04.06.2024 Ausgabe: 4/24

High am Arbeitsplatz?

Teodor Lazarev©adobe.stock.com

Die Cannabis-Legalisierung und ihre arbeitsrechtlichen Folgen

Kommt das „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“ – kurz: Cannabis-Gesetz – oder kommt es nicht? Diese Frage befand sich bis zuletzt in einem derart dichten Nebel der Ungewissheit, dass man meinen konnte, in der deutschen Legislative hätten nicht nur die Köpfe geraucht.

Nachdem das Cannabis-Gesetz im März vom Bundestag verabschiedet wurde, schließlich auch den Bundesrat passiert hat und nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten am 1. April dieses Jahres in Kraft getreten ist, ist es Erwachsenen ab 18 Jahren nunmehr erlaubt, privat bis zu drei Cannabispflanzen anzubauen, bis zu 50 Gramm Cannabis zu besitzen und in der Wohnung aufzubewahren und bis zu 25 Gramm in der Öffentlichkeit mit sich zu tragen. Kiffen im öffentlichen Raum ist grundsätzlich erlaubt, mit Ausnahme von Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon (100 Meter Luftlinie um den Eingang).

Unabhängig davon, ob man die Legalisierung von Cannabis nun als wichtige Kehrtwende in der Drogenpolitik begrüßt, wie der hessische Wirtschaftsminister Mansoori oder für einen „Irrweg“ hält wie Bayerns Ministerpräsident Söder, stellt sich die Frage, inwieweit Arbeitgeber mit diesem neuen Umstand umgehen sollen. Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über die drängendsten Fragen in arbeitsrechtlicher Hinsicht verschaffen:

Kiffen vor der Arbeit und/oder in der Mittagspause künftig erlaubt?

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist auf die Arbeitszeit beschränkt. Welche Substanzen und welche Menge davon ein Mitarbeiter in seiner Freizeit konsumiert, ist seine Privatsache. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer vor der Arbeit bzw. in der Mittagspause außerhalb des Betriebsgeländes Cannabis zu sich nehmen darf, kann also grundsätzlich mit „Ja“ beantwortet werden. Dies allerdings mit Einschränkungen:

So obliegt es jedem Mitarbeiter als arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht gemäß § 611a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), seine Fähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung durch eigenes Verhalten nicht einzuschränken und sich nicht durch den Konsum von Suchtmitteln in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr erfüllen kann. Darüber hinaus kann im Einzelfall für die im Betrieb bzw. Unternehmen tätigen Arbeitnehmer ein absolutes gesetzliches Suchtmittelverbot gelten. So ist etwa Piloten das Führen oder Bedienen eines Flugzeugs unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen untersagt (§ 4a Luftverkehrsgesetz). Dabei ist es unerheblich, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde. Jeder Arbeitnehmer ist also verpflichtet, auch in der Freizeit einen übermäßigen Konsum von Suchtmitteln zu unterlassen.

Ein privater Konsum kann sich weiter nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken, wenn dieser den Verlust einer für das Arbeitsverhältnis erheblichen Erlaubnis nach sich zieht, wie es z. B. bei der Fahrerlaubnis für Berufskraftfahrer oder Außendienstler der Fall ist. Verstöße gegen diese Verpflichtungen können arbeitsrechtlich geahndet werden (vgl. dazu auch später im Beitrag).

Regelungsbefugnis des Arbeitgebers und ihre Grenzen

Arbeitgebern ist es grundsätzlich möglich, einseitig durch Ausübung ihres Weisungsrechts ein eingeschränktes oder absolutes Suchtmittelverbot anzuordnen (vgl. § 106 S. 2 Gewerbeordnung) bzw. ein solches in einer schriftlichen Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung) festzuhalten. Bei einem eingeschränkten Suchtmittelverbot wird der Konsum nicht generell untersagt, z. B. wenn angeordnet wird, dass der Konsum während der Arbeitszeit untersagt ist und im Übrigen die Arbeitsfähigkeit nicht gefährden darf. Bei einem absoluten Suchtmittelverbot ist von den Arbeitnehmern eine „Nullwertgrenze“ einzuhalten, d. h. das Suchtmittel darf also nicht einmal mehr im Urin, Blut o. Ä. nachweisbar sein. Die Einführung von Suchtmittelverboten bedeutet zugleich die Umsetzung einer Arbeitsschutzmaßnahme (§§ 3 ff. Arbeitsschutzgesetz, § 618 BGB).

Bei der Ausübung des Weisungsrechts ist zu beachten, dass die Anordnung des Suchtmittelverbots nach „billigem Ermessen“ – also nach vorheriger Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit – erfolgen muss. Unbillig ist eine Weisung in der Regel dann, wenn der Arbeitgeber allein seine Interessen durchzusetzen versucht bzw. mit seiner Weisung willkürlich, missbräuchlich bzw. widersprüchlich handelt. So dürfte es z. B. unbillig sein, den Konsum von Cannabis während der Arbeitszeit generell zu verbieten, gleichzeitig aber ein von den Mitarbeitern wöchentlich organisiertes Weißwurstfrühstück mit damit einhergehendem exzessivem Weißbierkonsum weiter zu tolerieren.

