03.03.2015 Ausgabe: 2/2015

Geschlossene Gesellschaft? – Ja, aber …!

Für Eigentümerversammlungen gilt der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Der ist allerdings ungeschrieben. Daher stellt sich die Frage, ob er ausnahmslos auch im Wohnungseigentumsrecht gelten muss.

Bisher so gut wie unbestritten, soll der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz auch für und in Wohnungseigentümerversammlungen gelten, selbst wenn das Gesetz zu dieser Formfrage jedenfalls unmittelbar schweigt. Begründet wird die herrschende Meinung übereinstimmend ganz allgemein zum einen damit, sachfremde Einflüsse von den Eigentümern fernzuhalten, einen ungestörten Versammlungsablauf und insbesondere ordnungsgemäße Beschlussfassungen sicherzustellen sowie einer möglichen Verbreitung interner Gemeinschaftsangelegenheiten nach außen vorzubeugen. Zum andern sollen auch die Schutzinteressen der einzelnen Eigentümer an unbeeinflusster und unbefangener Meinungsbildung und Stimmrechtsausübung die strikte Beachtung dieses Grundsatzes gebieten. Zu fragen ist allerdings, ob dieses übergeordnete Gebot auch im Wohnungseigentumsrecht stets ausnahmslos gelten muss, bzw. ob und wie sich eine etwaige Verletzung oder Missachtung dieses Grundsatzes auf die formelle Gültigkeit gefasster Beschlüsse auswirken könnte oder sogar müsste.

Die Pflicht des Versammlungsleiters vor Eintritt in die Tagesordnung

Zunächst sollte jeder Versammlungsleiter respektive Verwalter noch vor endgültiger Beschlussfähigkeitsfeststellung und Eröffnung der Versammlung über die von ihm organisierte Einlasskontrolle eigentlich Kenntnis erlangt haben, ob sich berechtigter- oder unberechtigterweise Fremdpersonen im Versammlungsraum befinden. Ist dies der Fall, hat er tunlichst die Anwesenden unverzüglich hiervon zu unterrichten. Unterlassene Aufklärung kann ihn ggf. in eine Haftungssituation bringen. Anstöße und Rügen können ihm überdies auch aus dem Eigentümerkreis zugetragen werden. Ob ohne entsprechende Information ein Schweigen der Gemeinschaft als willentlich-schlüssige, generelle Zustimmung bzw. als endgültiger Rügeverzicht gewertet werden kann, ist sicher zu verneinen. Ohne Kenntnis kann es keinerlei positive oder negative Willensunterstellung auf Eigentümerseite geben.

Geschäftsordnungsbeschlussfassung nach erfolgter Interessenabwägung im Einzelfall

In der Praxis üblich war und ist es bisher, im Falle einer bekannt gewordenen und ggf. strittig diskutierten Teilnahmeberechtigung einer Fremdperson spontan mehrheitliche Geschäftsordnungsbeschlussfassung herbeizuführen, ob nun die „geoutete“ Person verbleiben, evtl. auch mitdiskutieren und ggf. sogar abstimmen könne oder aber unverzüglich den Raum verlassen müsse. Vor einer solchen Abstimmung sollte Beschlussfähigkeit festgestellt sein und die Versammlungsleitung auch allgemein darauf hinweisen, dass ein solcher Geschäftsordnungsbeschluss zwar nicht eigenständig und isoliert erfolgreich angefochten werden könne, da er sich mit Ende der Versammlung ohnehin von selbst erledige, dass aber die Anfechtung anderer, nachfolgender Sachbeschlüsse zumindest zusätzlich auch mit einem evtl. für fehlerhaft gehaltenen Geschäftsordnungsbeschluss und eigener Rechtsbeeinträchtigung begründet werden könnte.
Im Vorfeld solcher Abstimmungen zur Geschäftsordnung sollte aus meiner Sicht im jeweiligen Einzelfall eine wechselseitige Interessenabwägung zur Frage der Teilnahmeberechtigung erfolgen. Einerseits kann es um vielleicht berechtigte Interessen eines Eigentümers gehen, mit einer Begleitperson zu erscheinen. Demgegenüber könnten Interessen wieder anderer Eigentümer Beachtung finden, die sich gerade durch einen solchen Fremdbegleiter gestört fühlen. Letztlich können auch Interessen der Gesamtgemeinschaft im Vordergrund stehen, etwa bei Einladung von Sonderfachleuten zum Zwecke allgemeiner technischer oder rechtlicher Beratungen in Gemeinschaftsangelegenheiten. Auch Verhaltensprognosen bestimmter Gastteilnehmer können und sollten die Eigen­tümerentscheidung mitbeeinflussen.
Ordnungsgemäß rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Stimmrechtsvertreter, auch unter Berücksichtigung etwa in der Gemeinschaftsordnung vereinbarter Einschränkungen, sind ohnehin keine „Fremden“, über die zustimmend oder ablehnend entschieden werden könnte und müsste. Auch das Erscheinen gesetzlicher Eigentümervertreter kann nicht zur Diskussion gestellt und beanstandet werden. Anders verhält es sich bei eigentümerseitig mitgebrachten Begleitern bzw. Beratern. Nach BGH-Rechtsprechung ist hier von Teilnahmeberechtigung ausnahmsweise dann auszugehen, wenn solche Begleitungen oder beratende Personen aus Alters- bzw. Krankheitsgründen des Eigentümers und der besonderen Bedeutung und Schwierigkeit konkret anstehender Entscheidungsthemen angezeigt und vertretbar erscheinen. Es geht hier um sog. Erklärungsboten. Auch ausländische Wohnungseigentümer können ohne Frage Dolmetscher mit in die Versammlung nehmen. Die Anwesenheit naher Verwandter oder Lebenspartner mit einem Eigentümer sollte m. E. ebenfalls im Regelfall von den anderen Eigentümern respektiert werden, solange sich diese erwartungsgemäß störungsfrei verhalten. Auch auf Gemeinschafts- bzw. Verwalterwunsch hin eingeladene und meist nur themenbezogen und befristet anwesende Sonderfachleute dürften zur Berichterstattung und allgemein zur Beantwortung von Fragen in Gemeinschaftsangelegenheiten ebenso wie etwa Handwerker, Hausmeister usw. im Regelfall nicht das grundsätzliche Nichtöffentlichkeitsgebot sprengen.

