03.09.2021 Ausgabe: 5/21

In aller Stille - Es gibt tatsächlich eine gesetzliche Regelung für die Anpassung von Gewerbemieten wegen Corona.

Die Miete wegen Corona reduzieren? Und das auch noch rückwirkend? Zu schön, um wahr zu sein, werden Mieter denken. Das kann doch nicht wahr sein, werden Vermieter meinen. Und doch ist es Realität, schon seit dem 31. Dezember 2020. An diesem Tag nämlich trat ein Gesetz in Kraft, das genau das vorsieht.

Lockdown und geschlossene Läden
Schauen wir zurück in den März 2020: Mit dem ersten Lockdown müssen Geschäfte und Gastronomie schließen. Noch glauben viele, hoffen und erwarten, das Phänomen ginge nach ein paar Wochen vorbei. Mitnichten. Dem ersten Lockdown folgte der zweite, aber auch für die Zwischenzeit gilt: 2020 wurde es zu keiner Zeit wieder so wie es vorher war. Geschäftsinhaber traf es hart. Die staatliche Förderung – teils als Zuschuss, teils als Darlehen gewährt – reichte nicht aus, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Jede Kostenposition wurde eingehend geprüft, auch die Miete. Manch einer dachte, er könne die Mietzahlung für Gewerberäume reduzieren. Schließlich ist ein Ladengeschäft, in dem man nicht verkaufen darf, nicht so viel wert wie man gedacht hatte, als man es anmietete, so die eigentlich simple Logik.

Präzedenzfälle gibt es, aber sie liegen schon einige Zeit zurück: Das Reichsgericht hatte 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, zugunsten eines Pächters festgestellt, dass ein Tanzlokal, wo man nicht tanzen kann – weil Tanzen im Krieg verboten war –, kein Tanzlokal ist, die Pacht also nicht zu zahlen war.


Erste Rechtsprechung
Das sahen die meisten Amts- und Landgerichte im Jahr 2020 anders. Sie nahmen Bezug auf die – punktuelle – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), die zu dem Themenkomplex ergangen war. Als in Restaurants nicht mehr geraucht werden durfte, hatten einige Kneipiers versucht, ihre Pacht zu verringern –  und scheiterten vor dem BGH. Solange Wände und ein Dach vorhanden seien, sei kein Sachmangel der Mieträume anzuerkennen, meinte das Gericht im Jahr 2011. Das hielten die Gerichte nun für übertragbar auf Verbote wegen der Pandemie.

Aber auch ein weiteres Einfallstor für Vertragsanpassungen wurde von den Amts- und Landgerichten nur selten durchschritten: Der Wegfall, oder – wie es seit 2001 im Gesetz heißt – die „Störung“ der Geschäftsgrundlage. Überwiegend argumentierten sie, es sei eben das Risiko des Mieter, ob er eine Mietsache wie geplant verwenden könne. Weitere Argumente kamen hinzu, etwa: Auch ein für das Publikum geschlossener Laden könne doch genutzt werden, z. B. als Lager oder Basis für einen neu aufzubauenden Online-Shop.

Gesetzliche Initiative
Konnte das überzeugen? Ist es wirklich so, dass die Pandemie ein Risiko ist, das man bei der Anmietung von Gewerberäumen eben eingeht? Die Politik griff das Thema auf, als durchgedrungen war, dass Gewerbemieter verzweifelten, weil sie mit dem Versuch gescheitert waren, eine Anpassung ihrer in der Pandemie untragbar drückenden Mietverträge zu erwirken. Zuerst brachte Bündnis 90/Die Grünen Ende September 2020 eine Initiative in den Bundestag ein, die auf eine gesetzliche Klarstellung zielte. Vorschläge von Parteien, die (noch) nicht regieren, sind zur Ablehnung verdammt. Mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD wurde die Grünen-Idee verworfen, um den Ansatz mit neuem Etikett zeitgleich im November 2020 als eigenen in den Bundestag einzubringen. Nicht als offizieller Regierungsentwurf, sondern als „Formulierungshilfe“ fand der Gesetzentwurf Eingang in die Regierungs-Fraktionen.

Am 13. Dezember 2020 hielten die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder wieder einmal eine ihrer in der Corona-Zeit berühmt gewordenen Telefonkonferenzen ab – und fassten einen unerhörten Beschluss: „Für Gewerbemiet- und Pachtverhältnisse, die von staatlichen Covid-19-Maßnahmen betroffen sind, wird gesetzlich vermutet, dass erhebliche (Nutzungs-) Beschränkungen in Folge der Covid-19-Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Damit werden Verhandlungen zwischen Gewerbemietern bzw. Pächtern und Eigentümern vereinfacht.“ Die WirtschaftsWoche war die einzige Zeitschrift, die das am 21. Dezember 2020 aufgriff und darüber – in einem Interview mit dem Verfasser dieses Beitrags – informierte. Ansonsten: Schweigen. Offenbar war die Welt anderweitig beschäftigt, mit Inzidenzwerten und Formularen zur Beantragung von Überbrückungshilfen.

Klarstellung
Wenige Tage nach dem Beschluss war dieser Wille auch schon Gesetz. Am 17. Dezember verabschiedet, am 22. Dezember unterzeichnet, am 31. Dezember in Kraft. Die Vorschrift im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) lautet: „Art. 240 § 7 EGBGB Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.“

In dem Bericht des Rechtsausschusses kommt klar zum Ausdruck, dass es sich bei diesem Gesetz nicht um „neues Recht“ handeln sollte, sondern um eine Klarstellung dessen, was schon seit März 2020 gilt. Wer volle Miete gezahlt hat, obwohl er nach Vertragsanpassung nur Teile davon schuldet, kann die Differenz auch heute noch zurückfordern.

Die Tatbestandsmerkmale der Vorschrift sind überschaubar. Staatliche Maßnahmen haben den Betrieb eingeschränkt, z. B. Verordnungen der Länder, Gesetze, aber auch Appelle von Regierungsseite, zu Hause zu bleiben, das Büro nicht zu nutzen. Aufgrund dieser staatlichen Maßnahmen ist die Nutzung eingeschränkt: Laden zu, Flächen nicht voll nutzbar, Büros leer. Dann wird vermutet, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Diese Störung hat wiederum nach § 313 BGB eine Vertragsanpassung zufolge. Wie sie genau aussehen soll, sagt das Gesetz nicht. Zu vielfältig sind dafür die Konstellationen in der Praxis. 

Konsequenzen für die Praxis
Seit 2021 liegen nun schon eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zum neuen Gesetz vor. Viele Argumente werden vorgebracht, zum Teil verständlich, oft neben der Sache liegend. Das Grundprinzip ist indes einfach zu verstehen. Im Kern geht es doch darum, wer die Konsequenzen aus einem Ereignis trägt, das über die Wirtschaft hereinbrach wie eine Naturgewalt und das nichts mit dem üblichen Mieter- oder Unternehmerrisiko zu tun hat. Wenn aber niemand die Schuld trägt und wenn niemandem das Risiko besonders zugewiesen ist, dann muss der Schaden geteilt werden. Halbe Miete, das ist eine Faustregel, die an dieser Stelle oft zu angemessenen Ergebnissen führt. Letztlich geht es doch darum, eine faire Lösung zu finden. Hätte man dafür das Gesetz eigentlich gebraucht?

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Römermann, Prof. Dr. Volker

Der Rechtsanwalt ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG.
www.roemermann.com