08.03.2023 Ausgabe: 2/23

Endlich Urlaub?!

Überblick über ein für Arbeitgeber derzeit eher ungemütliches Thema 

Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer in Deutschland hat nach dem Bundesurlaubgesetz (BUrlG) einen Anspruch auf bezahlten Erhlungsurlaub - den gesetzlichen Mindesturlaub - und darüber hinaus meist weitere, arbeitsvertraglich zugesagte Urlaubstage. Mit dem Urlaub soll die Erholung und damit die Gesundheit der Beschäftigten sichergestellt werden.

Dieses insbesondere für Arbeitnehmer sensible Thema („Wieviel Urlaub steht mir zu und wie lange kann ich ihn noch nehmen?“) ist oft Anlass für Unstimmigkeiten im Arbeitsverhältnis, aber auch anlässlich seiner Beendigung. Der meist aufschlussreiche und „die Rechtsfindung erleichternde Blick ins Gesetz“ – so eine alte Juristenweisheit – hilft hier häufig nicht weitr, da das BUrlG nur wenige Paragrafen umfasst und längst nicht alle Fragen beantwortet, die sich vor allem in atypischen Konstellationen stellen. Als Folge davon ist das Urlaubsrecht dem stetigen Einfluss nationaler und europäischer Rechtsprechung unterworfen, die gerade in jüngster Zeit mehrere äußerst relevante Entscheidungen hervorgebracht hat. Hier soll es nun – nach einem kurzen Überblick über das Thema – um die neueste Rechtsprechung und deren Einfluss auf die gängige betrieblich Urlaubspraxis gehen.

Berechnung des Urlaubs

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der jährliche Mindesturlaub 24 Werktage, wobei jedoch zu beachten ist, dass das BUrlG von der zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch gängigen Sechstagewoche (Montag bis Samstag) ausgeht. Bei der heute üblichen Fünftagewoche erfolgt eine Umrechnung nach der von der Rechtsprechung dafür entwickelten „Wochenformel“:

Gesetzliche Urlaubstage pro Jahr (24)
gesetzliche Wochenarbeitstage x vertragliche Wochenarbeitstage

=   gesetzlicher M  indesturlaub pro Jahr

Demnach steht Beschäftigten mit einer Fünftagewoche ein Mindesturlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen zu. Die Formel kann auch in solchen Fällen angewendet werden, in denen regelmäßig weniger als fünf Tage gearbeitet wird. Außer Betracht bleibt allerdings der Umfang der täglichen Arbeitszeit, sodass ein Arbeitnehmer, auch wenn er etwa werktäglich lediglich eine Stunde arbeitet, nicht auf einen geringeren Urlaubsanspruch verwiesen werden kann.

Schwieriger wird es, wenn die wöchentliche Arbeitszeit zwar regelmäßig, aber nicht immer gleich verteilt ist, Beschäftigte also beispielsweise in einer Woche zwei Tage, in der darauffolgenden Woche vier Tage und in der übernächsten sechs Tage arbeiten. Solange daraus ein gewisser Rhythmus abgeleitet werden kann (hier: drei Wochen), erfolgt die Berechnung unter Berücksichtigung dieses Zeitraums. Die Zahl der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitstage beträgt im genannten Fall vier Tage, woraus sich ein gesetzlicher Urlaubsanspruch von 16 Arbeitstagen ergibt.

Für kompliziertere Gestaltungen wie den Wechsel von Voll- auf Teilzeit bzw. umgekehrt oder bei Arbeit auf Abruf empfiehlt es sich,die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelte „Jahresformel“ heranzuziehen, wobei das BAG für die Anzahl möglicher Arbeitstage für die Sechstagewoche von 312 und für die Fünftagewoche von 260 Arbeitstagen ausgeht:

Urlaubstage pro Jahr (24 oder 20)
Tage mit Arbeitspficht x Anzahl Werktage im Jahr (312 oder 260)

=   gesetzlicher M  indesturlaub pro Jahr

Steht Arbeitnehmern vertraglicher Mehrurlaub zu, ist dies bei der Be- und Umrechnung zu berücksichtigen. In vielen Fällen wird es notwendig sein, den Urlaubsanspruch im laufenden Kalenderjahr – gegebenenfalls auch mehrfach – abschnittsweise neu zu berechnen. Tage, an denen Beschäftigte wegen Krankheit oder vorübergehender Verhinderung nicht gearbeitet haben, und auch gesetzliche Feiertage dürfen nicht heraus gerechnet werden.

Kürzung des Urlaubsanspruchs

Eine Kürzung des Urlaubs ist bislang nur in Einzelfällen gesetzlich vorgesehen. So bestimmt etwa § 17 Abs. 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG), dass Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der Arbeitnehmern im Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen können. Anders sieht das wiederum bei schwangeren Mitarbeiterinnen aus oder wenn sie gerade erst Mutter geworden sind. Für sie bestimmt § 24 Mutterschutzgesetz (MuSchG), dass die Ausfallzeiten wegen des Beschäftigungsverbots als Beschäftigungszeiten gelten. 

