartungsvorschriften und die gesetzlichen Vorgaben gemäß der Betriebssicherheitsverordnung einzuhalten.

Aus der Rechtsprechung

„Handelt es sich bei der Eingangstür um Gemeinschaftseigentum, so trifft die Verkehrssicherungspflicht im Rahmen einer WEG die Wohnungseigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter,“ AG Ludwigshafen, 2k C 39/12, 30.8.2012

„Delegiert der WEG-Verwalter die ihm übertragene Verkehrssicherungspflicht durch Abschluss eines Vertrages im Namen des Verbandes mit einem Hauswart oder Winterdienstunternehmen, so haftet er nicht über § 278 BGB für deren Fehler, die zu Verletzungen von Eigentümern führen (z. B. Glatteisunfall),“ AG Hannover, 480 C 297/12, 5.4.2012

„Denn die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten hat jedenfalls in dem für die Beschlusskompetenz maßgeblichen Innenverhältnis der Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG nicht der einzelne Eigentümer, sondern der Verband sicherzustellen …“ BGH V ZR 161/11, 9.3.2012

„Hat der Verwalter einen auch die Räum- und Streupflichten umfassenden Hausmeistervertrag mit einem Dritten nicht im Namen der Wohnungseigentümer, sondern im eigenen Namen abgeschlossen, so bedient er sich zur Erfüllung seiner Streupflicht des Dritten und haftet gemäß § 278 BGB für dessen Verschulden,“ OLG Karlsruhe 14. Zivilsenat, 14 U 107/07, 30.12.2008.

Fazit

Die Verkehrssicherungspflichten sind zahlreich. Ihre Beachtung gehört zur ordnungsmäßigen Verwaltung. Haftungsfälle lassen sich vermeiden, insbesondere wenn auf witterungsspezifische Gefahren wie Eis, Laub oder große Pfützen und auf die Besonderheiten der Anlage (z. B. viele Kinder, ältere Bewohner, Baustelle, Schwimmbad) Rücksicht genommen wird. Auch die Kontrolle von ausführenden Dienstleistern wie Hausmeister oder Sonderfachleuten darf nicht vernachlässigt werden.

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Vdiv, Redaktion

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