01.09.2015 Ausgabe: 6/2015

Geschlossene Gesellschaft! Nun also doch.

Im Berufungsurteil (AZ 365 S 2567/14) wurde zumindest das Ergebnis der diesseits kritisierten Vorentscheidung des Amtsgerichts München bestätigt, d. h. den Beschlussanfechtungen der Klägerseite auf Ungültigkeit aller Beschlüsse stattgegeben, allerdings mit erheblich anderslautenden Begründungspassagen:

Zunächst ist bei Beschluss-Formfehlern – also auch solchen einer Verletzung des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes – nach wie vor im Sinne der herrschenden Meinung im Anfechtungsfall auf Kausalitätsüberlegungen abzustellen. Der vom Amtsgericht angesprochenen und insbesondere im Aktienrecht vom BGH favorisierten sog. Relevanztheorie wurde damit eine Absage erteilt.

Bestätigt wurde vom Landgericht auch nach wie vor die grundsätzliche Möglichkeit, in diesen Fragen Geschäftsordnungsbeschlüsse mit Entscheidungskompetenz der Gemeinschaft fassen zu können, wobei allerdings im Anfechtungsfalle gefasster Sachbeschlüsse nach Tagesordnung solche Geschäftsordnungsbeschlüsse auch an Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung zu messen sind. Wird insoweit vom Verwalter im wohlverstandenen Interesse der Gemeinschaft etwa ein Anwalt und/oder Bausachverständiger punktuell zur Beantwortung anstehender Fragen eingeladen, kann entgegen amtsgerichtlicher Ansicht auch bei einem spontanen Teilnahme-Gestattungsbeschluss nicht von einer Verletzung des Nichtöffentlichkeitsgrundsatzes gesprochen werden.

Zuletzt kann es auch stillschweigende Rügeverzichte gegen bekannte bzw. bekanntgemachte förmliche Beschlussmängel geben (auf die es aufgrund vorliegend erfolgter Rüge allerdings in der Berufungsentscheidung nicht ankam).

Was die primär entscheidungserhebliche verfahrensrechtliche Problematik hinsichtlich der Verteilung einer Darlegungs- und Beweislast zu Kausalitätsfragen in solchen förmlichen Anfechtungsfällen betrifft, ist im Sinne der ebenfalls herrschenden Meinung von einer – wenn auch widerlegbaren – Vermutung auszugehen, dass sich ein gerügter bestimmter Formmangel auch auf konkrete Beschlussergebnisse kausal ausgewirkt hat. Auch vorliegend konnte sich der Kläger in seiner Anfechtung aller Sachbeschlüsse damit allein auf den Formfehler berufen (Anwesenheit zweier den jeweiligen Grundbucheigentümer begleitenden Ehepartner), um alle Beschlüsse gegen die deutlichen Mehrheitswillen der restlichen Eigentümer zu Fall zu bringen.

Weniger überzeugendes Argument in der Urteilsbegründung

´Zu den Darlegungs- und Beweislastfragen überzeugt mich allerdings das Berufungsurteil in diesem Einzelfall nach wie vor nicht. Unter Berücksichtigung der vom Landgericht nicht ausdrücklich erwähnten Grundsatzentscheidung des BGH vom 10.12.2010 können beantragte Beschlussungültigkeiten im Regelfall dann verneint werden, wenn für das Gericht „feststehen“ sollte, dass sich ein behaupteter formeller Beschlussmangel auf das Abstimmungs- und Beschlussergebnis nicht ausgewirkt habe. Dieser Grundsatz gelte allerdings nicht bei möglicherweise schwerwiegenden Eingriffen in elementare Kernbereichs- und Mitgliedschaftsrechte, wenn also Rechte eines Eigentümers in gravierender Weise ausgehebelt bzw. ausgehöhlt würden. Jedes andere Ergebnis sprenge insoweit möglicherweise sogar anderslautende Vereinbarungen in einer Gemeinschaftsordnung und überschreite die Grenzen bestehender Privatautonomie (unter Hinweis auf mögliche Inhaltskontrolle einer solchen Vereinbarung oder mindestens bestehende Auslegungsgrundsätze von Treu und Glauben). Schwere Eingriffe führten in einem solchen Fall bereits zur Nichtigkeit entsprechender Vereinbarungspassagen. Bei beschlussweisen Formverstößen müsse es deshalb auf den gerügten einzelnen Verstoß ankommen, ob ein Beschluss (oftmals in schwieriger Grenzziehung) nur anfechtbar oder gar nichtig bzw. zu tolerieren sei.