Anfechtungsbegründung und Kausalitätserwägungen

Wird in der Folge bei einer Sachbeschluss-Anfechtung von einem Antrag stellenden Eigentümer allein und ohne weitere Begründung die Verletzung des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes behauptet und vorgetragen, kann dies m. E. nicht zum Erfolg und zur Ungültigkeitsbestätigung angefochtener Beschlüsse führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn aus Sicht des Gerichts aufgrund der jeweiligen Beschlussmehrheiten davon auszugehen wäre, dass auch bei Vermeidung des behaupteten Formfehlers ähnlich klare Mehrheiten zustande gekommen wären, also andere, evtl. materiell-rechtliche Beschlussmängel nicht zugleich mit im Streit standen. Zumindest bisher entsprechen Prüfungen dieser Kausalitätsfragen absolut vorherrschender Meinung bei so gut wie allen ausschließlich und vielleicht sogar zu Recht behaupteten formal-rechtlichen Beschlussfehlern. Sie wären im Übrigen auch im Anschluss ohne weiteres, wenn auch in neuerlicher Versammlung mit entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand, korrigierbar.

Eine andere Betrachtungsweise durch das Amtsgericht München

Mit Urteil vom 19.12.2013 (ZMR 5/2014, 406, derzeit in der Berufungsinstanz beim Landgericht München I unter Az. 36 S 2567/14 anhängig) hat das Amtsgericht München auf Anfechtung einer Eigentümerin hin – für mich überraschend – alle mit großer Mehrheit gefassten Beschlüsse einer Gemeinschaft für ungültig erklärt. Begründung: Der berechtigte Vertreter der Eigentümerin hatte in der Versammlung insbesondere die kurzzeitige Teilnahme eines vom Verwalter geladenen Sachverständigen und eines Rechtsanwalts zur allgemeinen Berichterstattung und Fragenbeantwortung in gemeinschaftlicher Sanierungsangelegenheit sowie auch die Anwesenheit zweier zuhörender, die Eigentümer begleitenden Ehepartner rechtzeitig gerügt. Die Gemeinschaft hatte daraufhin mit großer Mehrheit über Geschäftsordnungsbeschluss die Teilnahmeberechtigung dieser Fremdpersonen bestätigt. Die Anfechtungsrüge beschränkte sich weitgehend allein auf die Missachtung des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes.
Das Amtsgericht verneinte eine Beschlusskompetenz für diesen Geschäftsordnungsbeschluss, der bei Verletzung einer „Muss-Vorschrift“ auch keinerlei Heilungswirkung erzeugen könne. Auch Kausalitätsüberlegungen seien vorliegend nicht anwendbar, wenn seitens der beklagten Eigentümer nur pauschal auf gleiche Abstimmungsergebnisse ohne den behaupteten Verstoß verwiesen wurde. Im Übrigen könne es bei einem so schweren Grundsatzverstoß einer Versammlung auch gar nicht auf Kausalität ankommen. Vielmehr sei auch im Wohnungseigentumsrecht die im Aktienrecht zum Schutz von Minderheitenaktionären vom BGH bestätigte sog. Relevanztheorie anzuwenden, ein solcher Verstoß also stets ein relevantes Argument für die Beschlussungültigkeiten.
Diese sehr formalistisch strenge Entscheidung habe ich in ZMR 5/2014, 337 bereits kritisch zur Diskussion gestellt. Die Berufung gegen das AG-Urteil wurde allerdings aktuell vom LG München I mit Urteilsverkündung vom 29.1.15 mündlich zurückgewiesen (Begründung liegt noch nicht vor). Ehepartner von Wohnungseigentümern dürfen offensichtlich bei erfolgter Rüge aus dem Eigentümerkreis nicht an Eigentümerversammlungen teilnehmen. Hinsichtlich der Kausalitätsfragen gibt es wohl keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, auch nicht nur sekundäre Lasten eines Anfechtungsklägers. Die organisatorischen Konsequenzen für Verwalter dürften nach dieser Entscheidung ganz erheblich sein.

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Deckert, Dr. Wolf-Dietrich

Der auf ziviles Bau- und Wohnungseigentumsrecht spezialisierte Rechtsanwalt ist Teil der Deckert | Janssen Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft, Starnberg, und u. a. Herausgeber des Loseblattwerks „Die Eigentumswohnung“ 1982 ff. (Haufe-Lexware GmbH & Co, KG, Freiburg).
www.deckertjanssen.de