14.10.2021 Ausgabe: 6/2021

Es bleibt vorerst dabei - Nach dem EuGH-Urteil zur umsatzsteuerlichen Behandlungen von Eigentümergemeinschaften besteht vorerst kein Handlungsbedarf.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Az. C 449/19) verstößt der Befreiungstatbestand nach § 4 Nr. 13 Umsatzsteuergesetz (UStG) für Wärmelieferungen einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) an die Miteigentümer gegen Art. 135 Abs. 1 Buchst. 1 der europäischen Richtlinie für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (2006/112/EU). Berichtet wurde darüber in vdivaktuell 3/21, S. 10ff. Nach unterschiedlichen Bewertungen einiger Autoren herrscht bei Eigentümergemeinschaften und Verwaltungen Verunsicherung darüber, ob und inwiefern das Urteil in sofortiger Konsequenz zu einer generellen Unanwendbarkeit der Befreiungsvorschrift in § 4 Nr. 13 UStG führt und somit vorrangig zu berücksichtigen ist.

Deutsches Umsatzsteuergesetz gilt bis auf Weiteres.
Aufgrund fehlender unmittelbarer Auswirkungen der EuGH-Entscheidung gilt im Grundsatz, dass die Finanzverwaltungen bzw. -ämter in Deutschland so lange an die Vorgaben des geltenden deutschen Rechts gebunden sind, bis veränderte Verwaltungsanweisungen des zuständigen Bundesfinanzministeriums erlassen werden. Im aktuellen Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) 2021 sind die hier zur Diskussion stehenden Wärmelieferleistungen und damit auch alle anderen in Abschnitt 4.13.1 Abs. 2 UStAE genannten sonstigen Leistungen von WEG an Mitglieder weiterhin als steuerfreie Leistungen aufgeführt. Solange also § 4 Nr. 13 im UStG enthalten ist, wird kein Finanzamt die Umsetzung des EuGH-Urteils verlangen, sodass Verwaltungen nicht damit rechnen müssen, zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung für WEG aufgefordert zu werden.

WEG können Vorsteuerabzug fordern.
Umgekehrt aber können alle Steuerpflichtigen verlangen, eine steuerliche Behandlung der WEG-Leistungen an die Miteigentümer nach den Vorgaben des EuGH vorzunehmen, sofern dies in Ausnahmefällen wirtschaftlich günstiger sein sollte. Bei größeren Investitionen für Wärmelieferungen (z. B. aus Blockheizkraftwerk, Solar- oder Heizungsanlage) steht es WEG also grundsätzlich frei, unter Berufung auf das Unionsrecht einen Vorsteuerabzug (auch) rückwirkend geltend zu machen, soweit dies wirtschaftlich sinnvoll erscheint. In solchen Fallkonstellationen ist die Umsatzsteuer aus Eingangsumsätzen als Vorsteuer abzugsfähig und kann zu teils erheblichen Erstattungsbeträgen durch die Finanzverwaltung führen. Zu berücksichtigen ist bei einer rückwirkenden Geltendmachung gegenüber dem Finanzamt die sogenannte Festsetzungsverjährung. Verwaltungen sollten betroffenen WEG einen entsprechenden Hinweis geben und empfehlen, eine steuerrechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung einzuholen.

Welche Gesetzesänderungen ­möglich wären
Um kein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU-Kommission zu riskieren, ist der nationale Gesetzgeber grundsätzlich dazu angehalten, eine Änderung bzw. Anpassung der betroffenen Norm vorzunehmen. In der Vergangenheit gesprochene EuGH-Urteile zeigen jedoch, dass nicht zwingend jede EuGH-Entscheidung zu einer umgehenden Anpassung bzw. Änderung des nationalen Rechts führte bzw. dass keine zeitlichen Vorgaben dafür existieren. Ein Beispiel ist das EuGH-Urteil vom 16.4 2015 in Sachen Wojskowa (ECLI:EU:C:2015:229 = NZM 2015, 529), wonach laut EuGH die Lieferung von Wasser, Elektrizität und Wärme sowie die Abfall­entsorgung nicht unter die steuerbefreiten Vermietungsleistungen im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) fallen, das deutsche Gesetz bisher jedoch nicht entsprechend geändert wurde.