Ausgehend von den vorliegend hohen Mehrheitsentscheidungen der Eigentümer hätte das Gericht auch zum Ergebnis gelangen können, dass die nachfolgenden Beschlüsse nie und nimmer allein durch den gerügten Formfehler beeinflusst sein konnten, zumal die anfechtende Klägerseite trotz entsprechender Rüge in der Versammlung keinerlei eigene Beeinträchtigungen bzw. Befangenheiten oder gar materiell-rechtliche Einwände im Anfechtungsverfahren erhob. Soll etwa schon „der strenge Blick“ einer Gast- bzw. Fremdperson in der Versammlung stets allein den Erfolg einer Beschlussanfechtungsklage rechtfertigen! Ist in einem solchen Fall auch stets unkritisch das Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsklägers bejahend zu unterstellen? Auch möglicherweise querulatorischen Anfechtungen bei solchen Versammlungsformfragen hat das Landgericht hier Tür und Tor geöffnet. Tatsächlich wird nach bisher herrschender Meinung insoweit keine Beweislastumkehr zu Lasten eines Anfechtungsklägers angenommen. Allerdings könnte man möglicherweise auch in solchen und ähnlichen Fällen alleiniger Formverstöße zumindest von einer die Klägerseite verpflichtenden (sekundären) Darlegungslast sprechen, durch wen, warum und wie bzw. weshalb sie sich denn in ihren Einzelrechten durch Anwesenheit einer bestimmten Fremdperson beeinträchtigt sah bzw. auch zu Recht fühlen durfte. Insoweit darf auch auf die bereits veröffentlichte Mindermeinung von Kümmel im Niedenführ-Kommentar verwiesen werden, ebenso auf seinen mit Beispielen unterlegten Beitrag in ZMR 10/2014 und auch diesseitigen Aufsatz in ZMR 5/2010. In solchen Einzelfällen wie hier sollten deshalb Gerichte in Zukunft zumindest auch von einer gewissen Darlegungs- bzw. Gegen-Beweislast eines Anfechtungsklägers ausgehen. Vorliegend muss nun die Gemeinschaft zeitraubend und kostenträchtig eine neue a. o. Eigentümerversammlung einberufen, um die gebotenen Sachbeschlüsse zu wiederholen, was auf Seiten aller Beteiligten nur auf Unverständnis stoßen kann.

Empfehlungen an ­versammlungsleitende Verwalter:

In Zukunft sollten Sie bereits am Einlass zum Versammlungsraum Teilnahmeberechtigungen sehr streng kontrollieren und in dort ausliegender Anwesenheitsliste Zweifelsfälle auch registrieren. Nach Eröffnung der Versammlung und noch vor Eintritt in die Tagesordnung sollten Sie anschließend die versammelte Gemeinschaft darauf hinweisen, dass sich derzeit aus Ihrer Sicht bestimmte Fremdpersonen/Gäste im Saal befinden und dadurch der nach herrschender Meinung bestehende Nichtöffentlichkeitsgrundsatz verletzt sein könnte. Hinsichtlich der Teilnahmeberechtigung von Vertreter- bzw. Begleitpersonen sollten Sie dabei auf Grundsätze bisher einschlägiger Rechtsprechung – soweit bekannt – verweisen (zur anwaltlichen Vertretung von Eigentümern und Teilnahme Dritter in der EV vgl. auch zuletzt Aufsatz von Drasdo in NZM 10/2015, 360). Zu fragen sind die Teilnehmer von Ihnen auch, ob sie die Anwesenheit bestimmter Fremdpersonen rügen wollen oder ob Sie von stillschweigendem Rügeverzicht aller Anwesenden ausgehen dürfen bzw. ein Geschäftsordnungsbeschluss beantragt und zur Diskussion gestellt werde. Vor anstehenden spontanen Geschäftsordnungsbeschlüssen sollte ebenfalls auf mögliche, wechselseitige Anfechtungsrisiken folgender Sachbeschlüsse je nach Abstimmungsergebnis für die hiervon betroffenen Eigentümerseiten hingewiesen werden. Solche Hinweise, aber auch Fragen und Erklärungen der Eigentümer sollten Sie zu Beweiszwecken tunlichst im Versammlungsprotokoll ausdrücklich festhalten. Bei erkannter Anwesenheit fremder Dritter haben Sie grundsätzlich – selbst ohne erfolgte Eigentümerrüge bzw. unabhängig von einem Geschäftsordnungsbeschluss – als Versammlungsleiter die Kompetenz, Fremde des Saales zu verweisen und bis dahin den Beginn und Ablauf einer Versammlung kurz zu unterbrechen. Ohne entsprechende Weisung der Eigentümermehrheit kann allerdings auch eine solche Alleinentscheidung Ihrerseits zu Anfechtungsrisiken führen, sollten Sie damit einem Eigentümer ohne sachlich gebotenem Grund zumindest mittelbar Teilnahme- bzw. Stimmrechte entziehen.

Wo bleibt das Individualrecht?

Das letzte Wort ist bei solchen formalrecht­lichen Beschlussangriffen aus meiner Sicht noch nicht gesprochen! Auch die Selbstverwaltungskompetenz einer Gemeinschaft in eigener Ermessensausübung sollte gerade bei allein verfahrens-formfehlerbehafteten Beschlüssen im Einzelfall in Abwägung mit Eigentümerindividualrechten nicht unberück­sichtigt bleiben. Vorliegend wollte offensicht­lich das Gericht auch die überwiegende Mehrheit der Eigentümer „strafen“, wenn überdies in den Gründen beiläufig erwähnt wurde, dass der Gemeinschaft eigentlich schon aus früheren Verfahren die Problema­tik durch die Gerichte sehr deutlich vor Augen geführt worden sei, sie sich dessen ungeachtet offensichtlich jedoch bisher nicht entsprechend ­belehren ließ. Bedauerlich erscheint, dass München in diesen doch umstrit­tenen Fragen keine Revision zugelassen hat.

Foto: © Gunnar Pippel / Shutterstock.com


Deckert, Dr. Wolf-Dietrich

Der auf ziviles Bau- und Wohnungseigentumsrecht spezialisierte Rechtsanwalt ist Teil der Deckert | Janssen Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft, Starnberg, und u. a. Herausgeber des Loseblattwerks „Die Eigentumswohnung“ 1982 ff. (Haufe-Lexware GmbH & Co, KG, Freiburg).
www.deckertjanssen.de