Strittig war bis vor Kurzem, ob eine Kürzung auch im Falle von unbezahltem Sonderurlaub (z. B. Sabbatical) oder für Zeiten von „Kurzarbeit null“ möglich ist. Grundsätzlich gilt nämlich, dass nicht einseitig gekürzt werden kann. In seiner neueren für die Entstehung des Urlaubsanspruchs allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung ist und der  Urlaubsanspruch vom Arbeitgeber nicht einseitig gekürzt werden kann. In seiner neueren Rechtsprechung vertritt das BAG nunmehr aber ausdrücklich den Standpunkt, dass zwischen der Verpflichtung zu Arbeitsleistung und dem Erholungsbedürfnis, zu dessen Befriedigung der Urlaub ja gerade dient, ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Für Arbeitstage, die infolge eines unbezahlten Sonderurlaubs oder von „Kurzarbeit null“ entfallen, erwirbt der Arbeitnehmer demnach zwar grundsätzlich einen Urlaubsanspruch, allerdings in Höhe von null Urlaubstagen.

Bei einer unterjährigen Neuberechnung des Jahresurlaubs mit der Jahresformel sind also die Tage, an denen wegen Sonderurlaubs oder Kurzarbeit nicht gearbeitet wurde, bei der Position „Tage mit Arbeitspflicht“ in Abzug zu bringen, was zu einem geringeren Urlaubsanspruch führt.

Berechnung des Urlaubgelds

Nach § 11 BUrlG bemisst sich das Urlaubsentgeld nach dem durchschnittlichen Lohn, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme erhaltener Überstundenvergütung. Das tägliche Urlaubsentgelt berechnet sich nach dem Geldwert und der Anzahl der am konkreten Urlaubstag ausgefallenen Stunden, d. h. Arbeitgeber haben die ausgefallene Arbeitszeit zu bezahlen, die ein Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wäre er an diesen Tagen nicht von seiner Arbeitspflicht befreit worden.

In der Regel bedeutet dies, dass Arbeitnehmern ihr laufendes Gehalt einfach fortgezahlt werden muss. Komplizierter wird es, wenn sich das Gehalt sowohl aus festen als auch aus variablen Lohnbestandteilen zusammensetzt (z. B. Provisionen/Tantiemen). Diese sind regelmäßig als Teil des gewöhnlichen Arbeitsverdienstes bei der Bemessung des Urlaubsentgelts zu berücksichtigen.

Weihnachtsgelder, Gratifikationen und andere Zuwendungen, die ein- oder zweimal im Jahr gezahlt werden, sind zwar Entgelt, jedoch nicht allein Gegenleistung für die erbrachte Arbeit und bleiben unbeachtet. Gleiches gilt für Gehaltsbestandteile, die ausschließlich und nur gelegentlich anfallende Kosten oder Nebenkosten (z. B. Fahrgelder) decken sollen.

Verfall nur bei Mitwirkung des Arbeitgebers

Urlaubsansprüche können verfallen. Ausgangspunkt hierfür ist § 7 Abs. 3 BUrlG, wonach der gesetzliche Mindesturlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung auf das folgende Jahr – wo er dann wiederum bis zum 15. März genommen werden muss – ist nur im Falle dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe statthaft.

Schon seit längerer Zeit wird von der Rechtsprechung davon in solchen Fällen eine Ausnahme gemacht, in denen der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist und deshalb den (Rest-)Urlaub nicht nehmen konnte. Allerdings soll ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen verhindert werden. Mithin verfallen Urlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraumes von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme des Urlaubs gehindert war. Sie erlöschen dann aber mit Ablauf des 31. März des übernächsten Jahres.

Ob diese Verfallsfristen (und das gilt auch für die Verjährung!) überhaupt zur Anwendung kommen, ist nach neuerer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des BAG aber davon abhängig, dass Arbeitnehmer vom Arbeitgeber tatsächlich in die Lage versetzt wurden, den Urlaub auch zu nehmen. Arbeitgeber sind demnach zur Mitwirkung an der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs verpflichtet.Sie haben Mitarbeiter eigeninitiativ und rechtzeitig über den konkreten Umfang des restlichen Urlaubsanspruchs zu informieren, sie – gegebenenfalls förmlich – dazu aufzufordern, den Urlaub vor Ablauf des Kalenderjahres zu nehmen und mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er nicht beantragt wird. 

Dies gilt auch im Falle langzeiterkrankter Arbeitnehmer. Der gesetzliche Urlaubsanspruch solcher Arbeitnehmer aus dem Jahr, in dem sie zunächst gearbeitet haben und Urlaub hätten nehmen können, dies aufgrund des Eintritts der Langzeiterkrankung oder Erwerbsminderung aber nicht mehr möglich war, verfällt mithin nicht 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, wenn nicht der Arbeitgeber betroffene Mitarbeiter in die Lage versetzt hat, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist also nun zwischen Urlaubsansprüchen aus dem Jahr, in dem noch (teilweise) gearbeitet wurde, und solchen, die erst während der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, zu unterscheiden. Während letztere weiterhin automatisch verfallen, bedarf es bei ersteren nun der Mitwirkung des Arbeitgebers.

Fazit

Arbeitgeber haben sich auf die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an den Verfall von Urlaubsansprüchen einzustellen und ein zuverlässiges System zu entwickeln, mit dem die rechtzeitige Information über bestehende Urlaubsansprüche und die Bitte um Inanspruchnahme bis Jahresende gewährleistet werden kann. Erste Weichen können schon bei der Formulierung des Arbeitsvertrags richtig gestellt werden, indem dort ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub unterschieden wird. Da sich die Rechtsprechung nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub bezieht, kann etwa arbeitsvertraglich vereinbart werden, dass der vertragliche Mehrurlaub auch ohne entsprechen-den Hinweis oder bei Langzeiterkrankungen in jedem Fall am Jahresende verfällt.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de