20.01.2023 Ausgabe: 1/23

Einen Riegel vorgeschoben

Die WEG-Novelle hat die Flut der Anfechtungen von Abrechnungsbeschlüssen eingedämmt. Geklagt wird aber immer noch.

Bis 30. November 2020 galt: „Über den Wirtschaftsplan, die Abrechnung und die Rechnungslegung des Verwalters beschließen die Wohnungseigentümer durch Stimmmehrheit." So stand es im alten §28 Abs. 5 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG a.F.) das zugleich aber elementare Fragen offenließ. Weder gab es den Inhalt der Abrechnung vor, noch deren Aufbau. Beides blieb über Jahrzehnte umstritten, und es entwickelte sich eine weit gefächerte Rechtsprechung rund um die Abrechnung.

Beispielhaft sei hier auf die Gerichtsentscheidungen zu der Frage verwiesen, worüber Eigentümer im Rahmen der Abrechnung denn eigentlich beschlossen haben. Das Meinungsspektrum reichte von der Auffassung, der Beschluss erstrecke sich auf die Feststellung der Einnahmen und Ausgaben, mithin dürfe eine Abrechnungsspitze nicht beschlossen werden (Amtsgericht (AG) München, Az. 483 C16880/15), bis zu der Ansicht, die Abrechnungsspitze sei nicht nur Teil des Beschlusses, sondern vielmehr sei dieser sogar nichtig, wenn die Abrechnungsspitze fehle (siehe Landgericht Dortmund, ZWE 2014, S. 365). Auch wenn der Bundesgerichtshof (BGH) hierzu später entschieden hat (BGH, Az. V ZR 189/16; V ZR 178/19-Abrechnungsspitze), blieb die Frage: Wenn schon nicht klar war, worüber der Beschluss gefasst wurde, wie sollte dann Klarheit über den Inhalt der Abrechnung bestehen, auf welche sich der Beschluss stützte?

Formalien als eigentliches Problem

Dabei erwiesen sich „Formalien“ der Abrechnung häufig als das eigentliche Problem. Unzählige Abrechnungsbeschlüsse wurden in gerichtlichen Anfechtungsprozessen gekippt, weil die Gesamtabrechnung nicht lediglich als Einnahmen-Ausgaben-Rechnung erstellt war, sondern Umbuchungen enthielt, fehlerhafte Anfangsbestände aufgenommen waren oder der Verwalter die Zuführungen zur Instandhaltungsrückstellung nicht korrekt ausgewiesen hatte. Selbst offensichtliche Tippfehler oder Zahlendreher bei der Angabe eines Kontostandes konnten ausreichen, um gegen den Beschluss erfolgreich vorzugehen.

Der Sinn vieler Verfahren blieb letztlich verborgen. Nicht selten bestand der prozessuale Erfolg darin, einen Abrechnungsbeschluss zu „kippen“ – woraufhin dieser dann zwar geändert, aber mit denselben Beträgen neu gefasst wurde. Bis auf den Umstand, dass der Kläger Recht bekam, änderte sich also für ihn faktisch nichts.

Das WEMoG zeigt Wirkung

Dies spielte bei den Erörterungen zur Änderung des § 28 WEG durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) eine große Rolle. Im Gesetz ist nun festgelegt, dass der „Abrechnungsbeschluss“ nur das Einfordern von Nachschüssen oder die Anpassung von Vorschüssen regelt. Ausschließlich auf Formalien aufgebauten Prozessen wurde damit ein Riegel vorgeschoben. Wirken sich Fehler in der Abrechnung mathematisch nicht auf die Abrechnungsspitzen aus, können sie auch nicht als Begründung für eine Anfechtungsklage gegen den Beschluss herhalten.

Nach nunmehr zwei Jahren praktischer Erfahrung mit dieser Norm lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die Änderung Wirkung zeigt. Natürlich gibt es noch immer Anfechtungsverfahren gegen Abrechnungsbeschlüsse, aber die Zahl scheint doch deutlich gesunken zu sein. Eine Verlagerung der inhaltlichen Diskussion ist ebenfalls festzustellen.

Zunächst gibt es noch immer Verfahren, in denen die Kläger die Gesetzesänderung schlichtweg ignorieren. Sie fechten Beschlüsse wegen vermeintlich unzureichender Darstellung der Sachgruppen oder fehlender Angabe von Bankkonten an. Ein richterlicher Hinweis auf die geänderte Rechtslage zum Beschlussinhalt und auf den Unterschied von Abrechnung und Vermögensbericht führt hier in der Regel zur Rücknahme der Klage.

Am Gesetz vorbei beschließen

Zugleich werden aber gänzlich neue Streitpunkte und Argumentationslinien Gegenstand von Prozessen. Teilweise ist dies darauf zurückzuführen, dass Verwalter ihrerseits die Gesetzesänderungen nicht reflektieren und ihre (veralteten) Beschlusstexte weiterhin verwenden. In nicht wenigen Wohnungseigentümergemeinschaften wird so nach wie vor „der Wirtschaftsplan genehmigt“ oder die „Jahresabrechnung beschlossen“. Ein Blick ins Gesetz zeigt, wo das Problem liegt: In beiden Fällen beschließen die Eigentümer nämlich letztlich am Gesetz vorbei. Nach § 28 Abs. 2 WEG beschließen die Eigentümer nicht über die Abrechnung, sondern über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Dies ist nicht nur sprachlich etwas anderes, sondern auch inhaltlich. Lässt ein Verwalter die Abrechnung „genehmigen“, so kann man ihm bei strenger Auslegung entgegenhalten, dass er mehr beschließen lässt, als das Gesetz vorgibt. Wenn er nicht nur Vor- und Nachschüsse beschließen lässt, sondern auch die Genehmigung der Abrechnung, lässt er sich also doch die Richtigkeit der Abrechnung durch Beschluss bestätigen?! Und wenn dem so ist, muss dann nicht auch wieder die Möglichkeit bestehen, die Abrechnung insgesamt auf Richtigkeit zu prüfen, selbst wenn diese die Abrechnungsspitze gar nicht betrifft?

Es geht sogar noch strenger: Besteht überhaupt eine Beschlusskompetenz, „die Abrechnung zu beschließen“? Bejaht wird dies vom AG Schöneberg, Az. 770 C 56/21, verneint vom AG Hamburg-Sankt Georg, Az. 980a C 29/21, wonach der Beschluss nichtig ist. Passt der Verwalter seinen Beschlusstext an das Gesetz an, stellt sich diese Frage freilich gar nicht erst.

Parallel dazu finden sich Prozesse, in denen es um die Erstellung oder Korrektur von Abrechnung und Vermögensbericht geht. Ein Fehler in der Abrechnung mag den Beschluss nicht berühren, hinnehmen müssen die Eigentümer ihn dennoch nicht. Es besteht sehr wohl ein Anspruch auf die Korrektur einer inhaltlich fehlerhaften Abrechnung. Ein Fehler in der Jahresabrechnung führt zum einklagbaren Anspruch der Eigentümergemeinschaft auf Nachbesserung. Bislang aber scheint die Neigung, diesen Anspruch auch gerichtlich zu verfolgen, nicht sehr ausgeprägt zu sein.

Schulz, Helge

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht sowie für Bau- und Architektenrecht ist in der Kanzlei Rechtsanwälte Wedler GbR tätig und Justiziar des VDIV Niedersachsen/Bremen e.V.
www.kanzleiwedler.de