Es sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, wie der Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH-Urteils in deutsches Recht umsetzt: Er könnte sich gezwungen sehen, § 4 Nr. 13 UStG gänzlich zu streichen, WEG jedoch weiterhin als Unternehmer im Sinne des UStG anzusehen. Dies hätte zur Folge, dass einige WEG-Leistungen umsatzsteuerpflichtig werden und WEG zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Wegen der Weiterberechnung an die einzelnen Miteigentümer würden damit die Kosten für alle Leistungen, für die der WEG kein Vorsteuerabzug zusteht, also z. B. für den angestellten Hausmeister, für Abwasser- und Müllgebühren etc., um die Höhe der Umsatzsteuer steigen. Auf Verwaltungsunternehmen und Eigentümer käme ein nicht unerheblicher Mehraufwand zu. Digital aufgestellte Verwaltungen haben hier Vorteile: Eingangsrechnungen können heute mithilfe eines Scan-Erkennungsprogramms zum einen direkt der jeweiligen WEG zugeordnet werden, zum anderen überprüft ein solches Programm, ob die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 – 9 UStG erfüllt sind. Klar ist aber, dass dann Umsatzsteuererklärungen beim Finanzamt eingereicht werden müssen.

Ebenfalls denkbar wäre es, dass § 4 Nr. 13 UStG vom deutschen Gesetzgeber zwar gestrichen wird, aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH aber die WEG nicht mehr als Unternehmer im Sinne des UStG angesehen wird.

Und schließlich könnten nach einer Streichung des § 4 Nr. 13 UStG die WEG und ihre Eigentümer zu einer Mehrwertsteuergruppe i. S. d. Art. 11 der europäischen Richtlinie zusammengefasst werden. Auf Art. 11 hatte der EuGH in seinem Urteil bereits hingewiesen. Danach kann jeder Mitgliedsstaat nach Konsultation des in der Richtlinie genannten Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (Art. 398 MwStSystRL) in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln. Würden die WEG und ihre Eigentümer zu einer Mehrwertsteuergruppe zusammengefasst, dann lägen zwischen der WEG und ihren Wohnungseigentümern nur nicht steuerbare Innen­umsätze vor.

Bundesfinanzministerium: kein unmittelbarer Handlungsbedarf
Aufgrund der Brisanz des Themas hatte sich der VDIV Deutschland sehr frühzeitig mit einem Schreiben an das Bundesfinanzministerium (BMF) gewandt, um Hinweise und Informationen zu erhalten, ob und wie sich eine grundlegende Änderung der Befreiungsvorschriften des § 4 Nr. 13 UStG abzeichnet. Das BMF teilte in einem Antwortschreiben zwischenzeitlich mit: „Die Auswirkungen des EuGH-Urteils sowie des noch anstehenden Folgeurteils des Finanzgerichts Baden-Württemberg werden zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zu gegebener Zeit geprüft. In welchem Umfang eine Änderung der – auch nach Ergehen des EuGH-Urteils unverändert fortbestehenden deutschen Rechtslage betreffend § 4 Nr. 13 UStG zu erfolgen hat, ist zurzeit noch nicht absehbar.“

Fazit
Es bleibt zunächst offen, ob und wann der Gesetzgeber Anpassungen der nationalen Steuergesetzgebung vornimmt. Vor dem Hintergrund, dass die derzeit geltende Rechtslage bestehen bleibt und § 4 Nr. 13 UStG weiter Bestandteil des UStG ist, besteht für Unternehmen und von ihnen verwaltete Wohnungseigentümergemeinschaften bei der umsatzsteuerlichen Behandlung kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Auch ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass sämtliche mit der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 13 UStG verbundenen Tatbestände aufgehoben werden, insbesondere nicht dort, wo dies im Ergebnis zu einer Mehrbelastung für Wohnungseigentümer und Mieter sowie zu einem erheblichen Mehraufwand für Verwaltungen und Finanzbehörden führen würde. Verwaltungen können jedoch in der Gemeinschaft beschließen lassen, ob sie in dieser Frage für die WEG tätig werden oder lediglich die bestehende Rechtslage anwenden sollen.

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VDIV Aktuell Autor - Martin Kaßler
Kaßler, Martin

Geschäftsführer 
Verband der Immobilienverwalter Deutschland e. V.