26.05.2023 Ausgabe: 4/23

Entgelttransparenz und Endgeltgleichheit

Eine echte Chance, die Gender-Pay-Gap zu schließen, oder das Ende der freien Gehaltsverhandlung?

In Deutschland erhalten Frauen, so ist jedenfalls der Presse zu entnehmen, im Durchschnitt 18 Prozent weniger Gehalt als Männer. Als Ursache dieser „unberei-nigten Lohnlücke“ gelten nach allgemeiner Auffassung strukturelle Faktoren und erwerbsbiografische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So arbeiten Frauen häufiger als Männer in sozialen Berufen wie der Kinder- und Altenpflege, in denen die Vergütung geringer ist und weniger Aufstiegs­chancen bestehen. Hinzu kommt eine deutlich höhere Quote an Teilzeitbeschäftigungen, u. a. wegen der (immer noch) mehrheitlich von Frauen übernommenen Kindererziehung.

Frauen verdienen im Durchschnitt aber auch dann noch we­niger als ihre männlichen Kollegen, wenn sie in den gleichen Berufen und Branchen angestellt sind, in der gleichen Region arbeiten und auch Alter, Ausbildung sowie Berufserfahrung vergleichbar sind. Laut Statistischem Bundesamt beträgt der Unterschied der sogenannten „bereinigten Lohnlücke“ derzeit rund sieben Prozent.

Um derartigen Benachteiligungen in der Bezahlung – all­gemein bekannt als „Gender-Pay-Gap“ – entgegenzuwirken, wurde im Jahr 2017 der eigentlich selbstverständ­liche Grundsatz, dass Männer und Frauen bei glei­cher oder gleichwertiger Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten, mit dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) gesetzlich normiert. Lange Zeit stand es als zu wirkungslos in der Kritik. Mehrere Urteile in jüngster Vergangenheit lassen aber aufhorchen und zeigen, dass das u. a. als „zahnloser Tiger“ bezeich­nete Gesetz durchaus in der Lage ist, empfindliche Prankenhiebe auszuteilen. Dieser Beitrag soll hierzu einen Überblick geben.

Das Gebot der gleichen Bezahlung

Zentrale Vorschriften zur Herstellung von Entgelt-gleichheit machen die §§ 3, 7 und 8 EntgTranspG. Nach § 3 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleich­wertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile verboten. In § 7 EntgTranspG ist geregelt, dass bei Beschäftigungsverhältnissen für gleiche oder gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.

Um „gleiche Arbeit“ handelt es sich, wenn Arbeitnehmer zur gleichen Zeit an verschiedenen oder nacheinander an den­selben Arbeitsplätzen identische oder gleichartige Tätigkeiten ausüben. Schwieriger ist die für jeden Einzelfall gesondert vorzunehmende Beurteilung, ob eine Arbeit gegenüber einer anderen „gleichwertig“ ist, wobei insbesondere die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedin­gungen zu berücksichtigen sind. Die Vergleichstätigkeit muss nach objektiven Maßstäben also denselben Arbeitswert haben. 

Eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung liegt dann vor, wenn einem Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts, der eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausübt, allein aufgrund seines Geschlechts mehr gezahlt wird. Als mittelbar benachtei­ligend gelten dagegen solche Regelungen, Kriterien oder Ver­fahren, die zwar auf den ersten Blick nicht an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht anknüpfen, tatsächlich aber eine Schlechterstellung von Beschäftigten des einen gegenüber solchen des anderen Geschlechts beim Entgelt bewirken können (z. B. wenn nur die Teilzeitbeschäftigten eines Betriebs kein Weihnachtsgeld erhalten und zu dieser Gruppe überwiegend Frauen gehören). Liegt eine Entgeltbenachteiligung vor, können Betroffene eine Gehaltsanpassung verlangen.

