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Bauen ist heute kompliziert, aufwändig und so teuer wie nie: Neben steigenden Bodenpreisen, einer sprunghaft angestiegenen Teuerungsrate sowie krisenbedingten Kostensteigerungen bei Material, Entsorgung und Energie sind auch immer mehr Regeln, Normen und Standards wesentliche Kostentreiber am Bau. Mehr als 3.700 Normen sind heute für das Bauen in Deutschland relevant. Soweit es sich um „anerkannte Regeln der Technik“ handelt, definieren sie die erwartbaren Mindestanforderungen und sind so Voraussetzung für ein mangelfreies Bauwerk. Ein Großteil der Regelungen dient dabei aber nicht der Sicherheit am Bau selbst und muss deshalb zu Recht hinterfragt werden. Zu betrachten ist normenbedingt eine Neubauroutine, die eine qualitätsarme Gleichförmigkeit bei Einhaltung höchster Standards erreicht hat. Ein Zustand, dem jegliche Innovationskraft für neue Denkräume fehlt. Als besonders hinderlich zeigt sich diese Routine, wenn Bauherren und Planende beim klimaneutralen Bauen neue experimentelle Wege beschreiten möchten. Nachhaltig zu bauen bedeutet, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, suffizient und qualitätsorientiert zu bauen und Überflüssiges wegzulassen. Nur so bleibt das Bauen zukunftsfähig.
Auf Initiative der Bayerischen Architektenkammer ist der Gebäudetyp-e entwickelt worden. Mittels dieses Labels soll es ermöglicht werden, nachhaltige Gebäude durch innovative und individuelle Planung einfach und zu bezahlbaren Kosten zu bauen. Der Gebäudetyp-e soll der fachkundigen Bauherrschaft und ihren Planenden einen Weg weisen, die beim Bauen einzuhaltenden Regelungen auf ein unverzichtbares Minimum zu reduzieren. Nicht verhandelbar, da zwingend erforderlich, wären dabei die geltenden Schutzziele der Bayerischen Bauordnung (BayBO) wie Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz. Bauwillige erhielten so die Chance, die aus ihrer Sicht für das konkrete Projekt notwendigen Standards gemeinsam mit den Planenden festzulegen und damit auch den Spielraum, die notwendigen Abwägungs-prozesse selbstbestimmt zu gestalten.
Zahlreiche Expertinnen und Experten unterstützen landes-und bundesweit die Initiative eines Gebäudetyps-e. So fand u. a. ein Fachgespräch im Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr des Bayerischen Landtags statt, in dem sich alle Fraktionen dafür aussprachen, die für die Einführung notwendigen Gesetzesänderungen voranzutreiben. Die Expertenanhörung im Landtag im Juni 2022 führte dazu, dass sich das Bauministerium zu einer weiteren Novelle der Bauordnung entschloss. Die nun am 1. August 2023 in Kraft getretene Änderung der BayBO mit der Umwandlung des Art. 63 Abs. 1 S. 1 von einer Kann- in eine Soll-Vorschrift sehen wir als ersten Schritt zur Umsetzung der Ziele des Gebäudetyps-e. Damit wird das Instrument der Abweichung gestärkt und es Bauherren und Entwurfsverfassern ermöglicht, experimentelle Vorhaben zu realisieren und innovative Lösungen nach den Erfordernissen des Einzelfalls zu verfolgen, solange diese den Schutzzielen der Bauordnung entsprechen.
Flankiert wird diese Gesetzesänderung des Bauministeriums durch den interfraktionellen Beschluss des Bayerischen Landtags vom 7. März 2023, zur Einführung des Gebäudetyps-e in allen Regierungsbezirken Bayerns Modellprojekte auf den Weg zu bringen. Hierzu hat eine Projektgruppe des Ministeriums gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft und den beiden beteiligten Kammern (Bayerische Architektenkammer und Bayerische Ingenieure kammer-Bau) Eckpunkte für die Ausschreibung erarbeitet. Die Modellvorhaben werden sehr offen angelegt und sollen sowohl Neubauten als auch Bestandsbauten beinhalten. Ziel ist es auch, dass Mischnutzungen, also Gewerbe und Wohnen, eingereicht werden können. Gerade im Bestandsbau kann dem Gebäudetyp-e hier eine zentrale Rolle zukommen. Es ist evident, dass heute aktuelle Normen und Standards nur mit hohem baulichen Aufwand erreicht werden können und damit Kostentreiber sind.
Um den Gebäudetyp-e letztlich in der Praxis auch rechtssicher umsetzen zu können, ist neben der geplanten Änderung der BayBO zusätzlich auf Bundesebene eine zivilrechtliche Öffnungsklausel zu schaffen, die es ermöglicht, abweichend von den geltenden anerkannten Regeln der Technik den Gebäudetyp-e als Beschaffenheit im Werkvertrag zu vereinbaren. Das Bauordnungsrecht ist jedoch nur eine Ebene. Auch im Zivilrecht ist eine Anpassung notwendig. Hierzu bedarf es im Bürgerlichen Gesetzbuch einer Regelung, wonach ein planender Architekt sich mit seinen Bauherren darauf verständigen kann, dass ein Bauvorhaben, welches bauordnungsrechtlich mangelfrei ist, auch im Sinne des Zivilrechts mangelfrei ist. Auch dieses Anliegen ist von der Politik aufgegriffen worden. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder begrüßen in ihrem Beschluss im Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz vom 25. und 26. Mai 2023 die Initiative Gebäudetyp-e. Die Einführung eines Gebäudetyps-e im Bauordnungsrecht soll neue Möglichkeiten eröffnen, die Errichtung von Gebäuden durch innovative und individuelle Planung nachhaltig, ressourcenschonend und kostengünstig zu gestalten, indem von nicht zwingend notwendigen technischen Normen abgewichen werden kann. Die Justizministerinnen und Justizminister haben darüber hinaus den Bundesminister der Justiz gebeten, zu prüfen, welche zivilrechtlichen Regelungen zur Unterstützung der Einführung eines bauordnungsrechtlichen Gebäudetyps-e geboten sind und gegebenenfalls zeitnah einen entsprechenden Regelungsvorschlag vorzulegen, der den schutzwürdigen Interessen aller Baubeteiligten sowie Drittbetroffenen Rechnung trägt. Der Gebäudetyp-e ist also auf einem guten Weg!