Entsprechendes gilt für die vertragliche Vereinbarung eines Suchtmittelverbots, z. B. im Arbeitsvertrag. Eine derartige Vereinbarung ist zwar prinzipiell möglich, unterliegt jedoch einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB, bei der wiederum eine Gewichtung der gegenseitigen Interessen vorzunehmen ist.

In Betrieben mit Betriebsrat führt die Einordnung kollektiver Suchtmittelverbote als Regelung des Ordnungsverhaltens dazu, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz zu beachten ist.

Arbeitsrechtliche Maßnahmen

Kommt ein Mitarbeiter zugedröhnt aus der Mittagspause und ist infolgedessen nicht mehr dazu in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen, steht es jedem Arbeitgeber grundsätzlich frei, den Mitarbeiter nach Hause zu schicken und das auf die restliche Arbeitszeit entfallende Arbeitsentgelt einzubehalten. Es gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn,“ der auch dann greift, wenn der Arbeitnehmer infolge des Konsums von Suchtmitteln eine zur Erbringung seiner Arbeitsleistung erforderliche (behördliche) Erlaubnis verliert. Anders ist dies nur dann, wenn eine als Krankheit einzustufende Sucht-mittelabhängigkeit diagnostiziert wurde und die Arbeitsunfähigkeit auf dieser beruht (dann Entgelt-fortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz). 

Stellt sich der Zustand als derart gravierend dar, dass ein sicherer Nachhauseweg nicht mehr gewährleistet ist, ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, einen solchen zu organisieren, z. B. ein Taxi zu rufen.

Im Übrigen ist bei der Ergreifung von arbeitsrechtlichen Maßnahmen – vor allem bei Abmahnung und (ggf. fristloser) Kündigung – stets notwendige Voraussetzung, dass der Rauschzustand, in dem sich der Mitarbeiter befindet (unabhängig davon, ob er diesen vor oder während der Arbeitszeit herbeigeführt hat), die Arbeitsleistung konkret beeinträchtigt oder Kollegen bzw. anderweitige Rechtsgüter gefährdet. Kündigungen im Zusammenhang mit Suchtmitteln können sowohl aus personenbedingten Gründen (insbesondere bei Suchtmittelabhängigkeit) als auch aus verhaltensbedingten Gründen (Konsum während der Arbeit trotz Verbot, Gefährdung von Kollegen etc.) gerechtfertigt sein. Bei letzterer ist allerdings im Einzelfall zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer aufgrund des Konsums überhaupt ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingten Gründen ist oft schwierig, die dahingehende Kasuistik umfangreich – Ausführungen hierzu würden aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 

Für die Praxis ist in jedem Fall zu empfehlen, zunächst das vertrauliche Gespräch mit dem Mitarbeiter – ggf. unter Hinzuziehung weiterer Personen (z. B. Betriebsrat, Be­triebsarzt) – zu suchen.

Drogentests und Fragen nach Konsumverhalten

Arbeitnehmer sind grundsätzlich nur dann zur Zustimmung zu routinemäßigen, aber auch verdachtsabhängigen Drogentests verpflichtet, wenn der Test für die Durch­führung des Arbeitsverhältnisses erforderlich und verhältnismäßig und/oder auf Arbeitgeberseite zur Erfüllung der sich aus einem Gesetz, einem Tarifvertrag, einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung ergebenden Rechte und Pflichten erforderlich ist. Ansonsten können Arbeitnehmer aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit im Regelfall die Mitwirkung an einem Suchtmitteltest verweigern.

Auch bloße Fragen nach einem Konsumverhalten in der Freizeit stellen in aller Regel einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Arbeitnehmern dar; insbesondere stellt die bloße Gefahr der Nachwirkung des Konsums in die Arbeitszeit hinein kein überwiegendes Interesse aufseiten des Arbeitgebers an dieser Information dar. Auf die Frage nach dem Konsumverhalten sollte also verzichtet werden. Besteht allerdings im Betrieb (zulässigerweise) ein absolutes Suchtmittelverbot, ist es im Verdachtsfall zulässig, auf das Verbot hinzuweisen und den Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang danach zu fragen, ob er sich wirklich sicher ist, die diesbezüglichen Vorgaben einhalten zu können.

Fazit

Nüchtern betrachtet ergibt sich aus Arbeitgebersicht durch die Legalisierung von Cannabis kein allzu großer Handlungsbedarf. Schon bisher bestand die Gefahr, dass Mitarbeiter im Zustand des „erlaubten Rausches“ – insbesondere unter Alkoholeinfluss – zur Arbeit erscheinen. Die meisten sich stellenden Rechtsfragen sind für den Alkoholkonsum geklärt und können analog auf den Cannabiskonsum angewendet werden. Es schadet aber nicht, die Gelegenheit zu nutzen und über die Einführung eines relativen, im Ausnahmefall auch absoluten Alkoholverbots per Weisung zumindest nachzudenken bzw. bestehende Vorgaben und kollektivrechtliche Vereinbarungen zu überarbeiten. Sofern auf anderen Fachportalen nun vorgeschlagen wird, dass Gefährdungsbeurteilungen aktualisiert oder gar Arbeitskreise zum Thema „Suchtmittel“ etabliert werden müssten, erscheint dies übertrieben. Jedenfalls sollte die Belegschaft aber explizit darauf hingewiesen werden, dass ein Cannabis-konsum mit Auswirkungen auf die Arbeitsleistung und den sonstigen reibungs­losen Betriebsablauf nicht toleriert wird.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de