Der Auskunftsanspruch

Eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung liegt dann vor, wenn einem Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts, der eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausübt, allein aufgrund seines Geschlechts mehr gezahlt wird. Als mittelbar benachtei­ligend gelten dagegen solche Regelungen, Kriterien oder Ver­fahren, die zwar auf den ersten Blick nicht an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht anknüpfen, tatsächlich aber eine Schlechterstellung von Beschäftigten des einen gegenüber solchen des anderen Geschlechts beim Entgelt bewirken können (z. B. wenn nur die Teilzeitbeschäftigten eines Betriebs kein Weihnachtsgeld erhalten und zu dieser Gruppe überwiegend Frauen gehören). Liegt eine Entgeltbenachteiligung vor, können Betroffene eine Gehaltsanpassung verlangen.

Arbeitnehmer müssen dazu die ihrer Meinung nach gleiche oder gleichwertige Tätigkeit und ggf. die sie Ausübenden mög­lichst konkret nennen. Der Arbeitgeber bzw. der Betriebsrat muss dann über die Kriterien und Verfahren der Entgeltbe-messung Auskunft geben, das gemittelte Vergleichsentgelt, d. h. das Grundgehalt sowie alle sonstigen Vergütungsbestand­teile, offenlegen und mitteilen, inwiefern die zum Vergleich herangezogene Tätigkeit überwiegend von Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird. Hält der Arbeitgeber die genannte Tätigkeit für nicht ver­gleichbar, hat er dies nachvollziehbar zu begründen und seine Auskunft auf eine seines Erachtens gleiche oder gleichwertige Tätigkeit zu beziehen.

Stellt sich nach erteilter Auskunft des Arbeitgebers heraus, dass der Auskunftssuchende tatsächlich „unterbezahlt“ ist, ist das Vorliegen einer geschlechtsbedingten Benachtei­ligung dadurch allein noch nicht bewiesen. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst in mehreren Urteilen entschieden, dass schon der Umstand, dass das Entgelt einer Frau geringer ist als das ihrer männlichen Kollegen, regelmäßig die Vermutung begründet, die Entgeltbenachteiligung be­stehe „wegen des Geschlechts“. Der Arbeitgeber muss dann Tatsachen vortragen und ggf. belegen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Der Auskunftsanspruch kann sich für Beschäftigte als un­überwindbar hohe Hürde erweisen: Zum einen besteht er nur für Beschäftigte in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Angestellten und ist somit zumindest in kleinen Unternehmen nicht gegeben. Zum anderen muss das Vergleichsentgelt nicht offengelegt werden, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten ausgeübt wird, was häufig der Fall sein dürfte.

Rechtfertigung ungleicher Entlohnung

Selbst wenn eine Lohnungleichheit festgestellt wurde, können im Einzelfall und wenn sie sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegt, rechtfertigende Gründe vorliegen. Das Gesetz nennt hierfür beispielhaft arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeits-ergebnisbezogene Kriterien, für die der Arbeitgeber aber darlegungs- und beweispflichtig ist. Zulässig ist es somit, bei einem Mangel an Fachkräften das angebotene Gehalt zu erhöhen, um potenziellen Bewerbern einen Anreiz zu bieten. Auch die Bereitschaft, die Arbeitsleistung zeitlich oder räumlich flexibel zu erbringen – was für Frauen oft schwierig ist, solange sie statistisch betrachtet deutlich häufiger die Kinderbetreuung übernehmen – kann honoriert werden, wenn dies für die Ausführung der übertragenen Aufga­ben von Bedeutung ist. Schließlich rechtfertigen belegbare Unterschiede in der Arbeitsqualität oder der Arbeitsleistung regelmäßig eine unterschiedliche Bezahlung bei im Übrigen gleicher oder gleichwertiger Arbeit. 

Nach Entscheidung des BAG vom 16. Februar 2023 reicht es als Rechtfertigung für eine ungleiche Entlohnung aber nicht allein aus, wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft, die höhere Bezahlung des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe.

Entgeltgleichheit abseits des EntgTanspG

Dass das Recht, Auskunft über das an vergleichbare Kollegen gezahlte Gehalt sowie ggf. eine Gehaltsanpassung zu ver­langen, nicht notwendigerweise auf die Vorschriften des EntgTranspG beschränkt ist und unabhängig vom jeweiligen Geschlecht auch in kleineren Betrieben gilt, zeigt das Urteil des BAG vom 12. Oktober 2022: Dort hatte ein als leitende Führungskraft beschäftigter Arbeitnehmer, der wohl per Flurfunk erfahren hatte, dass im Unterschied zu ihm 13 seiner männlichen Kollegen – allesamt ebenfalls leitende Führungs­kräfte – in den letzten Jahren mehrere Gehaltserhöhungen erhalten hatten, auf Auskunft und Gehaltsanpassung geklagt.

Das BAG entschied, dass nach dem sogenannten arbeits­rechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer unzulässig ist, was – trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit – auch für die Gehaltszahlung gilt, sofern diese durch eine betriebliche Entscheidung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen und Zwecke festlegt.

Zur Durchsetzung des Rechts auf Gleichbehandlung kommt dem BAG zufolge ein auf die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ge­stützter Auskunftsanspruch in Betracht, wenn 1. zwischen den Parteien eine besondere rechtliche Beziehung besteht, 2. ein (Zahlungs-)Anspruch wahrscheinlich gegeben ist, 3. der Arbeitnehmer entschuldbar in Unkenntnis über Bestehen und Umfang seiner Rechte ist, 4. die Auskunft vom Arbeit­geber unschwer gegeben werden kann und 5. dadurch die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden.

Für das BAG waren alle Voraussetzungen erfüllt: Das Arbeits­verhältnis stelle die erforderliche besondere rechtliche Beziehung dar. Auch bestehe zumindest die Wahrscheinlichkeit eines An­spruchs auf Gehaltserhöhung. Zwar liege die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz prinzipiell beim anspruchstellenden Arbeitnehmer. Da vom Kläger aber 13 gleichartige Kollegen genannt wurden, die nach seinem Kenntnisstand mehr ver­dienen würden als er, hätte es der Arbeitgeberin oblegen, den Behauptungen des Klägers zur Gruppenbildung substanziiert entgegenzutreten und darzulegen, wie groß der von ihr be­günstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der Kläger nicht dazugehöre. Schließlich sei der Kläger auch in einer entschuldbaren Un­gewissheit über Bestehen und Umfang seiner Rechte, weil er keine genaue Kenntnis von den gewährten Gehaltssteigerungen hatte und haben konnte.

Fazit

Es befremdet, dass das BAG bei der Entlohnung Geschlechter-neutralität anstrebt, sich dabei selbst aber geschlechtsbezogener Stereotype bedient. Anders lässt sich die Entscheidung vom 16. Februar 2023, Verhandlungsgeschick allein rechtfertige keine unterschiedliche Bezahlung, nicht erklären. Das BAG geht offensichtlich davon aus, dass es „typisch Frau“ sei, in Gehalts­verhandlungen die eigenen Vorstellungen nicht durchsetzen zu können.

Letztlich wird durch das EntgTranspG bzw. die strikte Umsetzung desselbigen ein „Tarifrecht durch die Hintertür“ geschaffen, das Arbeitgeber quasi dazu nötigt, ihre Belegschaft in ein von ihnen geschaffenes Entgeltschema einzureihen, auch wenn es ein solches zunächst gar nicht gegeben hat.

In Anbetracht des wachsenden Bewusstseins von Beschäftigten über die (rechtlichen) Möglichkeiten eines Gehaltsanpassungs-verlangens – sei es aufgrund des EntgTranspG, sei es nach den Grundsätzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-satzes – müssen sich Arbeitgeber auf diese Gegebenheiten einstellen. Dazu gehört primär die Schaffung transparenter Entgeltstrukturen und die sorgfältige Dokumentation von (zu­lässigen) Gründen, sollte es doch einmal zu einer Entgeltun-gleichheit kommen.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de